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Komik der Liebe

Anna Netrebko © Esther Haase / DG
© Esther Haase / DG
05.08.2005
In der wirklichen Welt tobte der zweite Weltkrieg. Sergei Prokofiev (1891–1953) schrieb eine komische Oper. Er distanzierte ihre Handlung soweit als möglich von der sowjetrussischen Realität und verlegte sie ins Sevilla der Figaro-Ära. Das war notwendige Vorsicht – immerhin schickte Stalin nur allzu schnell regimekritische Zeitgenossen ins Arbeitslager nach Sibirien -, aber auch ein dramaturgischer Trick, weil er dann durch historische Distanz und kulturelle Anspielungen seine handelnden Figuren ebenso burlesk wie kurios erschienen lassen konnte.
So entstand 1940 mit Die Verlobung im Kloster eine der elegantesten russischen Opern des vergangenen Jahrhunderts, die von Valery Gergiev am St. Petersburger Mariinsky Theater Ende der neunziger Jahre mit viel Witz und Pracht wieder aufgenommen wurde. Und die mit der jungen Anna Netrebko als Luisa einen künftigen internationalen Opernstar auf die Bühne brachte.
Prokofiev war verliebt. Die Angebetete hieß Mira Mendelson, war immerhin 24 Jahre jünger als der arrivierte Komponist und seine Schülerin. Sie brachte ihm den Stoff der Verlobung im Kloster nahe, assistierte ihm beim Verfassen des Librettos, und ließ den reifen Herren, wie es eben so passiert, im vollen Saft der Hormone stehen. Resultat war zum einen eine Liebestollheit, die dazu führte, dass Prokofiev nicht nur ein Techtelmechtel erhoffte, sondern gleich seine Frau und seine beiden heranwachsenden Kinder verließ. Auf der anderen Seite war er aber auch inspiriert wie schon lange nicht mehr und konnte sich aus ehrlich empfundenem Gefühl in die Rollen der jungen Liebenden der Oper hineinversetzen, die er in verschiedenen Näherungen sich finden ließ. Die Vorlage des Librettos stammte aus England und basierte auf dem Theaterstück “The Duenna” von Richard Brinsley Sheridan (1751–1816). Der wiederum hatte sich bereits auf “The False Friend” gestützt, eine ältere Komödie von Vanburgh nach einer französischen Vorlage. Alles in allem war der Plot daher ausreichend historisiert, um im Sowjetstaat als ungefährlich angesehen zu werden. Die Charaktere, die zwar genau genommen im Sevilla des 18.Jahrhunderts situiert sind, versorgte der Komponist aber durchaus mit russischen Charakterzügen, so dass sie für das Publikum nachvollziehbar wurden.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Don Jerome, ein spanischer Edelmann, hat zwei Kinder. Luisa liebt Don Antonio, ist aber dem reichen und hässlichen Mendoza versprochen. Ferdinand liebt Clara, ist aber noch nicht an sie herangekommen. Über vier Akte hinweg wird so lange intrigiert, bis alle Paare sich gefunden haben und selbst Mendoza unter die Haube kommt, wenn er auch irrtümlich Luisas Zofe Duenna heiratet. Prokofiev erzählt die Handlung mäandrierend in zahlreichen amüsanten Windungen und verzichtet bewusst auf allzu freitönende Elemente, wie man sie zum Beispiel aus “Die Liebe zu den drei Orangen” (1919) kannte, die aber bei den Sowjets als “unrussisch” betrachtet wurden. Premiere war kriegsbedingt erst 1946 in Leningrad. Immerhin, das Stück wurde akzeptiert und gehörte nun auch zu den wichtigen Repertoireelementen der Nachkriegszeit.
Unter Valery Gergievs Ägide wurde es am Mariinsky Theater mit viel Pomp und Schmiss Ende der Neunziger wieder aufgeführt und außerdem für Film und Fernsehen aufgezeichnet. Mit dabei waren ein schon beinahe absurd überzeichneter Mendoza (Sergei Aleksashkin), ein wunderbar verwirrter Don Jerome (Nikolai Gassiev), eine brillant kokette Duenna (Larissa Diadkova) und natürlich die damals bereits zum Liebling des Hauses avancierte Anna Netrebko als Luisa, die durch ihre enormes schauspielerisches Talent und ihre farbenreiche und temperamentvolle Stimme dem Ganzen einen besonderen juvenilen Charme verlieh. Heraus kam daher ausgezeichnete und humorvolle Opern-Unterhaltung, die nicht nur die zukünftige Karriere Netrebkos als international gefeierte Operndiva erahnen ließ, sondern darüber hinaus ein Stück russischer Musiktradition auf ansprechende und anspruchsvolle Weise präsentiert.

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