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“Love Never Dies”: Ein Interview mit Andrew Lloyd Webber!

Andrew Lloyd Webber 2018
22.02.2010
Was können Sie uns über die Geschichte berichten, die in “Love Never Dies” erzählt wird?

Ich muss sehr stark aufpassen, was ich darüber erzähle, denn die Geschichte ist äußerst verwoben, und ich will auf gar keinen Fall schon im Vorfeld zu viel verraten. Was ich jedoch verraten kann ist, dass sie rund zehn Jahre nach dem “Phantom der Oper” angesiedelt ist und in Coney Island spielt. Coney Island ist ein fantastischer Ort – Sigmund Freud hat einmal gesagt, dass die Halbinsel der “einzige Grund für eine Reise in die Vereinigten Staaten” sei. Etwas Vergleichbares gab es damals einfach nicht: Es war gewissermaßen das achte Weltwunder und das Mekka der Kuriositäten, ein Ort, der Freaks und schräge Vögel magisch anzog – und so passt es ausgesprochen gut, dass auch das “Phantom” hier irgendwann landet. Die Geschichte spielt also zehn Jahre später und er ist inzwischen in Coney Island angekommen. Er hat Madame Giry mitgenommen, seine alte Freundin, wie auch Meg, deren Tochter, und er ist sozusagen derjenige, der das ganze Treiben in Coney Island wie eine Art Kirmes-Mogul regiert. Er hat die Fäden in der Hand, und genau dort beginnt unsere Geschichte.

Wie genau kamen Sie denn nun eigentlich auf die Idee, eine Fortsetzung des “Phantoms der Oper” zu realisieren – und warum gerade jetzt?

Ich hatte immer schon das Gefühl, dass das “Phantom” mit einer Art “Cliffhanger” endet und daher habe ich schon länger mit dem Gedanken gespielt, irgendwann mal eine Fortsetzung daran anknüpfen zu lassen. Es hat nun einmal sehr viel Zeit gekostet. Genauer gesagt: Ich hatte diese Idee schon vor 15 Jahren, ja, vielleicht habe ich sie sogar noch länger mit mir herumgetragen. Damals hatte ich schon die Idee, dass das “Phantom” nach Amerika geht, und ich sprach mit Frederick Forsyth, dem Autor von “Der Schakal”, darüber – bekanntermaßen ein großartiger und sehr erfolgreicher Autor. Wir unterhielten uns also und dachten uns einen Handlungsverlauf aus, den er daraufhin in ein kleines Büchlein verwandelte: “Das Phantom von Manhattan”. Mir reichte das aber irgendwie noch nicht und so stand ich doch wieder ganz alleine da. Das einzige, was mir durch dieses Buch klar wurde, war, dass das “Phantom” dieses Mal ganz oben stehen würde und eben keine Existenz im Untergrund fristen sollte wie diejenige unterhalb des Pariser Opernhauses. Doch zunächst einmal legte ich dieses Projekt ad acta und vergaß die ganze Sache.

Vor ungefähr drei Jahren dachte ich dann wieder daran und mir wurde klar, dass ich damit immerhin schon den Ansatz einer Idee hatte. Also arbeitete ich weiter daran, holte ein paar Autoren hinzu, aber wiederum kam nichts Konkretes dabei heraus. Doch dann arbeitete ich gemeinsam mit Ben Elton an einem anderen Projekt, und Ben, der ein grandioser Geschichtenerzähler ist, sagte irgendwann: “Weißt du was? Das Ganze ist wirklich verrückt, wenn man es einmal genau betrachtet. Die Idee, dass er nach Amerika auswandert, ist ein großartiger Ansatz; dass er vielleicht in Coney Island landet, das ist eine tolle Idee, aber du machst den Fehler, dass du die anderen Figuren der Originalversion vollkommen außer Acht lässt. Du lässt sie einfach so zurück und kommst stattdessen immer mit neuen Charakteren an. Ich werde mir jetzt mal eine Handlung ausdenken, in der auch die anderen Charaktere aus dem Ur-‘Phantom’ wieder auftauchen.”

Darum sind jetzt alle fünf wieder dabei: Raoul und Christine, Meg, Madam Giry und das “Phantom”. Sie alle tauchen wieder auf und es gibt nur eine neue Figur, Gustave nämlich, den zehnjährigen Sohn von Christine und Raoul. Das wären auch schon die zentralen Figuren. Nun, die eigentliche Handlung will ich hier nicht verraten, aber Ben ist es gelungen, das Fortsetzungsproblem auf grandiose Weise zu lösen. Gute Geschichten sind für mich das A und O, mit ihnen steht und fällt eine Inszenierung, und ich denke, dass jeder, der Musicals schreibt, von guten Geschichten fasziniert ist –; genau genommen könnte ich gar nicht loslegen, wenn mir die Geschichte nicht gefällt. Doch als ich dann den Rohentwurf dieses neuen Handlungsstrangs sah, vor ungefähr 18 Monaten übrigens, war ich sofort hin und weg. Mein erster Gedanke war: “Wer wäre wohl der geeignete Liedtexter dafür? Wer ist gut genug?” Alle möglichen Leute hatten mir von Glenn Slater erzählt, der für das Broadway-Musical “The Little Mermaid” oder die Musical-Adaption von “Sister Act” gearbeitet hat. Es hat sofort Klick gemacht, und so konnte es gleich losgehen.

Berichten Sie doch mal von den beiden Hauptdarstellern, die Sie dieses Mal für sich gewinnen konnten.

Die männliche Hauptrolle spielt momentan zugleich das “Phantom” in London. Er spielt diese Rolle schon seit Jahren und kommt sehr gut bei den Leuten an. Dazu muss ich sagen, dass er das “Phantom” äußerst sexy spielt. Er heißt Ramin Karimloo und ist einfach wahnsinnig gut. Wir haben gerade erst die Albumaufnahmen abgeschlossen und alles ist im Kasten, was ungewöhnlich ist für eine Show wie diese. Die andere Hauptrolle spielt Sierra Boggess, die “The Little Mermaid” in New York gespielt hat – wir kennen uns schon eine ganze Weile. Sie hat die Rolle der Christine schon gespielt, als sie noch sehr jung war – nun, sie ist immer noch extrem jung –, aber sie war gerade mal 21, als sie die Rolle in der Version des “Phantoms” übernahm, die ich damals in Las Vegas aufführte. Sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin, und jetzt, wo wir alles aufgenommen haben, weiß ich auch, wie unglaublich gut die beiden zusammenpassen. Die Leidenschaft, dieses Gefühl, das die beiden gemeinsam rüberbringen, das ist ehrlich gesagt manchmal kaum auszuhalten. Es ist so wahnsinnig intensiv.

Wie lauten die internationalen Pläne für “Love Never Dies”?

Ursprünglich dachten wir, dass wir “Love Never Dies” gleich von Anfang an weltweit aufführen. Genau genommen dachten wir dabei an drei Inszenierungen gleichzeitig. Allerdings haben wir diesen Plan dann doch verworfen, weil ich Bedenken hatte, dass wir in so kurzer Zeit ausreichend gute Schauspieler für die unterschiedlichen Produktionen finden würden. Mir war letztlich wichtig, dass wir bei der Uraufführung mit der perfekten Besetzung auftrumpfen – und darum gibt es auch schon jetzt ein Album zu dem Musical, auf dem diese Originalbesetzung zu hören ist. Ich glaube, dass es etwas Derartiges noch nie zuvor gegeben hat.

Im März findet die Uraufführung in London statt, danach geht es im November in New York weiter. Was den Fernen Osten und Kanada betrifft, existieren auch schon ziemlich konkrete Pläne, und generell hoffen wir, das Stück im Rest der Welt schneller als sonst aufführen zu können. Dennoch hängt all das letztlich von den Schauspielern ab, die wir dafür finden.

Wenn Sie über mögliche Reaktionen auf “Love Never Dies” nachdenken, sind Sie dann einfach nur gespannt und aufgeregt oder regelrecht nervös?

Nun, natürlich bin ich nervös – immerhin lege ich den Nachfolger zu meinem größten Bühnenerfolg vor, und da kann man schon ein wenig nervös werden. Schließlich ist “Das Phantom der Oper” wirklich das Größte, was ich jemals gemacht habe, größer noch als “Cats”, und schon damals dachte ich, das Stück wäre nicht mehr zu überbieten.

Ich muss sagen, dass ich sehr stolz auf das neue Stück bin. Ich denke, dass es unter Umständen etwas dreidimensionaler als das Original ist, was die ganze Darstellung betrifft, schließlich war das Original im Grunde genommen nur eine abgeänderte Version von “Die Schöne und das Biest”, eine Version mit einem gewissen Twist. Dieses Mal sind die Charaktere wirklich voll ausgereift, wozu ich damals nicht so die Gelegenheit hatte, und darum war es auch so ungemein spannend, die Musik für “Love Never Dies” zu schreiben. Um zur Frage zurückzukommen: Ja, natürlich bin ich nervös, aber ich bin zugleich extrem stolz auf das Ergebnis, und ich kann es kaum abwarten, das Stück auf der Bühne zu sehen.

Wenn Sie darüber nachdenken, zu was für einem Ausnahmephänomen “Das Phantom der Oper” avanciert ist, hätten Sie jemals mit einem dermaßen durchschlagenden Erfolg gerechnet?

Nun, ich muss sagen, als ich “Cats” schrieb und sich das Stück schließlich zum erfolgreichsten Musical in der Geschichte des Broadways entwickelte, hätte ich nie und nimmer daran geglaubt, ein vergleichbar erfolgreiches Stück zu schreiben, ja nicht mal ansatzweise. Und dann kam dazu, dass eigentlich keiner damit gerechnet hat, dass das “Phantom” dermaßen gut ankommen würde. Ich kann mich noch dran erinnern, wie wir in London Uraufführung hatten: Damals war das Musical “Chess” in aller Munde, und alle gingen davon aus, dass es der absolute Hit des Jahres sein würde. Wir hatten daher die Außenseiterposition, und dann ging es doch mit einem Mal durch die Decke. Ich meine, schon bei der ersten Probeaufführung wussten wir, dass wir da etwas ganz Besonderes auf die Bühne brachten, aber wir hatten definitiv keine Ahnung, wie sich das alles noch entwickeln sollte. Was ich damit sagen will: Wir wussten also keinesfalls, dass es Menschen geben würde, die ihren Namen tatsächlich in Christine Daaé ändern lassen würden und was da sonst noch alles vorgekommen ist. Natürlich reden wir hier von einer Zeit, in der es noch kein Internet gab, und da wundert man sich schon, dass trotzdem diese ganzen Fanclubs in aller Welt aus dem Boden schossen. Wenn man bedenkt, was so schon alles über jede einzelne Performance geschrieben wurde, muss man sich wirklich fragen, was wohl passiert wäre, wenn es das Netz damals schon gegeben hätte. Wie dem auch sei, es ist definitiv sehr schwer, einen Nachfolger zu machen, das auf jeden Fall, und kein Mensch glaubt, dass die nächste Arbeit noch erfolgreicher als die vorherige sein kann, besonders wenn man dabei wie ich das Glück hatte, ein so großes Ding wie das “Phantom” auf die Bühne zu bringen.

Wie lauten Ihre Pläne zur Albumveröffentlichung?

Auch wenn das Album komplett fertig ist, werden wir vor der Uraufführung des Stücks nur ein paar Songs veröffentlichen, denn ich will mit der Veröffentlichung der kompletten LP noch so lange warten, bis die Show wirklich läuft und wir wissen, was da eigentlich passiert. Dennoch glaube ich, dass es mehr oder weniger parallel zur Uraufführung in die Läden kommen wird, was sicher ungewöhnlich ist, das weiß ich auch, aber es ist nun mal schon komplett fertig, und wir halten es momentan bloß noch ein wenig unter Verschluss.

Was können Sie uns sonst noch über das Team verraten, das an “Love Never Dies” mitgewirkt hat?

Wie ich schon sagte, war es Ben Elton, der die Geschichte entwirrt und in die endgültige Form gebracht hat. Seine Version ist einfach großartig, und nur darum sitze ich heute hier und kann über “Love Never Dies” reden.

Mein Liedtexter ist Glenn Slater, einer der aufstrebenden, jungen Leute da draußen, um nicht zu sagen: der beste von ihnen. Genau genommen geht die Arbeit für uns beide gleich weiter: Wir werden auch zusammen am “Zauberer von Oz” arbeiten, aber das ist eine andere Geschichte.

Als Regisseur konnten wir Jack O’Brien gewinnen, also eine echte Broadway-Legende. Mich hat es wahnsinnig beeindruckt, dass es ihm gelungen ist, “Hairspray” in ein Musical zu verwandeln, und auch seine Version von Puccinis “Il trittico” im Metropolitan Opera House ist grandios, sicherlich eine der aufwendigsten Opernproduktionen, die es gibt, wie auch die “The Coast of Utopia”-Trilogie von Tom Stoppard. Durch einen von Stoppards Freunden kam ich überhaupt erst auf Jack, weil Tom so begeistert von seiner Arbeit als Regisseur war. Die Arbeit mit ihm war einfach toll, echt lustig und zugleich ist er wie ein Fels in der Brandung, wenn es darum geht, den Überblick zu bewahren.

Bob Crowley ist unser Bühnenbildner und Kostümdesigner, der momentan wichtigste Designer also in meinem Team. Unglaublich traurig an der ganzen Sache ist, dass Maria Björnson, die als Bühnenbildnerin am “Phantom der Oper” mitgearbeitet hat, vor ein paar Jahren unter sehr mysteriösen Umständen und viel zu jung ums Leben gekommen ist. Natürlich hatte ich mich auch mit Maria schon über einen möglichen Nachfolger zum “Phantom” unterhalten, aber Bob war sehr, sehr gut mit ihr befreundet – genau genommen war er eine Art Mentor für sie –, und ich würde sagen, dass das neue Stück daher gewissermaßen ihr gewidmet ist.

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