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Benjamin Biolay - UMG Eyecatcher
16.08.2004
BENJAMIN BIOLAY & CHIARA MASTROIANNI
“HOME”

Ein Mann, eine Frau, ein Kaminfeuer und ein trautes Heim: Manchmal genügen erstaunlich simple Zutaten, um eine Platte zu produzieren. Wer meint, dass eheliches Glück großen musikalischen Eskapaden auf gar keinen Fall zuträglich sein kann, erinnere sich an eine Reihe von gelungenen Aufnahmen, die von Paaren eingespielt wurden: John und Beverley Martyn, Richard & Linda Thompson, Paul & Linda McCartney, um nur einige zu nennen. Obwohl man mutmaßen könnte, dass die Grundlage dieser jüngsten ehelichen Kreation auf etwas wackeligeren Beinen steht – wer könnte die Vermutung verübeln, dass dieses Album aus der Laune einer Schauspielerin entstand, unterstützt von ihrem liebesblinden Ehemann. Glücklicherweise haben Chiara Mastroianni und Benjamin Biolay jedoch gemeinsam ein Debütalbum geschaffen, das derartige Unterstellungen Lügen straft.

Es begann mit dem Wunsch auszubrechen. Eines Tages beschlossen Chiara und Benjamin ganz spontan, sich ohne festes Ziel auf den Weg zu machen. Irgendwie landeten sie schließlich in Den Haag. Als die Zeit zur Abreise gekommen war, wussten sie nicht, was für Musik sie auf der Reise hören sollten. Zwar hatten sie eine Auswahl von CDs dabei, darunter die Kings Of Convenience, Nada Surf und Bonnie Prince Billy, aber nichts davon passte wirklich zu der Landschaft, die unterwegs an ihnen vorbeizog. Und so entstand während dieser Reise die Idee, eine Platte mit Musik für Autofahrten aufzunehmen – Musik für einen sich bewegenden Kokon, Songs für ein Heim auf der Straße, das nicht nur ihre persönlichen Besitztümer und ihre Koffer beförderte, sondern gleichzeitig ihre gemeinsamen Träume, Fantasien, familiäre Bindungen und Reflexionen. Die Windschutzscheibe diente ihnen als Leinwand, während sie sich einen Soundtrack vorstellten, der mit den beweglichen Bildern am Horizont verschmilzt, über Felder und Täler streift – der Rhythmus des Motors vereint mit der berauschenden Hitze von bei Riesegeschwindigkeit verbrachten Nachmittagen.

Wieder daheim, versuchten sie, ihre Gedanken in eine konkrete Form zu bringen. La Ballade, der erste Song, der im Rahmen des Projekts entstand, umriss die grundsätzliche Idee mit auf einem Meer aus auf Nylon-Folkgitarren treibenden Arpeggios, mit schmeichelnden Pinseln auf den Schlagzeug-Fellen und ziemlich wenig sonst – außer ihren Stimmen, die durch die Brise gleiten wie ein Cadillac an der kalifornischen Küste oder in der roten Wüste Arizonas. Die Inspiration, ein musikalisches Roadmovie zu schaffen, mag in Europa entstanden sein, aber die Bilder, die diese dreizehn Stücke vorüberziehen lassen, sind entschieden amerikanisch, mit sonnengetränkten Tracks, deren Slide- und Dobro-Gitarren sofort eine Welt voller bunter Farben heraufbeschwören. Dazu sollte man wissen, dass Chiara und Benjamin bei sich zu Hause – wo Teile des Albums aufgenommen wurden – ihr Aufnahmestudio direkt neben dem Heimkino aufbauten, so dass sich CDs und DVDs nebeneinander stapelten und eine Fremdbestäubung zwischen beiden stattfinden konnte. Während der Entstehung von HOME – Text und Musik stammen von Benjamin, Chiara fungierte als Coautorin der Lyrics – schwebten Zelluloiderinnerungen im Takt zur Musik langsam vorbei und riefen Bilder aus Filmen wie Terrence Malicks Badlands und Wim Wenders' Paris Texas ins Gedächtnis – Werke, deren kontrollierte, beinahe gezähmte Gewalt und vagabundierende Armut mit der kargen Schönheit der Landschaft verschmelzen. Genau dort fanden Chiara und Benjamin das Grundkonzept für HOME. Und obwohl sich die ersten Songs diskret innerhalb der Grenzen ihres Folk-Pop-Kontexts bewegen, vernimmt man bei näherem Hinhören ganz deutlich das bedrohliche Grummeln eines sich ankündigenden Vulkanausbruchs.
Dies wiederum liegt wahrscheinlich an der musikalischen Geschlossenheit eines ausschließlich akustischen Werks sowie an dem Tempo, mit dem sich das Album aus ein paar detaillierten Ideen zu einer fertigen Aufnahme entwickelte. Es erforderte gerade einmal drei Sessions, jeweils drei Tage in einem Pariser Studio, um alles das auf Band zu bannen, was ein Album ausmacht. Die Musiker spielten live im Studio, um den natürlichen Fluss des Songwritings zu erhalten und seine euphorische Intensität möglichst unverfälscht wiederzugeben. Weder Saitenorchester noch andere gewichtige Verzierungen – von denen häufig behauptet wird, Biolay setze sie ein, um seine Songs aufzupeppen und anzureichern – wurden in den Mix eingebracht. HOME enthält ohne Frage einige seiner ätherischsten, elegantesten Kompositionen, tiefgründig dank Orgel und Bassline, mit Gesangsharmonien aufpoliert. Unterlegt mit dramatischem bildhaftem Realismus, geraten Stücke wie Tête à claque und Folle de toi zu einem Dialog ohne jede Andeutung von Gefühl oder Selbstbesessenheit. Ein paar ernstere Tracks beschäftigen sich mit dem Thema einer bewegungslosen Reise – eine eigenwillige Vorstellung, die den vorsichtig gewählten Worten genügend Freiraum lässt, um sowohl innerhalb wie außerhalb einer intimen textlichen Umgebung zu funktionieren, und den Kontrast zwischen Fiktion und Geständnis nutzt. Songs wie Quelque part on m’attend besitzen im Gegensatz dazu eine für die Seventies typische Unbekümmertheit, die an jene Zeit erinnert, als die französische Popmusik gern von Amerika träumte. Andere Stücke, wie L’apologie und L’Arizona liefern weitere Kontraste, an ihnen ist nichts französisch außer den Worten, sie sind durchflutet von einem Musikstil, der direkt von der Quelle zu kommen scheint. Dance rock’n'roll ist sicher der explosivste Song des Albums und erinnert an die Fünfziger, betrachtet durch den Filter der in den Siebzigerjahren gedrehten Serie Happy Days – eine Idee, die Weezer bereits in den Neunzigern aufgriffen. So legt dieses Album eine Schicht über die nächste, mischt Erinnerungen und reiht Referenzpunkte aneinander. Eine derartige Konsonanz erinnert an Paul und Linda McCartneys gemeinsames Meisterwerk RAM, obwohl letzteres zwar wie hausgemacht klang, tatsächlich aber in einem New Yorker Studio aufgenommen wurde.

Wir wissen nicht, ob Benjamin und Chiara ihr Ziel, ein Album für Autofahrten aufzunehmen, erreicht haben, aber dank der hinreißenden Trägheit ihrer Songs ist HOME auf jeden Fall die perfekte Scheibe für daheim – so einfach ist das.

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