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Zeit der Künstlichkeit: Andreas Scholl

17.12.2001
Andreas Scholl singt auf seinem neuesten Album “köstliche Ayres, gesammelt von den besten Autoren auf englisch, französisch, spanisch und italienisch”. Die klingen bei ihm kräftig entstaubt.
John Dowland war der Superstar der Laute – um 1600, als man mit dem leisen, schnell verstimmten Instrument noch richtig Furore machen konnte. Mit seinen Aires spielte er sich von Hof zu Hof, kommentierte Politik und Liebesaffairen in seinen Liedern. “Als ich an den Braunschweiger Hof kam, hatte man reichlich Verwendung für mein Talent und gab mir zum Dank dicke Ketten aus Gold, 23 Pfund Dukaten zusammen mit Samt, Satin und Goldspitze für mein Kostüm.” Er tourte quer durch Europa, gastierte in Venedig und Florenz, und wurde 1589 für eines der besten Musikergehälter, die je an einem Königshof bezahlt wurden, vom dänischen König Christian IV. verpflichtet. Dieser berühmte John Dowland hatte einen Sohn, Robert, der bereits mit neunzehn Jahren eine Sammlung von Liedern veröffentlichte, die bald ebenso berühmt wurde. Sie enthielt Lieder von spanischen und französischen Komponisten, bei manchen war auch Vater John als Songschreiber angegeben. Doch alles, was “A Musicall Banquet” enthielt, war musikalisch so ausgefeilt und raffiniert in der Bildsprache, dass niemand anders als Big Daddy hinter der gesamten Sammlung stehen konnte: “A Musicall Banquet” wurde auf viele Jahre zum Renner – und war dann, wie Robert Dowland auch, drei Jahrhunderte lang völlig vergessen.
 
Doch mit der quirligen Energie der Originalinstrumentalisten kam in den letzten 15 Jahren auch das Revival der Laute. Man spielte sie in selbstgestrickten Wollmützen und den berühmten Korksandalen auf Mittelaltermärkten und die Zuhörer bissen beherzt in bröselige Vollwertkuchen. Bei Andreas Scholl und seinen Musikkollegen klingt das anders: Die Zeit der Spätrenaissance beginnt elegant zu schillern und zu glänzen, die poetischen Bilder der Lieder entfalten eine Stimmung von Sehnsucht und Verweigerung, sinnlich und utopisch. Für die Aufnahme der “Greatest Hits von 1610” hat er den Cembalisten Markus Märkl und Edin Karamazov für die verschiedenen Lauten verpflichtet, Freunde, die ihn schon auf Liederabenden in der ganzen Welt begleiteten. Dazu stieß Christoph Coin, “in gewisser Weise ein Luxus, einen so gefeierten Gambisten engagieren zu können”, sagt Andreas Scholl dazu.
 
“Natürlich kommt diese Musik aus einer sehr fernen Zeit.” Andreas Scholl sagt es mit einem leichten Lächeln. “Solche Liedtexte, die eigentlich Gedichte sind, so gespickt mit literarischen Anspielungen und dieser diffizilen Bildsymbolik, die allen Zuhörern in der Renaissance vertraut war – das einem modernen Publikum nahezubringen, ist nicht leicht.” Aber dann hört man ihn Dowlands berühmtes “In darkness let me dwell” singen – die Stimme erhebt sich mit dieser unverwechselbaren Leichtigkeit, rein, wie auf einer Oboe geblasen. “Der Schmerz soll mein Boden sein, das Dach Verzweiflung und die Mauern aus schwarzem Marmor feucht von meinen Tränen …” Ist das Kitsch oder Gefühl, Balladenton oder getextete Musik? Bedeutungslose Fragen bei soviel schierer Schönheit. Scholl erzählt voller Begeisterung: “Nur eine sehr kurze Zeitspanne in der Spätrenaissance stehen Melodie und Dichtung gleichrangig nebeneinander. Die Musik wurde förmlich in die Textzeilen hineinkomponiert. Wenn dann noch die Instrumentalbegleitung so kundig und dabei so einfallsreich gespielt wird, wie von meinen Musikerkollegen, dann entsteht vokale Kammermusik in ihrer schönsten Form.” Andreas Scholl ist ein Superstar der Klassik im Jahr 2000 und deshalb nicht nur im Konzertsaal zu hören. Eines seiner Tourkonzerte mit “A Musicall Banquet” ist am 18. Januar ab 20.30h MEZ unter “www.iclassics.de” live im Internet zu sehen. “Bin ich schon drin?” fragt Boris Becker, bei Andreas Scholl heißt es: Klar, hier spielt die Musik.

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