Ian Brown | Biografie

Ian Brown Bio 2009

My Way ist ein ausgesprochen lässiger Titel…
Er beschreibt Ian Brown schon ziemlich gut.
Mit Punk aufgewachsen, ist er stets seinen eigenen Weg gegangen – nein: stolziert. Oder geschlendert. Diese urenglische Art, diese Ausstrahlung, dieser ganze Ansatz, der nur nach seinen eigenen Regeln funktioniert. Ein echter Volksheld im Norden, und ein Nationalsymbol dazu. Im Verlauf seiner einzigartigen und bahnbrechenden Karriere als Solokünstler hat Ian Brown eine Reihe von Meilensteinen aufgenommen, sodass niemand auch nur auf die Idee gekommen wäre, nach einer Wiedervereinigung seiner früheren legendären Band, der Stone Roses nämlich, zu fragen. Auch war die Versuchung nie besonders groß.
My Way ist ein autobiografisches Album. Die Songs sind von mehreren Jahrzehnten geprägt, die er an vorderster Front der britischen Popkultur verbracht hat, von überaus turbulenten Lebensabschnitten also, und von einer der kontroversesten und eigenwilligsten musikalischen Laufbahnen überhaupt, in der er 1989 eine ganze Generation inspirierte, um später ein grandioses Comeback als Solokünstler in Angriff zu nehmen, das gleichermaßen kontrovers diskutiert wie umjubelt wurde. Und: Brown macht immer weiter, angetrieben von jenem angeborenen Glauben an sich selbst, der eine ganze Stadt auf den Kopf gestellt und die Fans so sehr aufgeheizt hat, dass jedes einzelne Konzert zu einem großen Fest ausartete. Die Live-Atmosphäre bei seinen Shows ist mit keinem anderen Gig in England zu vergleichen. Der Rückhalt für diese Ikone ist enorm, die niemals einen Rückzieher machen würde, für diesen musikalischen Eigenbrödler, der sich wie der junge Ali durch seine Songs kämpft, das Kinn in die Höhe streckt und den Gegner damit geradezu verhöhnt, so wie es der Boxer aus Louisville einst getan hat.
My Way ist zudem eine geschickte Anspielung auf eine der Lieblingsbands von Ian Brown: Immerhin zählt der Augenblick, als Sid Vicious den gleichnamigen Klassiker auf so geniale Weise verstümmelte, zu den Schlüsselmomenten der Punk-Ära. Dieser unorthodoxe Ansatz ist es letzten Endes auch, auf den sich Brown beruft. Die krasse Haltung, für die Vicious und die Sex Pistols vorübergehend bekannt waren, hat er sich seit etlichen Jahren auf die Fahne geschrieben.
My Way ist eine deutliche Absichtserklärung. Ian Brown ist noch nie Kompromisse eingegangen, er hat immer die eigene Vision an oberste Stelle gestellt, hat nach eigenen Regeln Popsongs kreiert und dabei nie auf irgendwelche Vorgaben geachtet. Das Fehlen der musikalischen Grundlagen ist so gesehen seine eigentliche Stärke. Immerhin haben wir es hier mit einem Sound zu tun, der unverstellt ist, aus dem Bauch kommt und wenn überhaupt nur nach der eigenen Pfeife tanzt. Unkonventionell und dabei doch zugänglich – das muss man erstmal hinkriegen.
Ian Browns Karriere ist zugleich die Geschichte einer ganzen Generation: Am Anfang steht das Punkfieber, mit dem er sich schon als Teenager infizierte, dann der kulturelle Flickenteppich der Mittachtziger: Mods, Scooter-Boys, Skins und Punks, Creation Records, psychedelische Shirts mit Paisley-Mustern. Bands, denen man beitritt und sie wieder verlässt, billige Drogen, wilde Nächte, hübsche Mädels, großartige Platten – und schließlich eine gewisse Band, die nach und nach jeder für sich entdeckt und die auch heute noch so vielen Leuten so unglaublich viel bedeutet.
Die Geschichte der Roses gehört schon längst zu den Legenden des Pop, doch als sich die Band auflöste, tauchte Ian zunächst einmal unter, kehrte dem „dreckigen Business“ den Rücken und kümmerte sich fortan um seinen Garten – fast schon eine biblische Rückkehr zum einfachen Leben also. Nur ein kleines Reihenhaus war ihm geblieben – und das nach einer der Erfolgsgeschichten jener Ära, nach einer Zeit als Kopf jener Band, die gut und gerne so groß wie die Beatles hätte werden können –, und die vermeintlichen „Experten“ waren sich so gut wie einig darüber, dass der Sänger nicht mehr zurückkehren würde. Aus und vorbei. Aber sie vergaßen dabei, dass er für einen Großteil dieser Generation bereits als Identifikationsfigur und Kult-Persönlichkeit galt, dass er die Aura einer Galionsfigur hatte wie einst ein Strummer oder ein Lydon, und dass sich bereits Leute wie Liam Gallagher und der Rest der Nachfolgegeneration seine natürliche Ausstrahlung zu eigen machten und den Gang, den Style, die ganze Attitude des biegsamen Frontmanns imitierten.
Als Aziz Ibrahim bei Ian anklopfte und ihn dazu brachte, im Alleingang neue Songs aufzunehmen, begann ein vollkommen neues Kapitel: Unfinished Monkey Business aus dem Jahr 1998 wurde ein Hit, und es war nur das erste von mehreren Soloalben, mit denen Brown endgültig seinen eigenen Weg markierte…
My Way ist das neueste Kapitel dieses Kanons; die Songs darauf behandeln sowohl musikalisch als auch inhaltlich entscheidende Momente aus seinem Leben. Erneut größtenteils zusammen mit Dave McCracken geschrieben, verbindet Ian Brown in den neuen Songs die jeweiligen Stärken der einzelnen Vorgängeralben zu einem unschlagbaren Ganzen – seinem bis dato besten Album. „Stellify“, Eröffnungs-Track und erste Singleauskopplung zugleich, legt mit einem Klavier los, bis schließlich Browns Stimme einsetzt, unschuldig wie ein gefallener Engel, und das Stück mit einem Break durchsetzt wird, in dem ein paar Bläser zu Höchstform auflaufen. „The Crowning Of The Poor“, mit seinem melancholischen Beigeschmack und elektronischen Elementen, sorgt daraufhin für einen radikalen Stimmungswechsel: Es gibt kaum einen Musiker in England, der sich in so finstere Abgründe vorwagt – und der dazu auch noch weiß, wie man so einen Song anpacken muss. „Just Like You“ hingegen ist eher klassisch-melancholisch, allerdings gepaart mit einem glasklaren Pop-Refrain wie ihn New Order während ihrer Blütezeit hätten abliefern können. Während sich die atemlosen Gesangsspuren förmlich überschlagen, um die Botschaft des Songs auf den Punkt zu bringen, muss man einfach an den Höhepunkt der Hacienda-Ära denken, an diese überdimensionalen Songs, die den gesamten verstrahlten Saal ausfüllten. Tolle Zeit. 24 Hour Party People ohne Ende.
Einen plötzlichen Ausbruch nach der Todes-Disko-Session markiert die Coverversion von Zager & Evans’ „In The Year 2525“, womit Brown seine Serie spleeniger Coversongs fortsetzt – es gab da mal ein paar Michael-Jackson-Songs – und auch die Mariachi-Trompete wieder ins Feld führt, die inzwischen nicht mehr aus seinem Sound wegzudenken ist. Der Anflug von Wehmut, der bei „Always Remember Me“ mitschwingt, deutet auf ein Gefühl des Bedauerns hin, das man in Browns Auftreten und seiner ganzen Art kaum vermuten würde, auch wenn diese Empfindsamkeit von Anfang an da war. Sie liegt genau genommen in der Stimme, die jede Menge Attitude und Menschlichkeit vereint und sich über dem düsteren Teppich aus Echo-Sounds ausbreitet, mit dem er auf die übersteuerten Indie-Sounds der Achtziger anspielt – jene sonnenverwöhnt-trübsinnigen Balladen à la Spector, die so unglaublich zeitlos klingen. Während sich der Song triefend dem stürmischen Klimax nähert, entfaltet der rückwärts abgespielte Gitarren-Loop endgültig seine magische Wirkung. Ist „Vanity Kills“ vielleicht eine Art Warnung an Leute aus der Popszene, eine mahnende Geschichte in einer Welt, in der wir alle immer noch irgendwann älter werden? Der Song selbst klingt atmosphärisch und tief schürfend wie ein Filmsoundtrack, während Brown einen Blick auf die Kehrseite von Ruhm und Liebe wirft. „Nothing to lose, I will do it all again“, singt er trotzig und erhebt sich aus den Trümmern.
„For The Glory“ ist noch so ein großes Gesangsstück, das ebenfalls Soundtrackqualitäten hat, voll biblischer Referenzen und nachdrücklicher Trotzhaltung. Mit „Marathon Man“ legt Brown dann einen Spurt ein: das Tempo ist höher, wobei abgespeckte Electro-Sounds und Beats, die nach verbrannter Erde klingen, in einen eingängigen Refrain übergehen. Der Song handelt davon, sich abermals zu behaupten, und natürlich lässt er auch hier jenes Selbstvertrauen, jenen Glauben an sich selbst durchschimmern, der einst die „Generation E“ definiert hat. Mit „Own Brain“, übrigens ein Anagramm seines Namens, macht er sich für Individualität in einer Welt stark, in der für Querdenker kein Platz mehr zu sein scheint und jeder nur der Masse hinterher trottet. Genau genommen ist dieses Stück sein Manifest, seine Haltung in komprimierter Form. Auf „Laugh Now“ präsentiert er dann eine moralische Geschichte über einer Keyboardmelodie, eine Art Kinderreim mit einer Lebensweisheit im Schlepptau, während „By All Means“ dagegen eher brutal klingt: Brown versucht Gnade für jemanden walten zu lassen, der ihn zutiefst verletzt hat. Es ist der teuflische Prediger, der hier erneut zuschlägt, während der Song selbst, über- und mindestens dreidimensional, an Morricone im digitalen Instrumentenpark erinnert. „So High“ ist schließlich nicht nur ein grandioser letzter Song, sondern fast schon ein Stück zum Mitsingen: die Hammondorgel setzt an und bahnt den Weg für einen Neo-Soul-Track, in dem Brown endgültig reinen Tisch machen kann. Dieser Song ist schon jetzt ein hämischer Klassiker.
Unverkennbar, autobiografisch und absolut selbstsicher, kurz gesagt: My Way ist Ian Browns Meisterwerk. Einen besseren Titel hätte er nicht auswählen können.
 — John Robb, im August 2009