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Vivaldi predigt australisch: Andreas Scholl

14.02.2001
Gibt es gute Gründe, Musik des Venezianers Vivaldi ausgerechnet in Australien aufzunehmen? Der Countertenor Andreas Scholl hat einige.
Andreas Scholl erwähnte eine Zusammenarbeit mit dem australischen Dirigenten Paul Dyer und seinem Australian Brandenburg Orchestra zum ersten Mal während einer Taxifahrt mit dem Produzenten der Decca. Scholl, der deutsche Countertenor mit der “unzweifelhaft schönsten Stimme unserer Zeit” (Zeitschrift “Opera”), war bei Decca frisch unter Vertrag und der Produzent machte sich so seine Gedanken zum Thema Australien, Vivaldi und Scholl: "Vor meinem inneren Auge blitzte sofort ein gigantisches Budget auf und gleichzeitig hatte ich das flaue Gefühl, dieser neue Künstler der Decca könnte möglicherweise etwas überspannt sein.
 
Dass er es nicht ist, dafür aber schnell erkennt, wann er künstlerisch mit einem Orchester und seinem Leiter auf einer Wellenlänge arbeitet – davon konnte er den Produzenten überzeugen. Überzeugend ist auch seine neue Einspielung des “Nisi Dominus” und geistlicher Motetten von Antonio Vivaldi. Andreas Scholl entdeckt an Vivaldis Musik ganz neue Seiten – und bringt sie mit seinem Stimmglanz neu zum Strahlen: “Wenn ich diese Musik singe, kommen mir automatisch Tausende von Ideen, weil sie so anregend ist. Mich interessiert die Klangfarbe der Worte, die in die Musik einfließt, ganz eng verbunden mit großen Gefühlen, wie zum Beispiel im einleitenden Satz vom ‘Nisi Dominus’”.
 
Obwohl die Aufnahmen im zwar akustisch perfekten, aber für geistliche Musik des 18. Jahrhunderts wenig stimmungsvollen Studio der Australian Broadcasting Corporation stattfanden, gelang es Scholl und Dyer, gemeinsam eine Atmosphäre von sakraler Konzentration zu schaffen. Die anfängliche Verblüffung wich der Inspiration. Diese Vokalmusik “ist wie eine Meditation mit Musik, eine Katharsis für den Singenden wie für den Zuhörenden”, erklärte Andreas Scholl. Der Dirigent Paul Dyer fühlte sich an seine katholische Erziehung erinnert und daran, dass er eine der Textstellen als Kind auf dem Weg zur Beichte wie eine Litanei vor sich hersang. “Worum es mir geht, sind die besonderen Momente in der Musik, wenn sie uns entrückt”, erklärt Andreas Scholl. “Wir als Musiker spielen nicht nur, was da steht, wir leben es auch. Ich glaube, Musizieren war damals wie eine Predigt mit den Mitteln der Musik.” Der rote Priester Vivaldi hätte seine Freude.

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