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Ludwig van Beethovens Diabelli-Variationen in der Interpretation von Andras Schiff

András Schiff
Nadia F. Romanini / ECM
26.09.2013
Über den Rang der Diabelli-Variationen als Opus magnum im pianistischen Œuvre von Beethoven und als eines der musikhistorisch gewichtigsten des Genres überhaupt – mit den Goldberg-Variationen von Bach als Erbgut und den „Händel-Variationen“ von Brahms als Konsequenz – herrscht lange schon Einigkeit.
Dabei hat die Größe des Werkes auf manche Pianisten – und nicht die unbedeutendsten – auch einschüchternd gewirkt. Edwin Fischer oder Wilhelm Kempff haben zeitlebens ehrfürchtig einen Bogen um dieses angeblich so sperrige Hauptwerk gemacht, das bisweilen als melancholischer, oft grimmig humorvoller Kommentar zur gesamten Musikliteratur erscheint und manchmal auch wie ein avantgardistischer Blick auf die Musik des zwanzigsten oder gar einundzwanzigsten Jahrhunderts wirkt.
Einen Mikrokosmos des Beethovenschen Genies nannte Hans von Bülow dieses kompositorische Monument, das kein Variationenwerk im traditionellen Sinne darstellt, weil es das simple Thema nicht ornamental umspielt, sondern in seine Teile zerlegt, um aus dem musikalischen Material eine ganze Enzyklopädie des Klavierspiels zu entwickeln.
András Schiff hat nach seiner vielfach preisgekrönten CD-Einspielung sämtlicher zweiunddreißig Klaviersonaten von Beethoven bei ECM nun eine Aufnahme der Diabelli-Variationen vorgelegt, die in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich genannt werden muss.
Zunächst hat der ungarische Künstler das kolossale Variationenwerk mit zwei weiteren späten Hauptwerken für Klavier, der Sonate op. 111 und den Bagatellen op. 126 kombiniert. Im Falle der Sonate, die schon den markanten Schlusspunkt seiner Gesamtaufnahme aller Sonaten auf acht Alben bei ECM gesetzt hat, wird hier in dieser Neuaufnahme noch einmal auf eindrucksvolle Weise der innere Zusammenhang zu den Diabelli-Variationen bewusst gemacht. Das Thema der Arietta von op. 111 und der Walzer von Diabelli stehen beide in der Tonart C-Dur, sind auftaktig und im Dreiermetrum gestaltet. Noch auffälliger sind die gleichen Intervalle, die fallende Quarte C-G und die fallende Quinte D-G, die beide Themen charakterisieren. Und die Bagatellen sind alles andere als das, was der Begriff suggerieren mag. Es sind die letzten Auseinandersetzungen Beethovens mit seinem bevorzugten Instrument. András Schiff hat sie als ebenso poetische wie tiefsinnige Aphorismen, die vierte Bagatelle gar als „eine geradezu dämonischer Musik von erstaunlicher Modernität“ bezeichnet.
Die Aufnahmen sind aber noch aus anderen Gründen bemerkenswert. Denn András Schiff hat seine Einspielung nicht auf einem modernen Steinway durchgeführt, vielmehr in zwei verschiedenen Fassungen auf zwei älteren Instrumenten: einem Hammerflügel aus der Zeit Beethovens, der die ganze reiche Klangwelt des Komponisten aufscheinen lässt, und einen originalen Bechsteinflügel von 1921, das bevorzugte Instrument eines Wilhelm Backhaus und eines Artur Schnabel, das auch für András Schiff ein nahezu vergessenes Klangideal darstellt. Die CD 1 enthält die Sonate op. 111 und die Diabelli-Variationen, aufgenommen auf dem Bechsteinflügel, CD 2 dann eine zweite Fassung der Diabelli-Variationen und die Bagatellen op. 126 in einer Einspielung auf einem Fortepiano von Franz Brodmann aus dem Jahre 1821 aus Wien. Man hat somit die einmalige Gelegenheit eines Vergleichs dieser so unterschiedlichen, sehr differenzierten, auch durch die zusätzlichen Pedale außergewöhnlichen Klangwelten, die sich so sehr von dem ausgeglichenen, kühl-objektiven Ton eines modernen Instruments unterscheiden.
Schließlich hat András Schiff für seine Einspielung auf die Beethovensche Originalhandschrift des Werkes zurückgreifen können, die bisher unzugänglich gewesen ist und auch dank seiner Initiative und Unterstützung seit dem Jahr 2009 zur Sammlung des Bonner Beethoven-Hauses gehört. Mehr als jede andere Quelle des Werkes gibt dieses Original Aufschluss über den Schaffensprozess der Komposition, wobei Schriftduktus und Schriftdynamik subtile Hinweise auf Spannungsbögen, Crescendi und Tempi geben. Die Handschrift verschafft Einblicke in die Werkstatt des Komponisten und ist zugleich unschätzbare Brücke zu den Intentionen Beethovens.
Das 2-CD-Set enthält ein 52-seitiges Booklet mit Texten von András Schiff, Michael Ladenburger und Paul Griffiths sowie Musikerfotos und Faksimiles von Beethovens Originalhandschrift.

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