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The Girl In The Other Room

09.04.2004
Als Ende 2002 die ersten Nachrichten von einer Liaison zwischen Diana Krall und Elvis Costello an die Öffentlichkeit durchsickerten, fragte sich mancher sogleich, ob diese Liebelei wohl auch Auswirkungen auf die künstlerische Arbeit der beiden Stars haben würde. Zwar wies Elvis Costellos im vergangenen Spätherbst herausgekommenes neues Album einen dezent jazzigen Einfluß auf, zu einem Gastauftritt seiner damaligen Verlobten kam es auf “North” allerdings (noch) nicht. Umso präsenter ist Elvis Costello, der seit dem 6. Dezember 2003 mit der Kanadierin verheiratet ist, nun aber auf dem neuen Diana-Krall-Album “The Girl In The Other Room”.
Bei nicht weniger als sechs Eigenkompositionen (neben dem Titelsong noch “I’ve Changed My Address”, “Narrow Daylight”, “Abandoned Masquerade”, “I’m Coming Through” und “Departure Bay”) arbeitete das frischgebackene Ehepaar zusammen. Außerdem steuerte Elvis zum Repertoire dieses Albums noch seinen Klassiker “Almost Blue” bei (von seinem 1982er Album “Imperial Bedroom”), den auch schon von Chet Baker und Everything But The Girl interpretiert hatten.
 
Überraschungen bieten aber auch die restlichen Titel des Albums, weil sie aus dem für Krall bislang üblichen Programmrahmen von vornehmlich balladesken Jazzstandards herausfallen: Krall interpretiert hier in atemberaubender Weise Tom Waits' “Temptation”, Joni Mitchells “Black Crow”, Mose Allisons “Stop This World” und Chris Smithers “Love Me Like A Man” (das man von Bonnie Raitt kennt). Lediglich die durch Billie Holiday berühmt gewordene Arthur-Herzog-Nummer “I’m Pulling Through” scheint ein Relikt aus alten Krall-Zeiten zu sein.
 
Begleitet wird die singende Pianistin, die dieses Jahr ihren vierzigsten Geburtstag feiert und vom Billboard-Magazin zur Top-Jazzkünstlerin des Jahres 2003 ernannt wurde (da sie mit ihrem letzten Album “Live In Paris” über ein Jahr lang die Charts der traditionellen Jazzalben dominiert hatte), von Gitarrist Anthony Wilson, den Bassisten Christian McBride und John Clayton sowie den Schlagzeugern Peter Erskine, Jeff Hamilton und Terri Lyne Carrington. Das neue Album ist übrigens das erste, das Diana Krall gemeinsam mit Tommy LiPuma produziert hat.
 
Die zarten Melodien der gemeinsam mit Elvis Costello geschriebenen Songs – die Pop im eigentlichen Sinn des Wortes sind – fallen auf und bleiben hängen. Je öfter man sie hört, desto mehr meint man, sie eigentlich immer schon gekannt zu haben. Die Originalität und Qualität dieser Musik ist offensichtlich, obwohl sie sich vor allem in gekonnten Details und gefühlten Nuancen zeigt. Es kommt nicht nur darauf an, was gesungen, gesagt und gespielt wird, sondern vor allem wie.
 
Diana Krall eröffnet “The Girl In The Other Room” mit einem Blues, der angenehm ironischen Mose-Allison-Nummer “Stop This World”. Ein subtiler Befreiungsschlag, der gleich zu Anfang klarstellt, daß es ihr in dieser Welt nicht um Stolz und Status geht. Ihre Welt dreht sich um gute Musik, echtes Talent und tiefe Emotionen. Was man allein daran merkt, wie souverän sie ihr Eingangsstatement nicht nur singt, sondern sich dabei auch besser denn je auf dem Klavier begleitet.
 
Der Titelsong, der erste von sechs Originals, die das Team Krall und Costello für dieses Album geschrieben hat, zeigt Diana Krall als deutlich “andere”, sprich reifere, selbstsicherere, eigenwilligere Interpretin. Das Porträt einer mysteriösen, liebesverwirrten Frau lebt vor allem von der stimmlichen Ausdruckskraft der “Erzählerin”, allerdings auch von ihrem entspannt swingenden Klavierspiel und der virtuosen Begleitung ihrer langjährigen Mitstreiter Jeff Hamilton am Schlagzeug und John Clayton am Bass. Diese “neue” interpretative Qualität, eine schonungslose Offenheit oder verletzliche Schönheit, offenbart sich vor allem in ihren eigenen Songs. Dem reflektiven “I’ve Changed My Address”, dem wunderschönen “Narrow Daylight” und dem unendlich traurigen, letztendlich doch noch hoffnungsfrohen “Departure Bay”, das den Bogen vom ersten Weihnachtsfest mit der Familie nach dem Tod ihrer Mutter bis zur Heimfahrt zu ihrer neuen großen Liebe, ihrem Ehemann Elvis Costello, schlägt.
 
“Ich habe in den letzten Jahren eine Reihe schwerer persönlicher Verluste und tiefschürfender Veränderungen erlebt”, erzählt Diana Krall. “Statt mich abzuschotten und zu verzweifeln, habe ich diese Songs geschrieben. Zuerst habe ich die Musik geschrieben, dann sprachen Elvis und ich darüber, worum es in den einzelnen Songs gehen sollte. Ich habe ihm Geschichten erzählt und Seite um Seite mit Erinnerungen, Beschreibungen und Eindrücken aufgeschrieben, die er dann in eine lyrische Form gebracht hat.”
 
Egal was sie singt, ob Tom Waits' “Temptation” oder Joni Mitchells “Black Crow” oder Elvis Costellos “Almost Blue” von, sie macht sich jeden Song unnachahmlich und unwiderstehlich zu eigen. Man fühlt, was sie singt. Und das jagt einem immer wieder wohlige Schauer über den Rücken.
 
Geboren in Nanaimo in British Columbia, unweit von Vancouver, begann Diana Krall schon mit vier Jahren Klavier zu spielen. Angestiftet von ihrem Vater, einem versierten Stride-Pianisten, studierte sie alte Meister wie Fats Waller, James P. Johnson und Earl Hines, bevor sie mit 15 Jahren ihren ersten öffentlichen Auftritt in einer Bar hatte. Sie war noch ein Teenager, als sie ein Stipendium für das legendäre Berklee College of Music in Boston erhielt. Nach zwei Jahren in Boston zog sie um nach Los Angeles, wo sie Jazzlegenden wie John Clayton, Jimmy Rowles und Ray Brown kennenlernte.
 
Drei Jahre verbrachte sie an der Westküste, bevor sie zurück nach Toronto zog. Schon bald darauf nahm sie ihr Debütalbum “Stepping Out” für das Label Justin Time in Montreal auf. 1994 ging sie nach New York und unterschrieb einen Plattenvertrag beim GRP-Label, für das sie wenig später “Only Trust Your Heart” einspielte, u.a. mit Ray Brown am Bass und Stanley Turrentine am Saxophon. Schon dieses Album wurde von Tommy LiPuma produziert, dem Wegbereiter einiger der grandiosesten Alben für Ikonen von Barbra Streisand bis George Benson.
 
LiPuma zeichnete auch für die Produktion ihrer folgenden Alben für GRP, Impulse! und schließlich Verve verantwortlich, von “All For You: A Dedication To The Nat ‘King’ Cole Trio” (1995) über “Love Scenes” (1997), “When I Look In Your Eyes” (1998) und “The Look Of Love” (2001) bis hin zu “Live In Paris” aus dem letzten Jahr. “Ich habe nie zuvor so viele Alben in Folge für einen Künstler produziert”, erzählt LiPuma. “Diana und ich haben eine so angenehme und gute Art und Weise, zusammenzuarbeiten, daß es uns beiden immer wieder leicht fiel. Wenn einer von uns einen Vorschlag machte, hörte der andere ihm immer zu. Wir respektieren einander.”
 
Der große kommerzielle Durchbruch kam für Diana Krall, deren Alben sich immer gut verkauft hatten, mit “When I Look In Your Eyes”. Nicht nur, daß sich das Album ganze 52 Wochen auf Platz 1 der Billboard-Jazzcharts halten konnte, es brachte ihr außerdem zwei Grammys in den Kategorien “Best Jazz Vocal Performance” und “Best Engineered Album, Non-Classical” ein. Nicht zu vergessen die Nominierung – neben Santana, den Backstreet Boys, Dixie Chicks und TLC – in der Kategorie “Album Of The Year” und ihre damals fast revolutionären Auftritte beim Lilith Fair. Das Album erreichte schließlich Platinstatus in den USA (für über eine Million verkaufte Einheiten!), Doppelplatin in Kanada, Platin in Portugal und Gold in Frankreich.
 
Mit ihrem nächsten Studioalbum “The Look Of Love” konnte sie diese Erfolge eindrucksvoll übertreffen. Bei seiner Veröffentlichung im September 2001 stieg das Album auf Platz 9 der Billboard 200 (der Popcharts also) ein und verkaufte allein in den USA in der ersten Woche seiner Veröffentlichung 95.000 CDs.
 
“Das Besondere an Diana ist ihre Musikalität”, meinte Tonmeister Al Schmitt in einem Interview mit der Los Angeles Times. “Mehr als irgendein Sänger sonst weiß sie, was richtig für sie ist und wie sie es musikalisch umsetzen muß.” Ein Kompliment, das auch und besonders für “The Girl In The Other Room” gilt.
 
Während sich über die Jahre immer wieder neue Wettbewerberinnen auf den Thron der erfolgreichsten Jazzsängerin angemeldet haben, erfindet Diana Krall, die Anstifterin des momentan grassierenden Vokalistinnen-Wahnsinns, die Regeln kurzerhand neu. Sie findet immer neue, interessante und mutige musikalische Ausdrucksmöglichkeiten und bleibt dabei vor allem sich selbst und ihren hohen Ansprüchen treu.

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