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Beethoven 2: Humor und Dramatik

05.04.2006
Die Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven fordern jeden Pianisten aufs Neue heraus. Denn sie präsentieren nicht nur das Konzentrat kompositorischer Kreativität über einen langen Entstehungszeitraum hinweg, sondern entwerfen zugleich ein ungewöhnliches, philosophisches Konzept des Instruments: “Für Beethoven ist das Klavier ein Mittel, das Unmögliche – seiner musikalischen Gedanken – zu realisieren”, räsoniert der ungarische Pianist András Schiff und wagt sich an den zweiten Teil seiner interpretatorischen Umsetzung des Sonaten-Zyklus.
Ein besonderer Reiz liegt in der Chronologie. Beethoven komponierte seine Sonaten über den Zeitraum eines Vierteljahrhunderts hinweg, während er sich selbst vom gefeierten Jungstar der Wiener Szene zum ertaubenden Titan der musikalischen Klassik veränderte. Das wiederum fasziniert im Nachvollzug der musikalischen Entwicklung, stellt aber auch große Ansprüche an die darstellende Kompetenz des Interpreten: “Die Herausforderung dieses Werks als ‘work in progress’ ist enorm. Man könnte ihm vielleicht noch die beiden Teile von Bachs ‘Wohltemperiertem Klavier’ zur Seite stellen; indessen ist die Gattung ‘Präludium und Fuge’ per se viel enger definiert als der Sonatensatz, so dass auch jene Verwandlungen nicht möglich sind, die Beethoven mit seiner Gattung betreibt”. András Schiff hat sich daher auch erst in seinen eigenen Fünfzigern an die Gesamtaufnahme des kompletten Zyklus gewagt, mit dem Ziel, eben gerade diese Besonderheiten der musikalischen Einheit in der Vielgestaltigkeit heraus zu arbeiten. Und die sind sowohl für den Pianisten wie für den Hörer eine anspruchsvolle Aufgabe: “Erstens vollzieht sich da eine mächtige Evolution im Komponieren, wobei die Generaltendenz zur immer stärkeren Ökonomie der Mittel führt. Zweitens aber ist jede Sonate seit der f-moll-Sonate op.2/1 ein Meisterstück an Individualisierung und Charakter. Es gibt bei Beethoven, anders als bei Mozart oder Schubert, keinerlei ‘wiederholende’ Geste: Alles entsteht und entwickelt sich weiter unter dem Aspekt des Neuen. Dies muss man als Interpret zur Darstellung bringen, und zugleich muss sich auch der Zuhörer aktiv auf Beethovens innovatives Prozessschaffen einlassen. Dass etwas nur schön oder gemütvoll wäre gilt bei Beethoven nicht”.

Für die zweite Folge seiner Beschäftigung mit dem musikalischen Phänomen hat sich Schiff mit den ebenfalls noch zu den frühen Werken zählenden Sonaten op. 10 (entstanden zwischen 1796 und 1798) und der Sonate op. 13 (1798/99), bekannt unter ihrem Beinamen “Sonate Pathétique”, befasst. Obwohl noch in jungen Jahren komponiert, weisen sie bereits deutliche Veränderungen zu den Vorgängern von 1795/96 auf: “Während die Sonaten op.2 noch viel mehr nach innen, zu Beethovens  eigener Verwendung komponiert sind, wenden sich die Sonaten op.10 bereits nach außen: an Kenner und Liebhaber. Vielleicht sind sie auch deshalb etwas leichter zu spielen. Vom Gesamtkonzept her gesehen setzt der Verfasser die Stimmungen ebenfalls anders. Die c-Moll-Sonate ist hochdramatisch und folgt darin noch dem Werk in f-Moll op. 2. Doch die f-Dur-Sonate op. 10/2 empfinde ich deutlich als humoristisch und komödiantisch, während die abschließende D-Dur-Sonate viel schwerer zu fassen ist. Sicher markiert sie nicht nur den Höhepunkt innerhalb der Trias von Opus 10, sondern darf dank ihres langsamen Satzes, einem ganz außergewöhnlichen Stück Musik, einen besonderen Platz innerhalb von Beethovens Sonatenschaffen beanspruchen”. Ergänzt schließlich um die gestalterische Brücke zu den dramatischen Werken der folgenden Jahre ergibt sich auf diese Weise ein Bogen innerhalb des Zyklus, den Schiff mit der für ihn typischen brillanten Mischung aus Klarheit, Analytik und  Emphase umzusetzen versteht.

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