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Charles Lloyd – Jumping The Creek

08.04.2005
Der am 15. März 66 Jahre alt gewordene Charles Lloyd hat, seit er 1989 sein erstes ECM-Album “Fish Out Of Water” aufnahm, immer wieder gezeigt, weshalb ihn der Kritiker-Doyen Stanley Crouch als einen der besten Tenorsaxophonisten der Gegenwart bezeichnet. Mit einem neuen Quartett – bestehend aus Pianistin Geri Allen, Bassist Robert Hurst und dem jungen Schlagzeuger Eric Harland – legt er nun unter dem Titel “Jumping The Creek” sein elftes Album für ECM vor. Und wie so oft verharrt Lloyd auch hier nicht auf rein jazzigem Territorium, sondern erlaubt sich Abstecher in andere musikalische Gefilde.
So beginnt das Album mit einer vierzehnminütigen Reflektion über Jacques Brels Chanson “Ne me quitte pas”, der in den USA unter dem englischen Titel “If I Go Away” durch Interpretationen von u.a. Frank Sinatra, Scott Walker und Nina Simone bekannt wurde. Mit “Sweet Georgia Bright” reist der Saxophonist in die eigene Vergangenheit zurück. Das Stück, das hier als Teil der “Georgia Bright Suite” auftaucht, hatte Lloyd bereits 1964, als er noch in Chico Hamiltons Band spielte, für sein Solodebütalbum “Discovery” aufgenommen. “Come Sunday” ist eine der wunderbaren Balladen aus Duke Ellingtons Feder und wird üblicherweise mit dem Altsaxophonisten und Ellington-Solisten Johnny Hodges assoziiert, dem Lloyd auch seine Version des Songs widmet. Bei “The Sufi’s Tears” griff der Bandleader zum Tarogato, einem klarinettenähnlichen Holzblasinstrument, dem er nahöstliche Klänge entlockt. “Both Veils Must Go” ist ein Duett von Charles Lloyd und Schlagzeuger Eric Harland. Das Stück weckt natürlich Erinnerungen an das im vergangenen Jahr erschienene Duo-Album “Which Way Is East”, das Lloyd mit Billy Higgins kurz vor dessem Tod aufgenommen hatte. Harland tritt den Beweis an, daß er ein würdiger Nachfolger von Higgins ist. “Angel Oak Revisited” ist eine überarbeitete Version des Stücks “Angel Oak” vom 2002 veröffentlichten Album “Lift Every Voice”, das Lloyd damals in Gedanken an den Anschlag von 9/11 komponiert hatte. “Canon Perdido”, benannt nach einer Straße im kalifornischen Santa Barbara, ist an den Bebop-Standard “Perdido” angelehnt, den Dizzy Gillespie und Charlie Parker mehrfach aufnahmen. “Song Of The Inuit” schließlich ist eine Hommage an die Ureinwohner des Arktikkreises.
 
Schon bevor er selbst ein Bandleader im eigentlichen Sinne wurde, bewies Charles Lloyd als musikalischer Leiter von Chico Hamiltons Band seine außerordentliche Fähigkeit für den intelligenten Umgang mit den Ressourcen eines Ensembles. Damals war der 1938 in Memphis/Tennessee geborene Lloyd gerade erst 23 Jahre alt. Seine zweite Station war das Sextett des Altsaxophonisten Cannonball Adderley, zu dem er 1964 stieß. Noch im selben Jahr spielte er sein erstes Album als Leader einer eigenen Band ein: auf “Discovery” präsentierte er sich in Gesellschaft von u.a. Pianist Don Friedman, Bassist Richard Davis und Schlagzeuger Roy Haynes. Die nächste eigene Band, mit der ins Aufnahmestudio ging, bestand aus Gitarrist Gabor Szabo, Bassist Ron Carter und Drummer Tony Williams. Geschichte schrieb er allerdings mit dem Quartett, das er von 1966 bis 1969 unterhielt und durch das die Jazzwelt auf Keith Jarrett, Cecil McBee (der später durch Ron McClure ersetzt wurde) und Jack DeJohnette aufmerksam wurde. Dieses Quartett war eines der populärsten Jazzensembles der 60er Jahre, und nach seiner Auflösung zog sich Lloyd ziemlich überraschend aus der Jazzszene zurück und widmete sich der Lehre der transzendentalen Meditation. Zwar nahm er auch in den 70er Jahren noch regelmäßig Alben auf, stieß mit seiner nun esoterischen Musik bei den Jazzfans aber nur noch auf geringes Interesse.
 
Erst 1982 machte er plötzlich wieder mit einem Jazzalbum von sich Reden: auf dem Live-Album “Montreux” präsentierte er sich mit einem neuen Quartett, das an die Qualitäten seiner Vorgänger anknüpfte und der Jazzöffentllichkeit wieder ein neues Talent vorstellte: den Pianisten Michel Petrucciani. Lloyd selbst spielte wieder so aufregend und frisch, wie er es in den 60er Jahren getan hatte. Komplettiert wurde das Quartett durch Bassist Palle Danielsson und Schlagzeuger Sun Ship Theus. Im Jahr darauf erschien mit “A Night In Copenhagen” ein weiteres Live-Album in gleicher Besetzung plus Gaststar Bobby McFerrin.
 
Dann folgte erneut eine sechsjährige Pause, in der sich Lloyd auf sein eigentliches Comeback vorbereitete. Dieses erfolgte 1989 bei ECM mit dem Album “Fish Out Of Water” und – einmal mehr – einem neu besetzten Quartett. Diesmal umgab er sich ausschließlich mit skandinavischen Musiker: mit Pianist Bobo Stenson, Bassist Palle Danielsson und Schlagzeuger Jon Christensen – allesamt durch zahlreiche Aufnahmen für ECM bekannt. Stenson spielte noch auf vier weiteren ECM-Alben des Saxophonisten mit, oftmals mit Bassist Anders Jormin und Drummer Billy Hart. Für die Einspielung des 1999 erschienenen Albums “Voice In The Night” tauschte der Saxophonist seine ganze Band aus und besetzte sie mit Gitarrist John Abercrombie, Bassist Dave Holland und Schlagzeuger Billy Higgins.
 
Das Quartett, mit dem der Saxophonist nun “Jumping The Creek” realisierte, hat also schon eine ganze Reihe illustrer Vorläufer, an denen man es zwangsläufig messen wird. Die Musiker zeigen sich davon aber unbeeindruckt und spielen mit erfrischendem Druck und beeindruckendem Einfühlungsvermögen. Auf ihren eigenen Platten kann man aber auch andere afro-amerikanische Inspirationsquellen heraushören: vom Gospel und Blues über den Soul und Rhythm’n'Blues der Marke Motown bis hin zu modernem Funk und karibischer Musik.
 
Die aus Detroit stammende Pianistin Geri Allen, zu deren prägendsten Einflüssen Thelonious Monk, Bud Powell, Mary Lou Williams und Herbie Nichols gehören, arbeitet bereits seit 2001 regelmäßig mit Lloyd zusammen. Allen hat seit jeher ein Faible für die Zusammenarbeit mit Saxophonisten: Die ersten Jahre in New York verbrachte sie an der Seite von Joseph Jarman, dann wurde sie Mitglied des von Steve Coleman geleiteten M-Base-Zirkels. Mitte der 90er Jahre sorgte sie für Schlagzeilen, als sie in der Band von Ornette Coleman Akustikpiano spielte. Coleman hatte Jahrzehnte lang kein Album mit einem Akustikpianisten in seiner Band eingespielt.
 
Bassist Robert Hurst hat schon verschiedene Male mit Geri Allen zusammengespielt, Alben unter eigenem Namen veröffentlicht und u.a. Tony Williams, die Marsalis-Brüder und Steve Coleman begleitet. Zur Zeit ist er Mitglied der Band von Diana Krall. Für dieses Charles-Lloyd-Projekt relevanter sind aber Hursts Erfahrungen mit Pharoah Sanders. Durch ihn ist er mit den von fernöstlicher Musik inspirierten modalen Jazzimprovisationen, die auch in Lloyds Musik stets eine große Rolle spielen, bestens vertraut.
 
Dasselbe gilt für Schlagzeuger Eric Harland, der auch schon mit Sanders gearbeitet hat, aber noch sehr viel häufiger mit McCoy Tyner. Sehr viel Lob erhielt er kürzlich für seine Mitwirkung auf Tylers Telearc-Album “Land Of Giants”. Für Furore sorgt Harland aber auch in einem atemberaubenden Trio, in dem er mit Lloyd und dem Tablavirtuosen Zakir Hussain gemeinsame Sache macht. Bei Konzerten erntet dieses Trio stets stürmischen Applaus.
 
All diese Musiker kennen die Sprache des Jazz der Post-Coltrane-Ära also in- und auswendig, da sie mit einigen der wichtigsten Architekten dieser Musik zusammengearbeitet haben. Charles Lloyd selbst wiederum versuchte schon als Teenager in den 50er Jahren bei Jamsessions mit Billy Higgins, Don Cherry, Ornette Coleman, Eric Dolphy und anderen progressiven Musikern die harmonischen Ketten des Jazz zu sprengen. Das Charle Lloyd Quartet von “Jumping The Creek” reflektiert in seiner Musik die gesamte Jazzgeschichte aus dem Blickwinkel ihres Leaders und geht dabei, wie so oft, zugleich weit darüber hinaus.
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