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Eine Welt voller Fallschlingen

11.07.2007
Die Oper “Tosca” kann dem Zuschauer Angst machen. Denn in ihr tummeln sich so viel verdorbene Charaktere und moralisch zwielichtige Gestalten wie in kaum einem anderen Werk von Giacomo Puccini: ein sadistischer Polizeichef, eine mordende Titelheldin, mehrere Revolutionäre, die auch nicht eben zimperlich sind, dazu eine Hintergrundhandlung, die von Kämpfen mit Napoleon handelt. Und da das ganze Spektakel um Liebe und Eifersucht, Rache und Verblendung, Niedertracht und Intrigen  noch in großartige Musik gepackt ist, wundert es wenig, dass “Tosca” bis heute Regisseure dazu herausfordert, möglichst eindrucksvolle Bilder dazu zu finden. Nikolaus Lehnhoff beispielsweise schuf für die Nederlandse Opera in Amsterdam eine famose Inszenierung, die das Geschehen in eine bedrohliche Welt aus tödlichen Fallschlingen verlegte, die im Laufe der Oper sich um alle Protagonisten legen. Dabei konnte er nicht nur beeindruckende Bühnenräume schaffen, sondern mit Solisten wie Bryn Terfel als Scarpia, Richard Margison als Caravadossi und Catherine Mafitano in der Titelrolle auf ein hervorragendes Solisten-Team zurückgreifen, das außerdem sich auf das Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Riccardo Chailly stützen konnte. Viele Gründe also, um diese umjubelte Aufführung nun auch als DVD zu präsentieren.
Im musikalischen Lebenslauf Giacomo Puccinis steht Tosca zwischen “La Bohème” und “Madame Butterfly”. Mit ihrer quasi-realistischen Handlung im nachrevolutionären Europa der Napoleonischen Ära zählt sie zu den Hauptwerken des Verismo, jener reformistischen Opernbewegung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, die nicht mehr phantastische Märchen oder in der Historie weit zurückliegende Ereignisse zum Thema machen, sondern möglichst Aktuelles in Mittelpunkt stellen wollte, das den Zuschauer auch betraf. Es ist eine blutrünstige Geschichte, die Puccini im Jubeljahr 1900 in Rom uraufführen ließ. Zurückversetzt in das revolutionäre Geschehen des unter Napoleons Expansionsdrang leidenden Europas, entwickelte er eine Handlung, die die nationalstaatlichen Fragen seiner Gegenwart an den Beispielen einiger geplagter Kreaturen aus dem Bohème-Milieu auf die Bühne brachte. Die unglückliche Liebe zwischen dem Maler Mario Cavaradossi und der Sängerin Floria Tosca, ein korrupter Polizeichef, der sich die Hingabe Toscas durch Erpressung erzwingen will, verschiedene devote, thumbe, linkische Untertanen, die sich gerne als Handlanger der Macht einspannen lassen, Verrat und Flucht, Mord und Hinrichtung – was für ein Spektakel. Für die Oper der vergangenen Jahrhundertwende war das genau der Stoff, aus dem die action-geladenen Bühnenträume waren. Und Puccini gelang es, den politischen Plot derart geschickt und vielschichtig zu vernetzen, dass jeder seine Interpretation aus der Geschichte ziehen konnte.
 
So entwickelte sich “Tosca” trotz der ernsten Handlung und der komplexen Hintergründe zu einer der viel gespielten Opern des modernen Repertoires, die für Künstler noch immer ihren darstellerischen Reiz hat und nebenbei einige der berühmtesten Arien des Genres beinhaltet. Als Nikolaus Lehnhoff den Auftrag bekam, das Werk für die Nederlandse Opera zu inszenieren, erdachte er sich daher ein bedrückendes Industrial-Szenario, dessen Räume Kirche, Palast und Burg jeder für sich die Menschen mit ihren Grenzen konfrontieren. Symbole wie etwa die bedrohliche Turbinenschraube in der Residenz des Polizeipräsidenten Scarpia verweisen auf Folter und Misshandlung, die in seinen Gefängnissen stattfinden, so wie sich auch die Engelsburg als bedrohlicher Betonbunker präsentiert. Überall finden sich Zeichen des Bösen und der walisische Bass-Bariton und internationale Gesangstar Bryn Terfel läuft als sinistrer Polizeichef in der Darstellung der mit einer Spur von Wahnsinn durchzogenen Rachsucht zur Hochform auf. Überhaupt kennzeichnet die 1998 unter der Ägide von De Nederlandse Opera und NPS-Television im Amsterdamer Het Muziektheater aufgezeichnete und für die DVD-Version mit einem zusätzlichen Blick hinter die Kulissen versehene Aufnahme sich durch besondere Präsenz der Darsteller und Pointiertheit der Kameraführung aus. Kombiniert mit dem grandiosen Surroundklang (wahlweise PCM Stereo) des Concertgebouw Orchestras, das unter Maestro Riccardo Chailly der Musik Puccinis zusätzliche Verve verleiht, ist eine DVD entstanden, die getrost zu den Referenzaufnahmen der “Tosca” gezählt werden kann.

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