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Da grinst der Terfel

02.07.2001
“Denn wer zuletzt lacht, lacht am besten”: Nach jahrzehntelangem Produktionsstress wollte der alte Verdi nur noch seinen Spass haben. Bryn Terfel singt “Falstaff” in der neuen Berliner Einspielung unter Claudio Abbado.
Achtzigjährig und weise schrieb Giuseppe Verdi den “Falstaff”. Sein herrlich heiteres Welt- und Bühnenabschiedswerk im leichtfüßigen Shakespeare-Schritt nannte Richard Strauss zu Recht “eines der größten Meisterwerke aller Zeiten”. Hitzig, quirlig, süffisant: Eine mitreißende Lektion über die Torheit der Menschen, die für Verdi allesamt Narren sind – wie der gebeutelte und gehörnte Dickwanst Sir John Falstaff, des Komponisten geliebtes Komödien-Tier.
 
Auf drei Kontinenten hat Bryn Terfel, der kraftstrotzende Zwei-Meter-Koloss aus der legendären Stimmschmiede Wales, bereits als Falstaff brilliert: in Australien in der Oper von Sydney, in der Lyric Opera von Chicago und schliesslich 1999 zur Wiedereröffnung von Covent Garden in London, wo Graham Vick ihn kurzerhand in einen Latex-Wanst presste, der ihn als nacktes Plastik-Paket unter die am Ende auch nackerten lustigen Weiber von Windsor trieb. Was tut man nicht alles für die Kunst! Jetzt triumphiert der walisische Bariton-Star auch als Titelheld in Claudio Abbados fulminanter Berliner CD-Neuproduktion des “Falstaff”, mit der die Deutsche Grammophon Gesellschaft das Verdi-Jubiläumsjahr zum 100. Todestag des Komponisten krönt.
 
Terfel also als Falstaff in einer Rolle, die ihm wie auf den Leib geschrieben ist. Ein Berg von Mann, der den vor Vitalität und Dreistigkeit platzenden Shakespearschen Liebesritter gleichwohl mit sublimsten Sinnesregungen ausstattet. Falstaff – feingeschliffen, sprühend, ein Wüterich ohne den Hauch von Vulgarität und bräsiger Farcen-Moral. Kein Monster, sondern ein Mensch, der freilich gnadenlos durch die Alpträume seiner Wollust getrieben wird bis hin zum Offenbarungseid von Verdis Schlussfuge mit ihrem nonchalanten Credo “Tutto nel mondo è burla” – Alles auf Erden ist Spaß.
 
Und Bryn Terfel, mit seiner herausragenden künstlerischen Intelligenz, weiß natürlich um die schwebende, schwirrende Dialektik, die Vertracktheit dieser nur scheinbar leichtgewichtigen Lustspielfigur. “Der Falstaff unterscheidet sich ja von allem, was Verdi geschrieben hat. Er ist eine unglaublich anspruchsvolle, diffizile Rolle, voller Subtilitäten. Eine Rolle mit rapiden Wechseln der Stilebenen: Tollste Komödie, immer wieder unterbrochen von Momenten schärfster Dramatik, Pathos, Verzweiflung und Zorn. Der Teufel steckt da im Detail.”
 
Seine reichen Bühnenerfahrungen als Falstaff haben ihn jedenfalls unmissverständlich gelehrt: Je zurückhaltender, minimalistischer die Gesten, desto imposanter, bewegender das Porträt. Also weg mit allem Groben, allem Klamauk! “Ein bloßes Heben der Augenbrauen, ein kleines Fingerschnipsen – das sagt doch schon alles!” Für den Gesang gelten dieselben Maximen feinster Nuancierung. “Jede einzelne Phrase braucht hier ihre eigene Farbe. Im Falstaff gibt es kein automatisches Steuerungssystem.” Hier hat der Pilot den Steuerknüppel gefälligst selbst in die Hand zu nehmen. Punktum.
 
Und mit der Entschlossenheit und jugendlichen Neugier seiner 36 Jahre fördert Terfel für seinen ersten Platten-Falstaff denn auch Umwerfendes zutage. Manchmal glaubt man gar, ihn nicht nur mit einer, sprich: seiner, sondern mit mehreren Stimmen singen zu hören. Im großen Monolog des ersten Akts, in dem er aufgebracht über den Sinn und Unsinn der Ehre räsoniert – ein rhetorisches Meisterstück auch von Verdis Librettisten Boito -, zieht er mit immer neuen, subversiven “Registern” seine heuchlerischen Mitmenschen vor Gericht.
 
So gewitzt, als wohne man einer vielstimmigen Verhandlung bei. “L’onore! Che baia!” Die Ehre! Welch Hohn: Kann Euch die Ehre denn die Wänste füllen? Nein. Renkt sie auch nur ein Bein Euch ein? Mitnichten! Den Fuß. Den Finger? Nein! Ein Härchen nur? O nein! …Ich brauche keine Ehre." Ein Kabinettstück an sängerischer Finesse und Charakterisierungskunst. Nicht ohne Grund hatte Verdi für seinen Falstaff auch höchste Flexibilität angemahnt, “klare, leichte Diktion, Akzente und Atem.” Das krasse Gegenteil also von Stimmprotzerei und derbem Buffo-Ton.
 
Es ist denn auch eine Lust zu hören, wie Terfel die Seelenabgründe und Stimmungsstürze des alten Shakespeare-Lüstlings einfärbt und wortscharf schattiert. Hatte man ihm nicht auch schon bei den Sänger-Wettbewerben im heimischen Wales die Bedeutung extremer Textdeutlichkeit eingebimst? Heute sieht er zufrieden, wie sehr er davon profitiert: “Gerade auch für die Falstaff-Partie. Im Falstaff ist das Wort ja das Sprungbrett für die Musik.” Eine Musik, die Verdi im übrigen – wie Terfel beim Studium der Originalpartitur staunend sah – mit unmißverständlichen Vortragsbezeichnungen versehen hat. Wo ihm als Sänger ein Legato durchaus schlüssig erschien, habe Verdi klipp und klar staccato gefordert. Biestige Vorgaben. Doch wie genial!
 
Ganz im Sinne Verdis findet Terfel es auch, dass sein Falstaff zuweilen einen dunkleren, maliziöseren Ton anschlägt als seine berühmten Vorgänger im Amt wie Geraint Evans oder Tito Gobbi, ja, dass er ihm durchaus etwas von Don Giovannis dämonischer Schwärze verpasst hat. Und schwingt nicht manchmal sogar etwas vom sengenden Sarkasmus seines Mephistopheles aus Berlioz' “Fausts Verdammnis” mit?
 
Terfel hat diesen seinen ersten Platten-Falstaff in Berlin unter Claudio Abbados musikalischer Ägide eingesungen. Und mit Abbado am Pult der Berliner Philharmoniker ist bei dieser DG-Neuproduktion denn auch ein Verdi-Kenner von ausserordentlicher Bravour am Werk. Es war gewiss eine der glücklichsten Entscheidungen der Deutschen Grammophon, die Aufnahme-Sessions in Berlin praktisch unmittelbar an die Aufführungen der Salzburger Osterfestspiele anzuschliessen. Noch animiert vom gemeinsamen “Falstaff”-Erlebnis und angestachelt vom grandiosen musikalischen Erfolg führen die Berliner unter ihrem Chefdirigenten Verdis “Commedia lirica” mit einer Klarheit, einem instrumentalen Witz und einer Spontaneität vor, die ihresgleichen suchen.
 
Zurück zu den Quellen, zu Verdis lebhaft schimmernden Orchesterfarben und -strukturen, so hiess Abbados Devise. Und die internationale Kritik stimmte seiner betörenden Deutung in Salzburg sogleich enthusiastisch zu. Abbado ziele weder aufs Brio-Klischee noch auf selbstgenügsame Sound-Opulenz, hiess es voller Anerkennung in der FAZ, auch verlege er sich nicht ausschließlich aufs knappe Komödien-Staccato, sondern entlocke selbst den spritzigsten Scherzando-Passagen Momente fast elegischer Kantabilität. Und die Wiener “Presse” rühmte die mediterrane Helle und federnde Leichtigkeit seiner “Falstaff”-Sicht.
 
Kein Zweifel: Abbados “Falstaff”-Einspielung ist eine Meisterleistung, bei der die Berliner Philharmoniker furios aufspielende Partner einer Sänger-Crew sind, die Verdis Alterswerk ebenfalls rasant aufzuwirbeln versteht. Neben Bryn Terfel, der die Titelpartie in diesem Sommer auch bei den Salzburger Festspielen singt, zeichnet Thomas Hampson ein markantes Charakterbild des Ford. Hochkarätig besetzt auch die anderen Partien mit Adrianne Pieczonka als Alice, Dorothea Röschmann als Nannetta, Larissa Diadkova als Mrs. Quickly und dem jungen russischen Tenor Daniil Shtoda in der Rolle des Fenton. Abbados “Falstaff” – der komödiantische Höhepunkt des Verdi-Jubiläumsjahres 2001.

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