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Geheimnisse der Wirkung

15.02.2006
Mit Franz Liszt veränderte sich das Konsumverhalten des Publikums. Als besessener, begeisterter Virtuose ließ er es sich nicht nehmen, auch vor tausenden von Leuten zu spielen. Damit jedoch löste er die klassische Musikdarbietung aus dem Zusammenhang adelig-höfischer und bürgerlich-salonhafter Vortragsweise. Das aber hatte auch Auswirkungen auf seine Kompositionen, denn sie mussten so konzipiert sein, dass sie auch in einem großen Saal dynamisch differenziert wirken konnte. So gilt er bis heute als einer der am schwersten zu spielenden Komponisten.
Alfred Brendel geht in der Beurteilung von Liszts Persönlichkeit und dessen Einfluss auf die Konzertgewohnheiten der Moderne sogar noch einen Schritt weiter. Denn seiner Meinung nach gehörte für den Hochromantiker auch eine besonderen Form der Gestik zum Auftreten, die die Musik passend unterstrich, und die es für die nachfolgenden Generationen zur beachten gilt. Diese ist insofern interessant, als dass Brendel selbst an seiner optischen Wirkung auf der Bühne und vor Kameras ausführlich arbeitete. In einem Gespräch mit dem Journalisten und Musikwissenschaftler Jeremy Siepmann erzählte er von dieser Beschäftigung mit der Äußerlichkeit, die zu einem wichtigen Kriterium der Darbietung werden kann: “Als ich mich zum ersten Mal im Fernsehen sah, fiel mir auf, dass ich mir alle möglichen Gesten und Grimassen angewöhnt hatte, die dem, was ich musikalisch tat und anstrebte, völlig widersprachen. Ich ließ daher einen Spiegel anfertigen, einen großen Standspiegel, den ich neben das Klavier stellte. Ich sah mich nicht ständig darin, aber er war immer da; unbewusst nahm ich vieles zur Kenntnis. Das half mir, meine Bewegungen mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was ich tatsächlich sagen wollte. In vielen Stücken ist das unerlässlich. Etwa am Schluss von Liszts h-moll-Sonate, wo es vor den drei pianissimo zu spielenden H-Dur-Akkorden ein Crescendo auf einem Akkord gibt, das man mit einer Geste vermitteln muss. Das ist die einzige Möglichkeit”.
 
So gehört das Akustische und das Optische eng zusammen. Ohne die dazu gehörenden Bilder des ausführenden Musikers kann eine Interpretation zwar beinahe vollkommen sein. Ein kleines Quäntchen zum Verständnis aber fehlt. Und deshalb ist es besonders faszinierend, wenn es ausgezeichnete Aufnahmen gibt, die neben dem herausragenden Ton – inzwischen mit betörendem DTS 5.1-Surround-Sound (wahlweise PCM Stereo) in der Nachbereitung der Originalbänder – auch noch von einer Kamera festgehalten wurden. Im März 1986 verwirklichte Alfred Brendel ein solches Projekt für die BBC und nahm zwei Zyklen von Franz Liszt akustisch und optisch auf. Es handelte sich um die 1855/58 edierten Sammlungen “Années de Pèlerinage – Première Année: Suisse, Deuxième Année: Italie”, zwei Zyklen sehr unterschiedlich angelegter Klavierstücke, die zum Teil dem bereits 1842 erschienen “Album d’un Voyageur” entstammten, zum Teil von Liszt während seiner ersten Italienreise 1837 −1839 komponiert wurden.
 
Es sind verarbeitete und in Musik gefasste Landschaftseindrücke, aber auch tönende Umsetzungen von Gemälden und Kunstwerken der italienischen Renaissance, ja sogar Melodien, die von Dante inspiriert wurden. In jedem Fall ist es eine besonders ausgeformte Anwendung des Prinzips der Programmmusik bis hinein etwa in Jodel- und Alphornmotive oder farbliche Feinabstufungen von Akkorden, die zum besseren Verständnis einer Erklärung bedürfen. Brendel, nicht nur ein begnadeter Pianist vor dem Herrn, sondern auch einer der profundensten Kenner der Klavierliteratur, nahm sich daher die Zeit, zu jedem Stück zusätzliche inhaltliche Erläuterungen zu geben, die es in Kombination mit den Einzelwerken ermöglicht, weiter als üblich in das Verständnis dieser bunt schillernden Kunstmanifeste einzutauchen. So ist die DVD mit Liszts “Année de Pèlerinage” ein gelungenes Beispiel für die Möglichkeiten, die die Kombination von High-End-Audio und optischer Ergänzung bieten kann.
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