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Rede von Daniel Hope auf der Popkomm 2008

09.10.2008
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir haben schwere Zeiten. Wir alle, die gesamte Musikbranche und selbst die Geiger. Morgens früh, nach dem Erwachen, freut man sich nicht als erstes auf eine Vivaldi Sonate oder das Mendelssohn Konzert, sondern liest in der Zeitung von Krise, Crash und Katastrophen. Jeden Tag neue Horrorstories. Und niemand, scheint es, bleibt verschont. Voller Mitgefühl denken wir an so manchen Klassik-Star, der sich beim Studium des Börsenteils die Haare rauft und sich beklommen fragt, wie lange er wird singen, spielen oder dirigieren müssen, um seine Investment-Verluste wett zu machen und sein Portfolio wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen.
Schreckensbilder tauchen auf von Künstlern, die wie Mozart von ihren Gläubigern verfolgt werden oder wie Schubert den Winter in ungeheizten Dachkammern verbringen und mit klammen Fingern ihr verstimmtes Klavier bedienen.
Und was wird aus den versprochenen Sponsor-Millionen, mit denen “Lehman Brothers”, “Merrill Lynch” und die anderen Pleite-Banken Musik und Theater unterstützen wollten? Darf man noch auf das Eintreffen der Schecks hoffen? Und selbst, wenn! Wird es überhaupt noch Leute geben, die das Geld für eine Konzertkarte, eine CD oder zumindest einen Download erübrigen können?
Ich will nicht Ihre Laune verderben – aber ich wage nicht, mir auszumalen, was geschieht, wenn das Rettungsprogramm von George Bush nicht funktionieren sollte. Heulen und Zähneklappern  wird es geben, und an der Wall Street werden sie singen: “Herr, Obama dich unser!”
Trotzdem – dass es irgendwie weitergehen muss, auch wenn die Krise noch so groß ist, darin sind wir uns ja wohl hoffentlich alle einig, gerade weil wir mit Musik zu tun haben. Die Musik hatte schließlich immer schon heilende Kräfte, und sei es nur, dass sie die Nerven beruhigt – so wie anno 1873, als Johann Strauß gleich nach dem großen Börsenkrach in Wien seine “Fledermaus” schrieb und seinen Alfred singen ließ: “Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.”
Weil wir gerade in Berlin sind: Man sollte vielleicht eine CD mit diesem Lied rüber ins Finanzministerium schicken. Vielleicht schaut Minister Steinbrück dann nicht mehr ganz so bärbeißig wie bisher.
Aber nicht, dass ich irgendetwas verniedlichen und verharmlosen will: Dass man sich überall Sorgen macht und selbstverständlich auch auf dem Musikmarkt Anlass zu gewissen Ängsten besteht, lässt sich keineswegs leugnen.
Nur eben sollte man nicht vergessen, dass Krisen immer auch den Anstoß zu neuen Überlegungen und Anstrengungen geben, dass sie – wie es Max Frisch einmal formuliert hat – in einen “produktiven Zustand” übergehen können, sofern man ihnen “den
Beigeschmack der Katastrophe nimmt”.
Also nicht schicksalsergeben die Hände in den Schoß legen und auf das Ende warten, sondern etwas tun – möglichst das Vernünftige und Richtige.
Wer Musik macht – und ich rede hier vor allem von der klassischen Musik – sieht sich dieser Notwendigkeit nicht erst seit der aktuellen Finanzkrise gegenüber, sondern schon sehr viel länger. Zwar war ich immer etwas skeptisch, wenn, wie mehrfach in der jüngeren Vergangenheit, bereits der Sterbeglöcklein für die Klassik geläutet wurde, doch ist mir seit langem klar, dass man nicht darauf vertrauen durfte, im Musikbetrieb werde alles  so weitergehen wie in der seligen Vergangenheit.
Die Gründe sind oft genug genannt worden: Da ist die ins Unermessliche gewachsene Konkurrenz, die noch vor wenigen Jahren gar nicht vorstellbare Vielfalt der medialen Angebote und Möglichkeiten, das nachlassende Interesse an den traditionellen Aufführungsformen und vieles mehr.
Wohlgemerkt: Keine Sekunde glaube ich daran, dass die Musik selbst ihre Attraktion verloren hat. Das Problem ist nur: Die Menschen, vor allem die jungen, haben immer seltener Gelegenheit gehabt, diese Attraktion überhaupt kennenzulernen und zu erfahren.
Ich muss Ihnen den Ursachenkatalog nicht im einzelnen aufzählen: Hausmusik ist zur Ausnahme geworden, Musikunterricht in den Schulen oft unzureichend oder Fehlanzeige, klassische Konzerte abschreckend, weil antiquiert, Oper häufig elitär, Eintrittspreise obendrein gesalzen, Zeitungskritiken abgehoben, Radioprogramme reduziert auf Begleitgedudel.
Um es zu wiederholen: Notleidend ist nicht die Musik selbst. Wie sollte sie auch? Sie ist so vital wie eh und je. Notleidend ist ihre Vermittlung. Und gegen diese Not gilt es etwas zu unternehmen.
“In der Not allein bewähret sich der Adel großer Seelen”, könnte ich jetzt Schillers “Turandot” zitieren; weniger pathetisch ausgedrückt: Wer beweisen will, dass ihm die Musik wirklich wichtig ist, wird keine Anstrengung scheuen, sie möglichst vielen Menschen näher zu bringen. Große Preisfrage natürlich: Wie macht man das?
Wahrscheinlich ist Ihnen, weil ich “Turandot” erwähnt habe, das andere, sehr viel bekanntere Zitat, nicht aus dem Theaterstück, sondern aus der Oper “Turandot” eingefallen und damit auch sofort ein praktisches Beispiel. Und ich lasse zunächst einmal offen, ob Parade oder eher außergewöhnliches Beispiel:

Paul Potts und “Nessun dorma” – das wahr gewordene Märchen vom singenden Handy-Verkäufer aus Bristol. Keine Frage, so etwas hat es bisher kaum gegeben: Die geballte Macht von Fernsehen, Plattenindustrie, Telefonkonzern, Tourveranstalter und Werbung im Dienste der klassischen Musik. Dass nebenbei auch noch ein begabter Tenor und ein genialer Komponist mit von der Partie waren, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Im Zentrum stand die ganz und gar neuartige  Marketingstrategie, die eine Puccini-Arie zum Superhit und einen singenden Nobody zum Star machte. Natürlich bleibt die Frage, ob das der richtige und Erfolg versprechende Weg ist, nachhaltig ein großes und neues Publikum an die Oper und darüber hinaus an die klassische Musik heranzuführen. Werden diejenigen, die den T-Com-Spot, womöglich mit Tränen der Rührung, gesehen und gehört haben, demnächst in einem der Berliner Opernhäuser gesichtet werden? Oder werden sie das Kulturkaufhaus Dussmann aufsuchen und sich nach einem Opernquerschnitt oder gar einer Gesamtaufnahme von “Turandot” erkundigen?
Ausschließen lässt es sich nicht, und hoffen kann man es auf alle Fälle. Aber sehr wahrscheinlich ist es, fürchte ich, nicht. Und ganz nebenbei – offen müssen wir wohl auch lassen, ob die weitere Karriere von Paul Potts halten wird, was ihr Start zu versprechen schien. Doch trotz dieser Vorbehalte – es war zweifellos ein bemerkenswerter Versuch. Und Experimente muss man machen, wenn man zum Erfolg kommen will.

Dass es,  natürlich  AUCH um den geschäftlichen Erfolg ging, wird vermutlich niemand bestreiten. Natürlich wollen Musikmanager Geld verdienen, und wenn es geht, möglichst viel. Die ausübenden Künstler wollen es übrigens auch – und wer
anderes behauptet, ist entweder naiv oder ein Heuchler. Musik und Geld haben zwar nicht direkt und ursächlich miteinander zu tun, aber völlig fremd sind sie sich auch wieder nicht; ich erinnere an Jean Sibelius, der zu sagen pflegte: “Ich unterhalte mich lieber mit Bankern als mit Musikern. Banker sprechen gern über Musik, Musiker reden nur vom Geld.”
Oder denken wir an Vater Mozart, der ständig ans Geld gedacht hat, allein schon, weil er es musste. Oder an Beethoven, der, als er mit 25 zum ersten Mal auf Konzertreise in Prag war, seinem Bruder freudestrahlend schrieb: “Es geht mir gut, auch Geld werde ich diesmal ziemlich bekommen.”

Dass die großen Stars von heute nicht nur “ziemlich”, sondern ganz gewaltig kassieren, kann man zwar mit einigem Recht bedenklich finden – allein schon, weil es die Eintrittspreise gelegentlich in so astronomische Höhen treibt, dass sie für viele unerschwinglich werden. Andererseits sind da die berühmten  Gesetze des Marktes, und die – so haben wir ja alle gelernt – besagen, dass der Preis von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Wenn jemand hoch begehrt ist, dann kostet er auch  dementsprechend viel.
Abweichungen oder Ausnahmen gibt es so gut wie nie: Neulich hat Rolando Villazon gesagt, er würde – weil es schließlich eine Ehre sei – in Salzburg auch für einen einzigen Euro singen, wenn es die Kollegen auch täten. Tun sie aber nicht, und deshalb darf Villazon weiterhin die Spitzengage verlangen.
Die Leute mit normal-bürgerlichem Durchschnittseinkommen wird es nicht unbedingt trösten, aber so lange es Stars gibt – und die gibt es schon seit Jahrhunderten -, wird es auch die Starhonorare geben, ob in der Musik, im Film, unter den großen Managern oder im Fußball.

Gleiches gilt für den Star-Kult, der ja nicht nur ein Resultat der Publikumsbegeisterung und  -verehrung ist, sondern den Marketingstrategen zugleich als Mittel zum Zweck dient: Je intensiver der Kult um einen Star, desto größer die Gewissheit, dass der nächste Auftritt, das nächste Konzert, die nächste CD ein Erfolg wird.
Manchmal hat man das Gefühl, dass die Sache mit den Stars ein bisschen übertrieben wird. Eine Zeit lang jedenfalls war zu beobachten, dass in immer kürzerer Folge immer mehr Stars am Klassik-Himmel der Musik aufleuchteten, und kaum dass einer verglüht war, erschien schon der nächste und wurde nach allen Regeln von Marketing, PR und Werbung aufgebaut und zum Strahlen gebracht, bis er dann ebenso plötzlich, wie er gekommen war, in einem schwarzen Loch wieder verschwand.
Aber wovon lebt ein klassischer Musiker heutzutage, wenn er nicht Anna Netrebko heisst? Wie bezahlen zum Beispiel die jungen Geiger und Cellisten ihre Instrumente, wo heute eine Stradivari mindestens 1 Million Euro kostet, manchmal bis hin zur 20 Milllionen? Viele Musiker mussten lernen, sich in eine Art Geschäftsmann zu verwandeln, der mit Stiftungen, Banken oder reichen Gönnern verhandelt, die dann im besten Fall das Instrument kaufen und dem Künstler zur Verfügung stellen, wenn man als Gegenleistung eine Art Sponsorship-Paket anbieten kann.  Im schlimmsten Fall aber ist der Sammler oder Gönner auch noch Hobbystreicher und dies meistens eher untalentiert. Dann ist man verpflichtet, mit ihm in seinem Luxusdomizil grauenvolle Kammermusikabende zu spielen, bloß damit man irgendwann zu seinem Trauminstrument kommt!
Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt. Bis in die jüngste Vergangenheit waren klassische Musiker in der glücklichen Lage, sich ‘nur’ ihrer Musik zu widmen und kaum was anderes tun zu müssen. Natürlich gab es Künstler wie einen Stokowski oder Von Karajan, die minutiös an ihren großartigen Karrieren gefeilt haben, aber solche Legenden (mit PR-Kenntnissen) waren trotzdem eher eine Ausnahme. Heute wissen die meisten meiner  geschätzten Kollegen, daß wunderbar zu musizieren alleine bei weitem leider nicht mehr ausreicht, um heutzutage eine erfolgreiche Karriere aufbauen zu können. Die Konkurrenz ist heute enorm groß und  die Möglichkeiten nicht nur einen kurzfristigen Impact zu haben, sondern präsent zu bleiben, werden immer geringer.  Und wer glaubt, ohne gewaltige Disziplin eine Karriere zu schaffen, wird schnell eines Besseren belehrt werden.
In meinem eigenen Fall muß ich bekennen, an  einer Überdosis an kreativer Energie zu leiden, die mir ständig neue Impulse gibt. Um die enorm wichtige frühe Erfahrung von Auftritten  zu sammeln, tippte ich mit 13 Jahren hunderte von Briefen, produzierte zusätzlich  eine Demovideokassette und verschickte beides an alle Festivals und Veranstalter im Grossbritannien. Aus diesen etwa 900 Sendungen resultierten immerhin 8 Konzertangebote, die meine Mailingkosten deckten  und mir, was  noch viel wichtiger ist,  die ersten professionellen Bühnenerfahrungen brachten. Mit 14 habe ich von einem Orchestermusiker seinen Backstage Pass für die Royal Festival Hall bekommen, und so schmuggelte ich mich oft an Wochenenden in die Orchesterproben hinein. Dort habe ich meistens mein Demotape in die Garderobe des Dirigenten gelegt, bis irgendwann ein unfreundlicher Maestro die Polizei rief und ich unsanft entfernt wurde!
Heute sieht  die Sache zum Glück ein wenig anders aus, aber der Genuß und die Freude an  meiner vielseitigen Karriere sind immer noch  ungebremst. Neben dem Geigenspiel, das ich nach wie vor heiß und innig liebe, schreibe ich Bücher, moderiere Radio- und Fernsehsendungen  über Musik, leite und programmiere in Amerika ein Festival mit 80 Konzerten pro Saison,  kalkuliere die Budgets für eine Reihe von Musikprojekten  die ich dann selber an die Veranstalter verkaufe, oder setze mich für verbotene und vergessene Komponisten ein. Am 9.November dieses Jahres, veranstalte ich hier in Berlin, ein Benefizkonzert um an “70 Jahre Reichskristallnacht” zu erinnern. Den Bundesaußerminister konnte ich überreden, uns als geschichtsträchtigen Konzertort die Abflughalle des Flughafens Tempelhof zu geben. Das gesamte Budget für die  Durchführung dieses Konzertes habe ich selbst aufgetrieben. Heute schmuggle ich mich zwar nicht mehr in die Garderoben von Dirigenten hinein, aber die Karriere selbst in die Hand nehmen, das betrachte ich immer noch als mein Vorrecht. Auf manche Agenten und Veranstalter, vor allen auf diejenigen die seit Jahrzehnten die Klassik- und Abowelt elitär und altmodisch strukturiert geführt haben, wirkt diese Art des ‘modernen’ Künstlers mehr als erschreckend. “So was macht man einfach nicht!  Ein  Künstler kann doch nicht eigenmächtig über die Richtung seiner Karriere entscheiden!”,  ist dann ein Satz den man häufig zu hören bekommt.
Aber gerade diese Eigenmächtigkeit ist  es, die es einem  Künstler mehr als je zuvor ermöglicht, sein  Können zu zeigen und seine Nische zu finden, um sie dann mit optimalem Product Placement zu verbinden.  Die Musik darf und soll darunter NIE leiden. Das ist für mich das Wichtigste – die Qualität muß  immer die höchste Priorität haben. Dafür habe ich immer plädiert und werde es weiter tun. Aber, höchste Qualität, seine eigenen Stärken zu kennen, und sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Marktes, ein Image zu schaffen, dieses sorgfältig zusammen mit Agenten, Plattenfirmen und Medien weiter auszubauen, ist meiner Meinung nach in Zukunft ein zielführenden Weg für die klassische Musik.
Wie viele Kollegen beschweren sich täglich bei mir, sie würden heutzutage entweder nicht mehr aufnehmen, oder für ihre Plattenproduktionen “kein Geld mehr verdienen”. Für mich ist das eine komische Aussage. Wenn man heute noch das  Glück hat, eine CD aufzunehmen,  bedeutet das doch sehr viel mehr als Geld.  Es ist vielmehr eine wunderbare Visitenkarte, die die Seele des Künstlers an die Aussenwelt trägt, die eine mediale Präsenz erzeugt und große Auswirkungen,  insbesondere auf Konzerteinladung hat – und  davon kann man schliesslich doch leben.  Aber genauso, wie mir viele Musikerkollegen auch sagen,  sie würden keine Plattenfirmen mehr finden,  gibt es auf der anderen Seite eine Menge von Freunden aus der Plattenindustrie, die mir erzählen, sie würden so gerne viele neue Künstler entdecken und mit ihnen aufnehmen. Wo liegt hier also das Kommunikationsproblem? 
Ich habe seit 1995 für 4 Independents und 3 Majors etwa 20 Alben aufgenommen. Als ich meine erste Platte machte, war es für das sehr kleine unabhängige englische Label, Nimbus Records. Ich hatte mich für eine gemischte CD mit Werken von Schnittke, Takemitsu und Kurt Weill entschieden. Die Plattenfirma hat zuerst geflucht, weil sie fürchtete es würde ein finanzielles Desaster. Die Firma konnte es sich nicht leisten, ein Fotoshooting für das Cover zu bezahlen und schlug daher vor, einfach ein Cover ohne Foto zu machen. Also habe ich mir das Geld geliehen, engagierte einen Fotografen und einen Grafiker, die ein Cover mit einen Bild von mir entwarfen auf dem die  Namen der Komponisten in Grafittischrift hinter mir an eine Wand gesprüht waren. Mein Wunsch war es, bei meiner Debüt CD, ein Konzeptalbum vorzustellen, bei dem  die Musik zueinander passte und wo ich, zumindest im Fall von Takemitsu und Schnittke, eine persönliche Freundschaft und Zugang zu den Komponisten vorweisen konnte.
Dazu musste das Cover ins Auge fallen! Entgegen allen Warnungen, wurde die CD ein großer Presseerfolg, sie bekam Rezensionen in aller Welt, und  —   sie schrieb schwarze Zahlen. Selbst 14 Jahre nach ihrem Erscheinen ist diese CD immer noch am Markt und ich werde sehr oft darauf angesprochen. Heute bin ich in der glücklichen Lage, Exklusivkünstler bei Deutsche Grammophon zu sein. Natürlich genießt der Riese Universal als Marktführer, eine sehr starke Position im Musikbetrieb. Aber selbst bei Deutsche Grammophon ist es nicht genug, sich zurückzulehnen und zu warten, daß Cds sich von alleine verkaufen. Hier ist die Mitarbeit und das Mitmischen eines Künstlers absolut notwendig und nur so hat er auch die Möglichkeit, die Richtung seiner Karriere selbst  in der Hand zu haben. Sollte mir dies in Zukunft nicht gelingen, dann, meine Damen und Herren, werden sie mich wohl eher nicht wieder auf der Popkomm erleben. Ich hoffe es aber doch sehr!
Neulich sagte mir eine Freundin, die für ein Major Label arbeitet, das es wahrscheinlich nur noch 4 Jahre dauern wird, daß überhaupt noch CDs produziert werden. Dies mag eine Übertreibung sein -  vielleicht aber auch nicht. Was dann? Man braucht nur My Space anzuclicken und findet dort die neueste und zum Teil aufregendste Musik im Popbereich, bei Youtube und anderen Internet Plattformen ist es ähnlich.......aber wo sind die klassischen Künstler? Warum haben die Klassikkünstler ohne Plattenvertrag noch nicht ebenso reagiert, wie ihre Pop-Kollegen um ihre Musik sofort der ganzen Welt anbieten zu können? Auch dieses wird und muß sich ändern, weil das Internet uns bereits mit einem ganz neuen Publikum verbindet. Trotzdem, werden die LIVE Auftritte eines Künstlers, gerade wegen der Abrufbarkeit im Internet, meiner Meinung nach, an Wichtigkeit gewinnen, auch wenn sich vielleicht die Form eines Konzertes in Zukunft ändern mag.  Und kein Wunder, daß neuerdings die Plattenindustrie sich plötzlich für die Organisation von Tourneen, für Arenakonzerte und den damit verbundenen CD-Verkauf interessiert. Wenn z.B. in Amerika gerade die Retail Outlets für Cds erschreckend schnell oder für immer verschwinden, werden in Zukunft wohl die Konzerte die Orte sein, an denen CDs verkauft werden, gerade wenn der Künstler bereit ist, zu signieren und persönlich mit dem Publikum in Kontakt zu treten.
Und was die Bereitschaft des Publikums angeht, sich auch auf weniger Bekanntes, auf neue Formate einzulassen, auch einmal die vermeintlich etwas schwerere Kost auszuprobieren, so habe ich eine ganze Reihe positiver Erfahrungen gemacht.
Im Februar 2008 haben mein Klavierpartner und ich einen Duo-Abend in der Hamburger Musikhalle gegeben – in einem Saal mit immerhin über zweitausend Plätzen, die alle besetzt waren, und zwar zu einem erheblichen Teil von jungen Leuten. Nur Geige und Klavier und ohne Abonnement, Karten nur im freien Verkauf. Das für sich genommen, war schon erstaunlich; mehr noch konnte man sich wundern, dass ein Programm mit Mendelssohn, Brahms, Grieg und de Falla ganz offenkundig nicht nur Kammermusikspezialisten angelockt hatte. Die Leute im Saal haben nicht nur konzentriert zugehört, sie haben den Abend,  den wir beide moderiert haben, und die dezente Beleuchtung, die wir von  einem Technikerteam haben gestalten lassen, dem großen Beifall nach zu urteilen, auch sehr genossen. Dazu beigetragen hat gewiss auch die zwanglose Atmosphäre, die wir rund um die Musikstücke aufgebaut haben.
Das scheint mir überhaupt das Wichtigste zu sein: Den Zuhörern die Scheu vor der Musik zu nehmen, die Furcht abzubauen, sie verstünden viel zu wenig davon und könnten deshalb das, was sie hören, gar nicht richtig würdigen. Sicher ist es nicht möglich, jemanden durch einige wenige Worte sofort zum großen Experten zu machen; sehr wohl aber kann man Interesse und Neugier wecken. Und wenn man dabei auf elitäres Gehabe und abgehobenen Fachjargon verzichtet, lässt sich bei vielen die Bereitschaft herstellen, sich aufmerksam anzuhören, was da gespielt wird.
Wenn man es so zu machen versucht, wie es Leonard Bernstein vorgemacht hat, lässt sich Publikum, auch und gerade junges Publikum,  vielleicht nicht im Handumdrehen, aber doch nach und nach für die Musik gewinnen.
Die Musik ist es wert, dass man sich um sie bemüht und dass man möglichst viele aufgeschlossen für sie macht – zu allererst sicher dadurch, dass man sie durch das Spiel in ihrer ganzen Größe und Schönheit erstehen lässt, dann aber auch dadurch, dass man von ihr und den Meistern, die sie geschaffen haben, erzählt.
 
Möglichkeiten dazu gibt es viele – durch Moderation auf dem Podium, durch kluge und zugleich verständliche Beiträge in Programmheften, durch Interviews im Radio oder auch Talkshows im Fernsehen. Wenn man genügend Lust und Zeit hat, auch durch Bücher, was ich gleichfalls ausprobiert habe und in der Zukunft sicher weiter versuchen werde.
Musik lohnt sich – und das meine ich nicht nur materiell, auch wenn ich als Musiker von der Musik lebe. Musik lohnt sich, weil sie jeden, der sie mit wachen Sinnen in sich aufnimmt, bereichert und mit Sphären vertraut macht, die einem ohne Musik verschlossen blieben.
Meine Damen und Herren, die Kassandrarufe, die in Bezug auf die klassische Musik zu hören sind, sind unzutreffend. Die Krise der Klassik, wird sich als das erweisen, was Max Frisch, einen “produktiven Zustand” genannt hat – einen Zustand, der sie stärkt und ihre Strahlkraft noch heller strahlen lässt.

© Daniel Hope, 2008, All rights reserved

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