Turntablerocker | Biografie

Turntablerocker

Als Michael “Michi” Beck und Thomas “Thomilla” Burchia 1994 in einem Stuttgarter Plattenladen zum ersten Mal aufeinandertrafen, war weiß Gott noch nicht abzusehen, welch kreativen Früchte diese Begegnung einmal tragen würde. Als Teil der Fantastischen Vier hatte Michi Beck zu diesem Zeitpunkt immerhin schon eine vielversprechende Karriere am Laufen. Und Thomilla machte sich als DJ und Produzent für verschiedene HipHop-Formationen damals gerade einen Namen.

Doch heute, 17 Jahre später, ist man sich der immensen Bedeutung dieser schicksalhaften Zusammenkunft durchaus bewusst. Und sie ist groß, diese Bedeutung. Immerhin haben Michi und Thomilla ihre wachsende Begeisterung für elektronische Club-Musik nicht nur durch die Veröffentlichung zweier Alben und diversen Maxis Tribut gezollt, sondern sich trotz der immensen Erweiterung ihres künstlerischen Horizonts stets ihre eigene Identität bewahrt.
Anstatt auf den erfolgreichen Zug der Techno- und Minimal-Szene Richtung Nirgendwo aufzuspringen, haben sie sich eigenständig und selbstbewusst eine musikalische Offenheit erhalten, die sie eben nicht nur als DJs und Produzenten auszeichnet, sondern die sie zu ernst zu nehmenden Künstlern macht. Und zwar keine Künstler im Sinne einer elitären Selbstausgrenzung, sondern Künstler im Sinne eines gemeinsamen musikalischen Nenners. Eines Nenners, der Menschen verschiedenster Coleur zusammenführt und zum Sound der Turntablerocker miteinander in Einklang bringt.

Mit seinen groovigen Bässen, seiner Opulenz und seiner Tanzbarkeit orientiert sich der Longplayer ohne Zweifel an den großen Tagen von Disco, ohne deshalb jedoch eine Disco-Platte zu sein. Mit seinen eingängigen Refrains und untypischen deutschen Texten ist “einszwei” zweifelsohne poppig geworden, ohne jedoch als Pop-Album durchzugehen. Und mit seinem elektronischen Antlitz, seinen treibenden Beats und der thematischen Ausrichtung einer durchfeierten Party-Nacht kann man es definitiv clubbig nennen, ohne es deshalb als Club-Album bezeichnen zu können.

“Wir haben unsere Musik mal als Electronic Wildstyle beschrieben, und das trifft es nach wie vor ganz gut”, findet Thomilla. “Wir kombinieren stets viele verschiedene Elemente miteinander, sodass wir mit einem Mindestmaß an künstlerischer Narrenfreiheit irgendwann eine genrefreie Zone erreichen, in der wir uns schlussendlich erschöpft und zufrieden niederlassen.”

Und so ist nach den beiden Vorgängeralben “Classic” (2001) und “Smile” (2002) auch “einszwei” wieder etwas vollkommen Neues geworden. Ein selbstkreierter Wildstyle-Boogie zwischen Cosmic-Disco, Classic-House und gelegentlichen HipHop-Backflashes. Ein discoides Pop-Club-Album im Spannungsfeld von 110 und 120 BpM. Eine kreative Annäherung an das Turntablerocker-Live-Erlebnis in Albumform.

“Die Welt ist eine Scheibe, schwarz und rund, lass sie weiterdrehen im Kreis herum.” (d.w.i.e.s.) Zeilen wie diese aus dem Stück “d.w.i.e.s.” sind es, die den Rückblick auf die Turntablerocker-Vergangenheit mit einem Versprechen für deren musikalische Zukunft kombinieren. Zeilen, deren tieferer Sinn sich dennoch weniger durch ihr inhaltliches Verständnis definiert, sondern durch ihre unmittelbare Erfahrbarkeit in Form der sie umgebenden Musik. Zeilen, die im Turntablerocker-Kontext erstmals auf deutsch formuliert wurden.

“Deutsche Texte waren für uns als Club-Act ein Wagnis”, gesteht denn auch Michi Beck, “denn zu deutschen Texten wird selten getanzt. Doch ich glaube, uns ist der Balance-Akt ganz gut gelungen, nicht nur zum Zuhören zu verführen, sondern in Kombination mit der Musik auch emotional sehr viel näher an unser Publikum heranzurücken. Auch die Gesangs-Performances von Gast-Vokalisten wie Komi Togbonou, Miss Platnum und Vanessa Mason haben daran sicherlich einen entscheidenden Anteil.”

Herausgekommen ist dabei ein lupenreines Konzeptalbum, denn “die Platte markiert von vorne bis hinten den Soundtrack für eine Nacht”, wie Michi erklärt. “Beginnend mit einem Beziehungsdrama führen wir die Zuhörer durch die Clubs der Stadt, tanzen mit ihnen dem Sonnenaufgang entgegen und fangen mit einer Horde tanzwütiger Partypeople dann auf einem Hotelzimmer wieder von vorne an.”

Bereits der Titeltrack gibt im energiegeladenen Wildstyle-Pingpong zwischen Thomilla und Michi eindrucksvoll die Richtung vor – ein Song voller Irrungen und Wirrungen, fast schon mehrere Stücke in einem; eine verheißungsvolle Ouvertüre für die verführerischen Versprechen der Nacht.

Das Stück “d.w.i.e.s.” (“Die Welt ist eine Scheibe”) hingegen ist eine augenzwinkernde Abrechnung mit dem narzisstischen Selbstverständnis der Digital-DJs, die trotz fehlenden Talents, einem Mangel an Eigenständigkeit und technischem Unverständnis stets als echte Künstler verstanden werden wollen; ohne Geschmack, ohne Dramaturgie, ohne Skills.

Mit dem Spliff-Track “Déjà Vu” befindet sich sogar ein Cover-Song auf der Platte, der auf den ersten Blick ein wenig ungewöhnlich erscheinen mag, im Albumkontext jedoch absolut Sinn macht, wie Michi erklärt: “Das Stück passt mit seiner wunderbaren Verstrahltheit und den verbalisierten stroboskop-ähnlichen Eindrücken perfekt in das Durch-die-Nacht-Konzept der Platte – selbst wenn ich kryptische Zeilen wie ‚Der rote Hugo hängt tot im Seil, die Leiche stinkt nach Shit’ bis heute nicht verstanden habe.” Michi lacht.

Der Titel “einszwei” erweist sich dabei als genauso logisch wie konsequent. Thomilla: “Wir sind einszwei Leute. Wir haben vorher einszwei Alben zusammen gemacht, bis nun unser neues Album im Jahr einszwei erscheint.” Und Michi ergänzt: “Die Oktave eines Klaviers umfasst einszwei Tasten, die Produktion hat genau einszwei Monate gedauert und die Platte umfasst einszwei Stücke. Außerdem wollten wir einen deutschen Titel haben, der auch international verstanden wird – um ‚einszwei’ führte irgendwann also kein Weg mehr vorbei.”

Beeindruckend ist vor allem die aufwändige Produktionsweise, die der Platte zugrunde liegt. Denn alle Songs wurden nach ersten Layouts mit klassischen Instrumenten eingespielt, danach wieder aufs Wesentliche reduziert, um im Anschluss noch einmal elektronisch bearbeitet zu werden. Michi: “Es sollte weder muckermäßig noch klar klingen, wie es das nach traditionellem Einspielen in der Regel tut. Also haben wir die einzelnen Fragmente aus den Aufnahme-Sessions am Ende digital verkünstelt und elektronisiert, dabei aber trotzdem Wert darauf gelegt, den menschlichen Groove zu erhalten, der dem Sound die nötige Wärme verleiht.”

“einszwei” ist demnach genau das geworden, was man sich erhofft hatte, aber sicherlich nicht, was man erwarten konnte: Die logische Konsequenz aus der musikalischen Sozialisation von Michi Beck und DJ Thomilla, ihren langjährigen Live-Erfahrungen als weltweit gefragtes DJ-Team sowie ihrem gereiften Gespür für musikalische Arrangements und Harmonien. “Zu viel Gefühl, zu wenig Zeit, zusammen mit euch zu allem bereit.” (einszwei)
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