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Ellie Goulding, “Delirium”, 2015

Ellie Goulding Legendary Shot 2
06.10.2015
Ellie Goulding hat zu sich selbst gefunden: Sie muss sich nicht länger selbst hinterherjagen (nun ja, zumindest nicht mehr andauernd), weil sie in ihrer Karriere und ihrem Leben endlich an einem Punkt angelangt ist, an dem sich die Musik exakt mit diesem Leben, mit der Realität deckt und wirklich zeigt, wo sie gerade steht – nachdem sie davor fünf Jahre lang eine Veränderung nach der anderen durchlebt hatte und dabei kaum noch hinterhergekommen war. Ihr AlbumDelirium” markiert einen gewaltigen Schritt in dieser Entwicklung, denn sie entwirft darauf eine vollkommen neue Sichtweise, ein neues Fundament für das nächste Kapitel ihrer Karriere als Sängerin.
Auf dem Song “Don’t Panic” bringt sie es schon sehr gut auf den Punkt, wenn sie singt: “I’ve got big dreams, so don’t overcomplicate it.” Indem sie dieses Mal mit renommierten Co-Autoren und Produzenten wie Max Martin, Greg Kurstin, Ryan Tedder, Klas Ahlund und Guy Lawrence (Disclosure) zusammengearbeitet hat, habe sie, so Ellie, “mit diesem Album eine bewusste Entscheidung gefällt, was die Ausrichtung angeht: Ich wollte damit aufs nächste Level kommen.”
Wie groß die oben erwähnten “Big Dreams” sind, belegt ein flüchtiger Blick auf die Zahlen: Ellie Goulding hatte zwei Nummer 1-Alben in UK in Folge, sie hat gleich zwei BRIT-Awards gewonnen, hat insgesamt über 20 Millionen Alben verkauft, die Zahl ihrer Views bei Vevo liegt im Milliardenbereich und erst in diesem Jahr ging ihre Single “Love Me Like You Do” rund um den Globus auf Platz 1 der Charts.
Unglaubliche Zahlen, und doch denkt Ellie noch längst nicht daran, einen Gang herunterzuschalten, im Gegenteil: “Wenn es da eine Art Nebelschleier gab, der die ersten beiden Alben umhüllt hat, dann lag das wohl daran, dass ich damals einfach noch nicht genau wusste, wer oder was ich eigentlich sein will. Bei jedem Pop-Musiker, der sich selbst nicht als unglaublich lässig und cool empfindet, schwingt automatisch so ein Anflug von Unsicherheit mit: Wenn man einfach extrem cool ist, dann will man ein Riesenstar sein, und wenn man ein Riesenstar ist, dann will man auch cool sein.
Bei mir war’s wohl ein wenig so, dass ich nicht genau sagen konnte, wie mich die Leute überhaupt wahrnehmen; ich hatte das Gefühl, dass mir ganz unterschiedliche Dinge nachgesagt und angedichtet wurden. Jetzt allerdings bin ich endlich durch mit diesem ganzen Thema. Es mag zwar verrückt klingen, aber ein Teil von mir betrachtet dieses Album wirklich als ein Experiment – als den Versuch, ein überdimensionales Pop-Album zu machen. Und ich habe einfach das Gefühl, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt dafür ist.”
Drei Jahre nach der Veröffentlichung von “Halcyon”, passiert auf “Delirium” genau das, was sie meint, wenn sie davon spricht, endlich diesen “Nebelschleier zu lüften”. Der Vorgänger war in einer besonders schwierigen Phase ihres Lebens entstanden, und sie selbst sagt, dass sie eigentlich erst jetzt wirklich versteht, wie persönlich und wichtig dieses Album für sie war: “Ja, das war ein finsterer Abschnitt, aber wie finster wurde mir ehrlich gesagt erst klar, als ich damit begonnen habe, das neue Album zu schreiben und aufzunehmen, weil ich so viel glücklicher war dabei”, berichtet sie.
“Auf ‘Halcyon’ wollte ich definitiv diese Abgründe zum Ausdruck bringen, es war eine Art Hilferuf. Und wenn ich die Songs von dem Album heute live singe, dann denke ich manchmal: ‘Wow, das ist ganz schön düster und tiefschürfend.’ Ich meine, immerhin endet das Album mit einem Titel, der ‘Dead In The Water’ heißt – was ein ziemlich eindeutiges Statement ist.”
Die Arbeit an “Delirium” hingegen habe ihr einfach nur Spaß gemacht: “Es gibt so viele Passagen in diesen neuen Songs, bei denen Freunde von mir sofort rufen: ‘Oh, das bist typisch du, Ellie!’, womit sie meinen, dass ich mal wieder so ehrlich bin, dass es schon wehtut. Zum Beispiel wenn ich singe ‘Everything you do I overanalyse’, dass ich alles immer so genau unter die Lupe nehme, das ist so eine Stelle, die wohl echt typisch ist für mich. Andererseits gibt es auch Zeilen wie ‘I need a love to celebrate.’ Was eine schöne, vollkommen positive Sache ist, wenn man das sagt, und ganz anders als ‘I need a love that I can tear apart’, so wie ich’s wahrscheinlich früher geschrieben hätte.”
Die Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie, die in diesen Aussagen anklingt, deutet auf eine weitere Veränderung in Ellies Leben hin, denn die ganze Einstellung zu ihrer Karriere ist heute eine vollkommen andere als noch vor ein paar Jahren: “Ich fühle mich viel akzeptierter, und das ist ein Gefühl, das ich früher nicht hatte. Ich glaube, das hat mehrere Gründe: Die Musikindustrie hat sich so sehr verändert, dass es quasi nicht mehr möglich ist, ein Künstler zu sein, der einfach nur einen Hype erlebt – entweder du hast den großen Airplay-Hit oder du hast ihn eben nicht.
Heute ist es viel schwieriger, ein wirklich unbekannter Untergrund-Künstler oder ein absoluter Mega-Star zu sein, es sei denn, du hast irgendeinen Celebrity-Background. Meine Karriere fing in einer Zeit an, in der ich es mir gerade noch erlauben konnte, mich selbst zu etablieren. Und ich würde mich noch immer nicht als ‘großer Name’ einstufen: Ich stelle mich auf kein Podest – aber ich denke auch nicht, dass ich nichts erreicht hätte. Ich sehe mich dann schon eher irgendwo dazwischen.
Was sich in mir jedoch verändert hat, ist folgendes: Wenn mir früher jemand den Vorschlag gemacht hätte, bei einer großen Preisverleihung oder in einer großen TV-Show aufzutreten, dann wäre ich echt nervös geworden und hätte gesagt: ‘Ich weiß nicht so recht…’ Nun, damit ist jetzt Schluss. Heute bin ich bereit dafür. Und ich bin es mir sogar selbst schuldig, das Ganze so anzugehen. Ich brauche mich nicht mehr zu entschuldigen – und wofür überhaupt sollte ich mich entschuldigen?”  
Auf “Delirium”, das Ellie in London, in ihrer Heimat in Herefordshire (wo sie auch mit ihrem angestammten Kollegen Jim Eliot vom “Halcyon”-Vorgänger arbeitete), in Schweden und Los Angeles geschrieben und aufgenommen hat, hört man durchaus ihre Markenzeichen heraus – ihre außergewöhnliche Stimme, die schonungslose Offenheit und der Hang zur Selbsterforschung in den Texten, die elektronischen Beats, die es ihr schon als Teenager angetan hatten –, nur dreht sie dieses Mal noch mehr auf.
Schon im Vorfeld habe sie gewusst, dass die Arbeit an “Delirium” wahnsinnig toll werden würde, wie sie sagt, denn die Chemie zwischen ihr und den beteiligten Musikern habe einfach sofort gepasst: “Ich habe Max immer als diese Legende betrachtet, aber dann hörte ich von verschiedenen Seiten, dass die Arbeitsatmosphäre bei ihm extrem entspannt sein soll, alles ganz locker und freundschaftlich. Und trotzdem war ich zuerst noch ganz schön aufgeregt – schließlich arbeitet der Typ nicht mit jedem zusammen.
Als wir uns dann für die Aufnahme von ‘Love Me Like You Do’ das erste Mal begegneten, war er sogar noch lässiger und cooler als er mir geschildert worden war: lustig, herzlich und dabei vollkommen geerdet. Er ist echt leidenschaftlich bei der Sache, und das ist einfach mal extrem ansteckend. Eigentlich wollten wir nur ein paar Sessions machen, ein paar erste Versuche, aber nach den ersten Aufnahmen sagte er schon: ‘Warum hängen wir nicht gleich noch eine ganze Woche dran?’ Und wenig später hieß es: ‘Komm einfach wieder vorbei, wann immer du dich danach fühlst.’
Wir haben auch nie einen festen Plan gefasst. Einen der Songs habe ich mit einem seiner Freunde in Schweden geschrieben, und nachdem er ihn gehört hatte, rief er sofort an und sagte: ‘Hey, der Track ist unglaublich gut, wir müssen daran weiterarbeiten.’ Alles passierte wie von selbst – als ob das Nicht-Planen der eigentliche Plan gewesen wäre, falls das Sinn macht. Und dazu kommt, dass er so unglaublich bescheiden geblieben ist, obwohl er für Songs verantwortlich ist, die das Leben von unzähligen Menschen verändert haben.
Damit ist er wirklich eine Ausnahme, denn nicht jeder ist so: Manchmal trifft man Leute, die kein bisschen dankbar zu sein scheinen; sie sind vielleicht unfassbar talentiert, aber absolute Arschlöcher dabei. Es war wirklich toll, in diesem Umfeld zu arbeiten, das Max da für mich kreiert hat. Leute wie er machen einfach ganz besondere Songs; da ist keine einzige Wegwerf-Idee dabei.”  
Ein weiterer Gleichgesinnter war Greg Kurstin: “Der ist einfach mal ein Schatz von einem Nerd”, meint Ellie. “Und er ist so unglaublich intuitiv bei der Sache. Er durchschaut einen sofort, weiß, in welcher Stimmung man sich gerade befindet, und deshalb funktioniert die Arbeit mit ihm auch so perfekt. Mit ihm muss man gar nicht viele Worte verlieren, weil er sofort weiß, was los ist.”
Stücke wie “Devotion”, “On My Mind”, “Don’t Panic”, “Nobody But U” oder auch “Codes” sind allesamt unglaublich eingängige Statements von einer Künstlerin, die ganz klar das Heft in der Hand hat und die noch nie so selbstbewusst klang wie hier. “Army” hingegen dürfte schon bald zu den absoluten Meilensteinen ihrer Karriere zählen: Indem sie den Blick auf ihre beste Freundin Hannah richtet, berichtet Ellie davon, wie zwei Unzertrennliche eine Krise überwinden, sich nicht davon kleinkriegen lassen.
Zugleich ist “Army” einer von etlichen Songs auf “Delirium”, bei denen Ellies größtes Markenzeichen – die grandios übereinander geschichteten Gesangsspuren – ganz klar die Hauptrolle spielt. “Ja, ich weiß”, lacht sie, “diese Abba-Harmonien. Als wir die Aufnahme machten, sagten wir sogar, ‘Oh Gott, das ist typisch Abba!’ Aber klar, das sind einfach mal die besten Popsongs der Welt. Und sich auch noch darauf zu beziehen, wie cool ist das bitte?”
Ihr Plan lautet nun, die vielschichtigen und komplexen Arrangements der neuen Songs auch live auf der Bühne umzusetzen: “Am liebsten würde ich den Hintergrundgesang dafür sogar durch einen richtigen Chor ersetzen – oder zumindest durch eine ganze Masse von Sängern und Sängerinnen. Diese neuen Stücke haben so wilde und schräge Gesangs-Arrangements, dass ich das einfach machen muss.”
Was ihre eigene Stimme angeht, hat Ellie inzwischen gelernt, wie behutsam sie damit umgehen muss, und sie weiß, was für einen Verschleiß gerade so eine große Tour mit sich bringen kann: “Ich schone sie wirklich, ich trinke viel Tee, ich inhaliere, um meine Stimmbänder in Form zu halten. Sie sind einfach so unglaublich kostbar… ich habe keine Ahnung, woher sie kommen oder wem ich sie zu verdanken habe, aber natürlich ist mir klar, dass ich sie vor schlechten Einflüssen schützen muss.
Ich wollte sogar schon einen chirurgischen Eingriff im Inneren meiner Nase durchführen lassen, weil ich noch nie so richtig gut durch meine Nase atmen konnte. Beim Yoga heißt es dann immer: ‘Und jetzt einfach durch die Nase atmen’, und dann sitze ich da mit offenem Mund und schnaufe herum. Nur mache ich mir halt Sorgen, wie sich das in Zukunft auf meine Stimme auswirken könnte.”
Obwohl sie heute sichtlich entspannter ist und mehr in sich ruht, fällt es Ellie noch immer nicht leicht, komplett abzuschalten: “Zu Weihnachten habe ich mir mal ein paar Wochen komplett freigenommen, und dann noch hier und da mal eine Woche. Aber so eine richtig lange Auszeit habe ich mir noch nie genommen seit das alles angefangen hat.” Doch selbst wenn sie mal ein paar Tage frei macht, scheinen die Fotoapparate sie inzwischen auch dann auf Schritt und Tritt zu verfolgen:
“Natürlich gibt’s Leute, bei denen das noch viel schlimmer ist, aber es ist trotzdem ein komisches Gefühl, sich überhaupt damit auseinandersetzen zu müssen. Ich will nun mal nicht am Strand liegen und darüber nachdenken müssen, ob ich nun meinen Bauch einziehen sollte oder ob meine Bräune so gut aussieht. Denn natürlich kann es vorkommen, dass man hinterher solche Schnappschüsse sieht und denkt: ‘Mann, sehe ich übel aus!’ Nur ist es ja so, dass ich nie den Plan hatte, wie ein Supermodel oder ein Mega-Babe auszusehen: Ich war einfach nur mit meinen Freunden am Strand und wollte meinen Spaß haben!”
“Wirklich verunsichern kann mich das aber auch nicht mehr”, meint sie weiterhin, “weil ich mich inzwischen einfach viel zu gut kenne. Ich akzeptiere mich selbst viel mehr, weil ich einfach selbstbewusster geworden bin in dem, was ich tue. Solche Nebensächlichkeiten stören mich also nicht mehr großartig. Früher, ganz am Anfang, war ich schrecklich schüchtern; das sieht man sogar, wenn man sich die Bilder aus den Anfangstagen anguckt: Meine Posen, meine Klamotten… manche Sachen davon finde ich inzwischen echt extrem peinlich. Ich habe mich damals einfach nicht wohlgefühlt in meiner Haut, und das war auch vollkommen offensichtlich – für mich zumindest.”
Ein Grund dafür, so Ellie, sei sicherlich die Tatsache, dass sie “nun mal nicht auf die BRIT-School gegangen” ist “oder aus reichem Hause” kommt, "wo man von den Eltern unterstützt wird. “Der Ort, von dem ich stamme, war wirklich nicht der Beste, und ich habe es trotzdem an diesen Punkt hier geschafft. Früher waren meine Wurzeln mir peinlich, aber auch das ist jetzt vorbei. Im Gegenteil, ich gehe ganz offen damit um und rede darüber, denn das ist es letztlich auch, was mir dabei geholfen hat, den ganzen Weg bis hierher zurückzulegen. Ich finde das inzwischen sogar ziemlich cool, und ich möchte damit auch andere Menschen inspirieren.”
 

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