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Größe in der kleinen Form – Anne-Sophie Mutter spielt Brahms

Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis ©Harald Hoffmann
Harald Hoffmann
10.03.2010
Seit rund zwei Jahrzehnten haben die Geigerin Anne-Sophie Mutter und der Pianist Lambert Orkis die „Violinsonaten“ von Johannes Brahms im Programm. Aber erst jetzt waren sie der Meinung, dass die Zeit reif wäre, die kammermusikalischen Meisterstücke auf dem aktuellen Stand der eigenen Kunst aufzunehmen. „Wir haben diese Sonaten studiert, mit ihnen gelebt, sie auf verschiedenen Kontinenten zusammen gespielt und sind mittlerweile um ein paar Lebenserfahrungen reicher geworden,“ meint Lambert Orkis zu dem gemeinsamen Projekt und ergänzt: „Dies alles fließt jetzt in unser Musizieren ein. Und der Komponist Brahms macht keine Show. Er zeigt uns das Leben, die Schönheit, die Kunst. Einfach wundervoll“.
Johannes Brahms war kein Geiger. Aber er hatte mit Joseph Joachim einen ausgezeichneten Berater, der als einer der größten Virtuosen des Instruments seiner Zeit galt. Und er war Perfektionist, darauf bedacht, ein Maximum an Ausdruck und Dramatik aus einer bestimmten Kombination zu destillieren. Die „Violinsonaten“, die zwischen 1878 und 1886 entstanden, waren dabei vielleicht noch deutlicher als andere seiner Werke beeinflusst von Ereignissen und Stimmungslagen, die Johannes Brahms im Zeitraum der Entstehung beschäftigten. „Für mich nimmt die G-Dur-Sonate eine ganz besondere Stellung ein“, erklärt Anne-Sophie Mutter, „weil sie vielleicht das privateste der drei Werke ist. Brahms hat dieser Sonate das Thema seines von Clara Schumann so geliebten ‘Regenlieds’ zugrunde gelegt, und dieses punktierte Thema zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Sätze. Clara hatte gerade ein Kind verloren, und ihr Sohn Felix hatte Tuberkulose. Es ging ihr also sehr schlecht, und Brahms schrieb diese Sonate, um sie zu trösten. Die A-Dur-Sonate, die acht Jahre später komponiert wurde, ist sehr viel sonniger. Da hatte Brahms ein Auge auf eine Sopranistin geworfen – und er war wieder einmal im Urlaub am Thuner See. Er hat furchtbar gerne im Urlaub komponiert, alle drei Sonaten entstanden so“.
Die beiden Sonaten von 1886 hatte der Pianist persönlich uraufgeführt und sie dokumentieren, dass der Komponist ein ausgezeichneter Musiker gewesen sein muss. Denn noch mehr als ein Jahrhundert nach der Entstehung sind die Klavierparts eine Herausforderung, selbst für einen Meister wie Lambert Orkis: „Man hat die Hände voller Töne, aber diese dienen nicht etwa ihrer eigenen Klangherrlichkeit, sondern nur ihrer musikalischen Funktion. … Seine Stimmführung ist fantastisch. Brahms wusste sehr genau, wie er mit den Instrumenten Stimmungen schaffen konnte. Und dann diese Momente der Stille, wenn das Flüstern anhebt und dazu dieser Klangnebel aus dem Klavier aufsteigt – das ist Brahms.“
Es erfordert wiederum eine Erfahrung, die es besonders spannend macht, einem langjährigen, musikalisch harmonierenden Team wie Lambert Orkis und Anne-Sophie Mutter zu lauschen, die sich diesen klingenden, stellenweise dramatischen Dialogen zuwenden. Die neuen Aufnahmen der „Violinsonaten“ von Johannes Brahms, denen sich die Geigerin bereits zu Beginn ihrer Kariere einmal mit einer Einspielung beschäftigt hatte, entstanden Ende 2009 im akustisch herausragenden Pollinger Bibliothekssaal, und zeigen zwei Koryphäen des Zusammenspiels, deren interpretatorische Kompetenz vom ersten Ton an bezaubert. „Wie haben diese Sonaten jetzt seit über zwanzig Jahren im Programm“, meint Anne-Sophie Mutter. „Meine Sichtweise von Brahms – wie von allem, was ich heute spiele – hat sich natürlich verändert. Mein Musikverständnis hat sich weiterentwickelt, wie auch überhaupt – ob man will oder nicht – das Leben seine Spuren hinterlässt, nicht nur mental, sondern auch im Herzen und in der Seele. Man wird reifer und bei den Brahms-Sonaten erlebe ich in unserer Interaktion sehr viel mehr Gespür für Details, für Klangfarben und für die dialogischen Verflechtungen“. So konnte eine maßgebliche Aufnahme entstehen, die übrigens in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk zustande kam, der den Künstlern und dieser Einspielung am 11.März 2010 von 19:05 Uhr an eine eigene Sendung im Hörfunk bei BR Klassik widmet.

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