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Charlie Haden Liberation Music Orchestra – Not In Our Name

16.09.2005
Das Liberation Music Orchestra wurde von Charlie Haden zwar schon 1969 ins Leben gerufen, hat aber in den seitdem verstrichenen rund 35 Jahren lediglich drei Alben aufgenommen. Der Bassist aktiviert sein Orchester stets nur dann, wenn er amerikanischen Protest gegen amerikanische Politik für unbedingt nötig hielt. “Not In Our Name”, das vierte Album des Liberation Music Orchestra, ist ein musikalischer Aufschrei gegen die Politik George W. Bushs.
Noch unmittelbar unter dem Eindruck der Erlebnisse des 11. September 2001 (allgemein bekannt unter dem amerikanischen Datumskürzel 9/11) und den daraus resultierenden weltweiten Folgen verfaßte der Bassist, Komponist und Bandleader Charlie Haden die Musik für sein meditatives Album “American Dream”. Es war eine Musik, die der erschütterten amerikanischen Psyche als eine Art Heilbalsam dienen sollte. In seinem Begleittext zu dem 2002 erschienenen Werk schrieb er damals: “Ich habe immer von einer Welt ohne Grausamkeit und Machtgier geträumt, von einer Menschheit, die genauso brillant sei wie unser Sonnensystem, von einem Amerika, das die Träume Martin Luther Kings und die Erhabenheit der Freiheitsstatue wert sei… Diese Musik ist all denen gewidmet, die immer noch von einer Gesellschaft träumen, die Mitleid, zutiefst schöpferische Intelligenz und Respekt vor der Kostbarkeit des Lebens hat – für unsere Kinder und für unsere Zukunft.”

Zwei Jahre später, nach der Präsidentenwahl von 2004, verspürte Haden erneut das Bedürfnis, sich zu Wort zu melden – diesmal, um seine Bedenken mit dem Liberation Music Orchestra (LMO) zu artikulieren. “Not In Our Name” ist eine Art musikalisches Manifest und der Titel dieser neuen CD steht für die Entfremdung, mit der viele Menschen in den USA und der ganzen Welt auf die gegenwärtige amerikanische Regierung sowie die Art und Weise, wie diese ihre Probleme zu Hause und in der globalen Arena zu lösen versucht, reagieren.

Aufgenommen wurde das Album dieses politischen Jazz-Großensembles, das der Bassist Charlie Haden 1969 ins Leben rief und bis heute leitet, im letzten Sommer in Rom – gleich im Anschluß an einen triumphale Europa-Tournee. Da zwischen den einzelnen Platteneinspielungen des stets hochkarätig besetzten Orchesters jeweils ein gutes Jahrzehnt verging, wird jedes neue Album dieser Band mit entsprechender Spannung erwartet. 1969, am Anfang der Amtszeit Richard Nixons, erschien bei Impulse! das Debütalbum, das der Band den Namen gab. Erst 1982, als Ronald Reagan die USA regierte, kam – diesmal bei ECM – das zweite LMO-Album “The Ballad Of The Fallen” heraus und weitere acht Jahre später, der Präsident hieß nun George Bush Sr., veröffentlichte Blue Note schließlich “Dream Keeper”. Im September 2005 folgt nun mit “Not In Our Name” endlich das vierte LMO-Werk auf CD.

Die Songs stammen diesmal – mit einer Ausnahme – von amerikanischen Komponisten. “Ich verspürte das Bedürfnis, Musik von amerikanischen Komponisten zu spielen, um gegen das zu protestieren, was momentan vor sich geht”, erklärt Haden die Song-Auswahl und den Titel des Albums. “Ich wollte dadurch klarmachen, daß man, bloß weil man nicht mit allem einverstanden ist, was diese Regierung unternimmt, noch lange nicht unpatriotisch ist.” Haden selbst steuerte den Titelsong bei, Carla Bley schrieb “Blue Anthem” und bastelte einen Medley aus “America The Beautiful”, der Gospel-Hymne “Lift Every Voice And Sing” und Ornette Colemans “Skies Over America”. Von Pat Metheny, Lyle Mays und David Bowie stammt das einprägsame “This Is Not America”, von Samuel Barber “Adagio” und von Bill Frisell “Throughout”. Komplettiert wird dieses Repertoire durch den insgeheim schon zur zweiten US-Nationalhymne mutierten Song “Amazing Grace” und Antonín Dvoráks “Goin' Home” aus dessen “Symphonie Nr.9 in e-Moll”, die unter dem Titel “Aus der Neuen Welt” bekannt ist. Mit ihren raffinierten Arrangements schafft Carla Bley, wie man es von ihr kennt, auf subtile Weise die notwendige ironische Distanz zu den patriotischen Themen.

In der aktuellen Besetzung des Liberation Music Orchestra, die auch dieses Album einspielte, versammelte Haden sowohl LMO-Veteranen wie Carla Bley (die auch als Koproduzentin tätig wurde), die Waldhornspielerin Sharon Freeman und den Tubisten Joe Daley, als auch Musiker der jüngeren Generation wie den Trompeter Michael Rodríguez und den Altsaxophonist Miguel Zenón (die beide schon auf Hadens letztjährigem Grammy-Album “Land Of The Sun” mitwirkten), die Tenorsaxophonisten Chris Cheek und Tony Malaby, Trompeter Seneca Black, den Ex-Jazz Passengers-Posaunisten Curtis Fowlkes, Gitarrist Steve Cardenas und Schlagzeuger Matt Wilson.

Die Idee zum Titel dieses Albums, so Haden, kam ihm erstmals vor zwei Jahren, als er sich mit dem Gitarristen Pat Metheny auf einer Tournee durch Europa befand. “Bei Spaziergängen in Italien und Spanien fielen mir auf den Balkonen zahlreicher Apartmenthäuser diese Spruchbänder auf, auf denen in Englisch geschrieben stand: ‘Not In Our Name!’”, erinnert sich Haden. “Das war das erste Mal, daß ich diesem Slogan begegnete, und es beeindruckte mich, daß die Leute, die in diesen Apartments wohnten, ihre Meinung so kundtaten. Als ich dann im letzten Sommer mit dem LMO auf Europa-Tournee war, kam Miguel Zenón irgendwann zu mir und meinte: 'Mann, ich habe letzte Nacht geträumt, daß du deinen neuen Song ‘Not In Our Name’ nennen solltest.' Ich fand es eine großartige Idee, diesen Titel gleich auch dem ganzen Album zu geben.”

In musikalischer Hinsicht ist “Not In Our Name” eine zutiefst bewegende und wunderbare Kollektion von Melodien mit begeisterndem Ensemblezusammenspiel und leidenschaftlichen Soli von einigen der herausragenden Musiker New Yorks. In politischer Hinsicht ist es ein mit Ironie versetzter patriotischer Aufschrei Hadens gegen eine Regierung, die bereits ist, für ihre Politik einige der größten Errungenschaften “seines” Landes zu opfern. “Wir mögen nun zwar die Wahl verloren haben”, schreibt Haden in seinem Text zur CD, “aber wir sind nicht frei von der Verpflichtung, unser Land im Namen der Humanität und des Anstands einzuklagen. Gebt nicht auf – der Kampf geht weiter!”

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