Anne-Sophie Mutter | News | Über den Tellerrand

Über den Tellerrand

04.04.2003
Es gibt kaum etwas, dass Anne-Sophie Mutter nicht spielen kann. Doch darum geht es ihr nicht. “In der Musik ist Instinkt genauso wichtig wie Intellekt”, meint sie und präsentiert mit “Tango Song And Dance” ein für sie ungewohntes Recital mit Werken von Fauré, Brahm, Gershwin, Kreisler. Und mit der Titelkomposition von ihrem Mann André Previn, der sie im Wechsel mit Lambert Orkis am Klavier begleitet.
Anne-Sophie Mutter gilt als ungewöhnlich anspruchsvoll. Das verwundert kaum, wenn man sich überlegt, dass sie bereits als Siebenjährige Preise sammelte, als Teenagerin mit Karajan und im Laufe der folgenden Jahre mit nahezu allen renommierten Orchestern und Dirigenten dieser Welt gearbeitet hat. Trotzdem gibt es noch Musik, die sie herausfordert: “Nach all den ernsten Recitals wollte ich Stücke spielen, die das Fundament der Musikgeschichte wiederspiegeln, jene Volkslieder und Tänze, die über die Jahrhunderte Komponisten immer wieder inspiriert haben. Also hat André Previn ‘Tango Song And Dance’ geschrieben. Aber die Idee geriet in Vergessenheit, weil mich andere Dinge, beispielsweise die Aufführung der Beethoven-Sonaten, beschäftigten und auch der Kontext noch nicht stimmte – dieses einzigartige Stück in einem klassischen Rahmen zu spielen, hätte einfach nicht gepasst. Diese lange Verzögerung war für mich allerdings ungewöhnlich. Meistens kommen die letzten Seiten eines neuen Stückes Minuten, bevor ich es spielen muss, bei mir an”.
 
So ließen sich Mutter Zeit, zumal auch die Terminkalender kaum Raum für gemeinsame Aufnahmetermine boten. Über ein Dreivierteljahr hinweg wurden die fünf Stücke des Albums vom Dezember 2001 an im Münchner Herkulessaal aufgenommen, Gershwins “Porgy & Bess”-Transkription von Jascha Heifetz und das Titelstück mit Previn am Klavier, Brahms, Kreisler und Fauré mit Mutters langjährigen Begleiter Lambert Orkis als Partner. Sie stellten die Weltklasse-Geigerin vor ihr unbekannte Herausforderungen: “'Tango Sang And Dance' ist modern und es geht zu Herzen, besonders der langsame Satz, der tatsächlich ein ‘Lied ohne Worte’ ist. Das Metrum ist immer völlig anders, als man erwartet, solche rhythmischen Strukturen kannte ich überhaupt noch nicht, wirklich sehr schwierig. Trotzdem oder gerade deshalb ist es eine wahre Freude, Andrés Stück zu spielen – die Farben, die er aus einem Instrument herausholt, das Gefühl für die Schönheit der Geige”.
 
Das liegt nicht nur an den zahlreichen klassischen Erfahrungen, die Previn als Leiter von Ensembles wie dem London Symphony Orchestra (1969–79), dem Royal Philharmonic Orchestra (1985–91) oder des Los Angeles Philharmonic Orchestra (1985–89) über die Jahre sammelte. Als geborener Berliner, der mit seiner Familie vor dem Zweiten Weltkrieg nach Kalifornien flüchtete, fand er sich in den Fünfziger auch in die elegante West-Coast-Jazzszene ein und gehörte vor allem in den Bands des Schlagzeugers Shelly Manne zu den gefragten Instrumentalisten seines Fachs. Diese umfassende musikalische Bildung, aber auch seine stets anhaltende künstlerische Neugier erlauben es ihm Stücke wie “Tango Song And Dance” oder auch sein “Violinkonzert” zu schreiben, die weitab von den Formklischees der Gegenwart die Grenzen der Genres überschreiten. Dass er nun mit Mutter auch noch eine ideale Partnerin gefunden hat, die seine Vorstellungen mühelos in lebendige Musik verwandelt, gehört zu den Glücksfällen, die die Kunst voran bringen.

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