Ben Williams | Biografie

Ben Williams

Die besten Bands haben immer etwas, das man nicht erzwingen kann: musikalischen Scharfsinn und die Bereitschaft durch Musik zu kommunizieren. Genau das ist es auch, was “Coming Of Age”, das zweite Soloalbum des Bassisten Ben Williams, ausmacht. Das Album spiegelt den Sound eines Musikers wider, der eine wirkliche, tiefgehende Beziehung zu einigen der besten jungen Kollegen der New Yorker Szene unterhält. “Die Mitglieder meiner Gruppe stehen in ständigem Kontakt zueinander”, sagt Williams über seine Band Sound Effect. “Wir sind abseits der Bühne genauso kommunikativ wie auf ihr. Wenn es so etwas wie eine Reality-Show über Jazz gäbe, wären wir dafür gute Kandidaten!”
“Erwachsenwerden” (denn so ist der Titel des neuen Albums zu übersetzen) bedeutet für den 30-jährigen Williams nicht nur eine aktive Rolle unter seinen Jazzkollegen einzunehmen, sondern auch eine zentrale Rolle in der Musikwelt im Allgemeinen zu spielen. Nachdem er 2009 den angesehenen Wettbewerb des Thelonious Monk Institute gewonnen hatte, machte sich Williams mit Feuereifer daran, das damals gegebene “jugendliche Versprechen” einzulösen. “Meine Karriere als Bandleader und Komponist begann in dem Augenblick, als ich den Wettbewerb gewann”, sagt er. “Ich hatte diese Gelegenheit, eine wirkliche musikalische Aussage zu machen – mehr noch: ich hatte auch eine Verpflichtung, dies zu tun.
2011 legte Williams mit “State of Art” sein Debütalbum vor, das hervorragende Kritiken erhielt. Im Anschluss an die Veröffentlichung tourte er mit seiner Band Sound Effect kreuz und quer durch die Welt. Er stieg außerdem zu einem äußerst gefragten und beliebten Sideman auf. Beim Winter Jazzfest in New York war er einmal an so vielen Auftritten beteiligt, dass er kaum die Bühne verließ. Und er schaffte es, den heftig umworbenen Platz des Bassisten in Pat Methenys Unity Band zu ergattern. “Bens Zugang zur Musik ist von Furchtlosigkeit und Offenheit geprägt”, lobt Metheny Williams. “Das ist eine wunderbare Kombination von Fähigkeiten.”
Trotz all der Fortschritte, die Ben Williams in den letzten sechs Jahren als Bandleader und Performer gemacht hat, hat er sich – wie “Coming Of Age” unterstreicht – am meisten als Komponist weiterentwickelt.
“Komponieren ist manchmal eine nebulöse Angelegenheit”, sagt der Bassist. “Aber um ein Gefühl in wirkliche Musik zu übersetzen, braucht man eine Menge Erfahrung und Praxis. Man muss sich fragen: Welcher Akkord wird diesem Gefühl am besten gerecht? Welche Tonart ist für diese Idee die passende?”
Und Williams hat einige große Ideen und Gefühle, die er mit seiner Musik zum Ausdruck bringen möchte. Ein gutes Beispiel dafür ist der Song “Toy Soldiers”, in dem es um die Opfer von Kriegen geht und den er mit einem martialischen Rhythmus und einem Chant-ähnlichen Riff ausstattete. Das aufbauende “Strength And Beauty” wiederum schrieb Williams noch am selben Tag, als der Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School stattgefunden hatte, dem – wie erst später bekannt wurde – u.a. die kleine Tochter des Jazzsaxophonisten Jimmy Greene zum Opfer fiel. “Die Tragödie ging mir sehr nahe, und mit diesem Stück versuchte ich spontan auszudrücken, was ich damals empfand”, sagt er. “Der Titel drängte sich mir auf, als ich sah, wie Jimmy Greene und seiner Familie auf den Verlust ihrer Tochter reagierten. Ihr Schmerz ist etwas, das die meisten von uns sich gar nicht vorstellen können. Aber die Art wie Jimmy die Fassung wahrte und zu einem Symbol von Hoffnung und wahrer Stärke wurde, konnte wirklich jeden inspirieren.”
Dem guten Beispiel Miles Davis’ folgend, ermuntert Williams auch die Mitglieder seiner Band, im Studio selbst zu komponieren. Für die Rhythm’n’Blues-Nummer  “Voice Of Freedom (For Mandela)” tat er sich zunächst mit der Sängerin und Songschreiberin Goapele zusammen. Bei der Einspielung im Studio schuf Saxophonist Marcus Strickland dann aus dem Stegreif ein Bläserarrangement, dessen sonnige Harmonien an südafrikanische Chöre erinnern.
Obwohl viele von Williams’ Stücken eine Reaktion auf die heutige Politik und aktuelle Ereignisse sind, reflektieren seine Kompositionen auch immer respektvoll die musikalische Vergangenheit. Die treibenden Samba-Rhythmen von “Forecast” sind eine Hommage an die Jazz-Fusion-Band Weather Report, und die Melodie des Stücks verrät eine gewisse Inspiration durch Wayne Shorters “Over Shadow Hill Way” (vom 1988er Album “Joy Ryder”). “In Half Steppin’” erinnert Williams ungemein agiles Spiel auf dem bundlosen E-Bass an Jaco Pastorius und seinen Klassiker “Teen Town”.
Williams betrachtet Coverversionen von Popnummern als Leihgaben an den bereits existierenden Jazzkanon. “Ich mag es, dem Jazz-Songbook stets neues Repertoire hinzuzufügen”, meint er. “Es ist mir sehr wichtig, auf all die jungen, neuen Songs, die herauskommen, aufmerksam zu machen.”
Als Mitglied des fabelhaften NEXT Collective zeigte er dies 2013 ausführlich auf dem Album “Cover Art”. Auf “Coming Of Age” interpretiert er auch zwei Popsongs. Zum einen gibt es eine bewegende Instrumentalversion von Lianne La Havas’ melancholischer Ballade “Lost & Found”, in der mit dem Trompeter Christian Scott ein weiterer Musiker aus dem Dunstkreis des NEXT Collective in Erscheinung tritt. Und dann ist da auch noch Ben Willimas’ außergewöhnliche Solo-Performance von Nirvanas “Smells Like Teen Spirit” auf dem Kontrabass. Spätestens hier wird einem klar, dass die Zukunft des Jazz zweifellos bei Musikern wie Ben Williams in den besten Händen liegt.
März 2015
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