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Romantische Verwandtschaft – Barenboim interpretiert Schuberts Klaviersonaten

Daniel Barenboim
© Karina Schwarz / Deutsche Grammophon
14.08.2014
Er ist ein Idealist, wie er im Buche steht. Das romantische Gefühl brauchte man ihm nicht beizubringen. Es war ihm wohl in die Wiege gelegt. Die Sehnsucht nach etwas Größerem, etwas, das unser hiesiges Leben erhöhen und verwandeln kann, war ihm schon als junger Mann eigen. Und dass ein solcher Mensch zu Beethoven, Schubert und Wagner findet, ist aus dem Rückblick betrachtet kein Zufall. Wem eine solche tiefe Sehnsucht eingepflanzt ist, und wer dazu noch so reich mit musikalischen Gaben gesegnet ist, den zieht es fast automatisch zu den romantischen Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts.  

Beherzter Vorreiter

Daniel Barenboims Verhältnis zu seinen romantischen Helden haftet nichts Akademisches an. Wagner und Barenboim, Beethoven und Barenboim oder Schubert und Barenboim, das passt, das gehört zusammen. Denn genau wie diese Komponisten ihr Gefühl freimütig offenbart haben, so macht auch Barenboim aus seinem Herzen keine Mördergrube. Schon mit Anfang 20 attestierte die Kritik ihm “dramatischen Tiefsinn” und die seltene Fähigkeit, Beethovens ausgreifendes Pathos musikalisch nachempfinden zu können. Barenboim, der von Musikkritiker Joachim Kaiser einmal als “das letzte Genie der klassischen Musik” bezeichnet worden ist, geht immer aufs Ganze. Er scheut keine Risiken. Ob er sich in den Nahost-Konflikt einmischt, israelische mit palästinensischen Musikern zusammenbringt, ob er in Israel für Wagner wirbt oder ob er dirigiert oder Klavier spielt – stets macht er einen Schritt nach vorne und setzt sich den Dingen aus.

Natürliches Spiel

Dieser Mut hat ihn auch in der Musik stark gemacht. Barenboim verfügt über eine Sicherheit und Unbefangenheit am Klavier, die ihresgleichen sucht. Wenn er an den Flügel tritt, dann weiß man, dass er etwas Bestimmtes vorhat und es unbeirrt ausführen wird. Dabei ist er alles andere als ein altersweiser Grandseigneur, der sich seiner Sache allzu sicher ist. Im Gegenteil, neben seiner unbestrittenen Reife strahlt er vor allem Frische und Experimentierfreude aus, und mit diesen Künstlertugenden hat er sich jetzt auch den Klaviersonaten des ewig-jungen Schubert genähert. Der 71-jährige Barenboim nimmt diese, wie er selbst sagt, “zugleich lachenden und weinenden Wunderwerke des poetischen Ausdrucks” vollkommen unbefangen in Besitz. Es ist, als hätte er sie schon immer gespielt, so natürlich, so unangestrengt und unprätentiös kommen seine soeben erschienenen Aufnahmen daher.

Wir waren bei den Aufnahmen dabei: Sehen Sie hier das Video ”Schubert: Klaviersonaten (Dokumentation)" mit Daniel Barenboim.

Eigensinniger Ton

Dabei hat er die elf vollendeten Klaviersonaten Schuberts in dieser Intensität noch gar nicht lange im Repertoire. Sie standen bei ihm, wie bei so vielen anderen Pianisten, lange Zeit im Schatten von Beethovens Klaviersonaten. Er spielte sie, von einigen bekannten abgesehen, nur hin und wieder privat. Schubert, das war das Genie des romantischen Kunstliedes. An seiner Klaviermusik schätzte man vorwiegend die kleineren Formen, die Impromptus, die Moments Musicaux oder die Tänze. Dass seine Klaviersonaten von allerhöchster Raffinesse und emotionaler Inniglichkeit sind, das demonstriert Barenboims Einspielung jetzt allerdings umso eindringlicher. Die frühen Sonaten bestechen durch ihre Liedhaftigkeit. Obwohl sie noch stark unter dem Eindruck Beethovens stehen, lassen sie doch schon ganz deutlich den poetischen Eigensinn Schuberts hervortreten. Überwältigend ist das großzügige Pathos in den mittleren Sonaten, vor allem in der Sonate in a-Moll (op. 42) und D-Dur (op. 53, “Gasteiner”). Die späten Sonaten bestechen durch ihre harmonische Vielseitigkeit und ihre visionäre Modernität. Man hört, wie nah Schubert dem 20. Jahrhundert schon war.

Wahre Glücksgefühle

Allen Sonaten gemeinsam ist dieser zwischen Lachen und Weinen changierende Gefühlsausdruck. Man kennt ihn aus den Liedern, und Barenboim führt eindrucksvoll vor, dass er auch für die Klaviersonaten von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Schubert hat das schwankende Gefühlsleben des Menschen in seine Klaviersonaten hineingeholt, und das macht seine Musik so ergreifend. Barenboim bekennt freimütig, dass ihn die jüngste Beschäftigung mit Schubert wahre Glücksgefühle beschert hat, und das geht dem Hörer, der sich dieser zutiefst warmherzigen Musik anschmiegt, nicht anders.

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