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Mehr als Musik

19.09.2007
Fragen, fragen, fragen – was Erwachsene manchmal verlernen, gehört zur grundlegenden Alltagserfahrung von Kindern. Man muss fragen, um zu erfahren, wie etwas geht, wann der Bus fährt, wie viel das Eis kostet, warum die Sonne nicht vom Himmel fällt. Es ist eigentlich das Selbstverständlichste der Welt, dass Kinder erfahren wollen, wie alles um sie herum funktioniert, nur häufig fehlen die Gelegenheiten, auch die Fachleute für spezielle Themen zu bekommen, die echte Antworten geben können. Insbesondere gilt das für die Musik, für die es sich inzwischen im regulären Konzertbetrieb eingebürgert hat, dass der Zuhörer dem Interpreten nicht mehr persönlich begegnet, sondern ihn nur noch auf der Bühne bewundert. Dass aber kann nicht der Sinn der Sache sein, dachten sich die Spezialisten der Deutschen Grammophon, und entwickelten die Reihe “Der kleine Hörsaal”. Die Idee ist einfach: Man bringt einen Starinstrumentalisten, der wirklich etwas von seinem Fach versteht, und eine Handvoll Kinder zusammen und lässt sie vor Mikrofonen einander begegnen. Kommentiert, geschnitten und mit Hörbeispielen ergänzt ergibt sich eine Einführung in die Materie, wie sie kein Professor besser gestalten könnte. Aktuelles Beispiel: Albrecht Mayer, mit mehreren Kindern aus Berlin und seiner Oboe.
Näselnd quietscht der Ton. Dennis, Yola, Leonie, Moritz und Simon versuchen auf eigene Faust, aus einem Oboen-Mundstück etwas Musikähnliches heraus zu bekommen. Das Resultat ist erwartungsgemäß mager, ein durchdringendes Gefiepe und bereits die erste Erkenntnis stellt sich ein: Die Oboe scheint ein anspruchsvoll zu spielendes Instrument zu sein, ganz im Unterschied zu der Wirkung, die sie im Orchester hervorruft. Denn da erklingt sie oft an den emotionalen Momenten, wenn große Gefühle oder sanfte Stimmungen gefragt sind, und wirkt, als würde sie mit nonchalanter Leichtigkeit über den Dingen schweben. Und schon sind die Kinder und Albrecht Mayer, der Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker und weltweit einer der besten Spieler seines Fachs, mitten im Thema. Denn bis dem fragilen Instrument ein echter Ton entschlüpft, müssen viele Dinge beachtet werden. Ein spezielles Geheimnis ist zum Beispiel die Herstellung des Rohres. Sie ist bei der Oboe Sache des Musikers selbst, der die passenden Hölzer und die ideale Form für seine individuellen Bedürfnisse finden muss. Man müsse erst einen Wäschekorb voller Rohre selbst gebaut haben, zitiert Mayer in diesem Zusammenhang einen seiner Lehrer, bevor man ein gutes Exemplar selbst herstellen könne. Und dann erzählt er von Plantagenbambus und dem wilden Holz auf Teneriffa, von kleinen Geheimnissen des guten Klangs, die hinter seinem eleganten und geschmeidigen Ton stehen.
 
Weiter wird gefragt und vorgemacht, etwa wie man richtig atmet, wie man überhaupt zu einem eher seltenen Instrument wie der Oboe findet, was es da für Unterschiede gibt. Mal geht es um Orchesterbesetzung, Tonhören, um Kastraten und frühere Stars der klassischen Musik, mal um Anekdoten und den ewigen Frust, den der Komponist Prokofieff den Oboisten eingebrockt hat, als er für seine symphonische Dichtung “Peter und der Wolf” das Instrument ausgerechnet der trägen Ente zugeordnet hat – mit dem Resultat, dass man als Oboist immer wieder auf die vermeintliche Behäbigkeit der eigenen Kunst angesprochen wird. Tatsächlich aber erweist sich das Instrument unter Mayers Ägide als etwas völlig anderes. Schließlich hat er nicht nur Kompositionen von Mozart bis Bach bearbeitet und ist damit selbstbewusst aus seiner Rolle im Orchestergraben herausgetreten, sondern tritt auch mit seiner ganzen Person und Überzeugung für seine Oboe ein und zeigt mit seinen Antworten, aber auch mit den passenden Hörbeispielen, dass man mit ihr Verblüffendes, Großartiges spielen kann. So ist die vierte Folge des “Kleinen Hörsaals” nach Hilary Hahn, Thomas Quasthoff und Christian Thielemann eine rundum gelungene Einführung in die Geheimnisse eines zuweilen verkannten Instrumentes, die nicht nur einen sympathischen, in jeder Hinsicht uneitlen Weltstar zu Anfassen präsentiert, sondern darüber hinaus auch neugierig macht auf mehr, sehr viel mehr Oboenklänge.
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