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Matthäus-Passion “Erbarme Dich!”

17.09.2003
Eine Anekdote besagt, daß der 14jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy 1823 von seiner Großmutter ein Manuskript von Bachs Matthäus-Passion erhielt, die zu der Zeit völlig unbekannt war. Bereits beim ersten Durchblättern der Noten soll er völlig überwältigt gewesen sein und beschlossen haben, das Werk aufzuführen. Damit ist ihm die Wiederentdeckung des in Vergessenheit geratenen Werkes zu danken. Bis heute – also noch einmal fast zweihundert Jahre später – strahlt die Matthäus-Passion ungemindert diese Faszination aus.
Während einer Tournee mit Nigel Kennedy, auf der wir Bachs Doppelkonzert spielten, sprachen wir in einer Konzertpause über die Matthäus-Passion. Ich sang Kennedy die “Erbarme Dich”-Arie vor, bei der es diesen wunderschönen Part für Solo-Violine gibt, und er sagte: “Wenn Du die Arie mal öffentlich singst, komme ich und begleite Dich.” Wenige Monate später lagen die Bach-Transkriptionen von Andreas Tarkmann vor und ich rief Kennedy an und fragte, ob er auch spielen würde, wenn ich auf der Oboe singen würde. Er sagte sofort zu und stand tatsächlich am nächsten Tag im Studio. Es war gegen 21 Uhr, aber von Müdigkeit war da natürlich überhaupt keine Spur. Klar, die Musiker der Sinfonia Varsovia kennen und lieben ihn und wir probten wie die Besessenen die halbe Nacht durch. Irgendwann fragte ich, ob wir nun aufnehmen könnten. Kennedy verneinte und wollte sich erst noch zurückziehen, um – wie er sagte – “die Musik besser zu verstehen”. Früh am nächsten Morgen stand er wieder auf der Matte und war bereit für die Aufnahme, weil er “beim Üben in der Nacht ein Vorstellung von dem Stück” bekommen habe, denn die Arie war vorher für ihn Neuland gewesen. Ich war sehr beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit er sich diesem wunderschönen Stück näherte.
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