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Enrico Rava – The Words And The Days

24.01.2007
Mit seinem neuen Quintett-Album “The Words And The Days” knüpft der italienische Trompeter Enrico Rava an sein 2003 veröffentlichtes Opus “Easy Living” (ECM 1760) an. “Easy Living” markierte siebzehn Jahre nach “Volver” (ECM 1343) Ravas Rückkehr zum ECM-Label und unterstrich, daß der Leader nach wie vor eine der markantesten Stimmen des europäischen Jazz besitzt und ein ebenso phantasievoller wie elegant phrasierender Musiker ist. Das Ensemble, mit dem er “Easy Living” aufgenommen hatte, spielte zu diesem Zeitpunkt schon vier Jahre zusammen und verstand sich nahezu blind. Vor der Aufnahme von “The Words And The Days” gab es nun indes eine Umbesetzung: Für den virtuosen Solisten Stefano Bollani holte Rava den eher ensembledienlich spielenden Andrea Pozza in sein Quintett. Die Band wirkt dadurch sogar noch geschlossener und versteht es hervorragend, in den improvisierten Passagen sofort auf Ravas Stimmungswechsel zu reagieren. Nicht zuletzt bedingt durch das Ausscheiden Bollanis aus dem Quintett erhält diesmal Posaunist Gianluca Petrella mehr Spielraum, sich in Szene zu setzen.
Der 1939 in Triest geborene Rava ist einer der wenigen Musiker, die sich im Laufe ihrer Karriere mit beinahe der gesamten Jazzgeschichte musikalisch auseinandergesetzt haben und die auch in ihrem Spiel reflektieren können. Er begann als von Kid Ory inspirierter Posaunist in einer Dixieland-Band, wechselte dann, nachdem er 1956 Miles Davis und Lester Young in Turin live gesehen hatte, zur Trompete. In den frühen 60ern überredete der argentinische Saxophonist Gato Barbieri, zu dessen Band Rava 1964 stieß, den Trompeter dazu, sich ganz der Musik zu widmen. In Rom lernte er den amerikanischen Sopransaxophonisten Steve Lacy kennen, der ihn mit auf Tournee nahm. 1966 spielten die beiden in Buenos Aires mit Bassist Johnny Dyani und Schlagzeuger Louis Moholo das Live-Album “The Forest And The Zoo” (ESP) ein. Durch Lacy erhielt Rava Kontakt zum New Yorker Jazz Composer’s Orchestra (Rava spielte 1971 auch auf Carla Bleys Klassiker “Escalator Over The Hill” mit) und zu Cecil Taylor.

Sein erstes Album für ECM Records – “The Pilgrim And The Stars” (ECM 1063) -  machte der italienische Trompeter 1975 mit John Abercrombie, Palle Danielsson und Jon Christensen. Ein Jahr später folgte in derselben Besetzung “The Plot” (ECM 1078). 1978 erschien “Enrico Rava Quartet” (ECM 1122) mit Roswell Rudd, Jean-François Jenny-Clark und Aldo Romano sowie 1986 das bereits erwähnte Album “Volver” mit Dino Saluzzi, Harry Pepl, Furio di Castri und Bruce Ditmas. Für das von ECM vertriebene Label JAPO entstanden in den 70er Jahren auch noch zwei Aufnahmen, eine von Enrico Rava selbst und eine mit seiner Beteiligung: 1974 das Rava-Album “Quotation Marks”* (JAPO 60010) und 1979 “Compositions” (JAPO 60027) von Alexander Schlippenbachs Globe Unity Orchestra. (* Das mit John Abercrombie, David Horowitz, Jeanne Lee, Herb Bushler, Jack DeJohnette, Ray Armando und Warren Smith aufgenommene Album wurde letztes Jahr von Universal Music in Japan auf CD wiederveröffentlicht!)

Unabhängig davon wie “frei” der musikalische Kontext war, erwies sich Enrico Rava stets als melodischer, singender Trompeter. Die lyrische Seite seines Spiels und seiner Kompositionen hat er im Laufe der Jahre natürlich weiterentwickelt, aber schon in den 70er Jahren war Rava dafür bekannt, daß er seinen sanften, romantischen Trompeten-Sound gerne mit freieren Formen kontrastierte. Dies zeigte er zum Beispiel in dem Titel “Dr. Ra And Mr. Va”, der 1976 auf dem Album “The Plot” erschien und den er nun für “The Words And The Days” einer Revision unterzogen hat.

Fasziniert haben Enrico Rava auch immer die avantgardistischen Klangwelten von Don Cherry und Ornette Coleman. Genähert hat er sich diesen in eigenen Kompositionen sowohl auf “Easy Living” als auch auf “Tati” (ECM 1921), Ravas Trio-Album mit Stefano Bollani und Paul Motian. Mit seinem Quintett ging er nun einen Schritt weiter und interpretierte Don Cherrys Komposition “Art Deco”.

Zum Repertoire des Quintetts steuerten auch zwei seiner Mitglieder Stücke bei: von Schlagzeuger Roberto Gatto stammt das humorige, mit einem gewissen New-Orleans-Flavor gewürzte Nummer “Traps” und von Bassist Rosario Bonaccorso die Solo-Performance “Sogni proibiti”. Außerdem wurde mit Russ Freemans “The Wind” ein Standard aufgenommen, den Chet Baker oft spielte. Die restlichen sieben Titel schrieb Enrico Rava. Sein “Echoes Of Duke” beschwört Erinnerungen an den Ellington der frühen Cotton Club-Jahre herauf, während “Serpent” ein wenig nach dem Miles Davis der späten 60er Jahre klingt – dennoch drückt Rava beiden Nummern unverkennbar seinen ureigenen Stempel auf. Das Titelstück ist ein besonders schönes Beispiel für Ravas weit geschwungene melodische Bögen in einem freien Balladen-Kontext und “Secrets” (vom gleichnamigen Soul Note-Album aus dem Jahr 1986) ist eine weitere Überarbeitung einer älteren Rava-Komposition.

Der neue Pianist Andrea Pozza (1965 in Genua geboren) trat schon als 13jähriger in lokalen Jazzclubs auf. Er begleitete bereits zahlreiche amerikanische Musiker wie z.B.  Lee Konitz, Chet Baker, Slide Hampton, Charlie Mariano, Sal Nistico, George Coleman, Al Grey sowie Jimmy Knepper und arbeitete intensiv mit dem Saxophonisten Steve Grossman zusammen.

Posaunist Gianluca Petrella (1975 in Bari geboren) gehört schon seit zehn Jahren zu Ravas Band. Auch mit Roberto Ottaviano, Carla Bley, Greg Osby und Lester Bowie hat er schon zusammengespielt. Sein ECM-Debüt machte er 2001 auf dem Album “Charmediterranéan” (ECM 1828) als Mitglied des Orchestre National de Jazz. Das Album featurete Anouar Brahem und Gianluigi Trovesi. 2005 brachte er bei Blue Note sein erstes Album als Leader heraus: “Indigo 4”. Petrella arbeitet auch häufig mit der Sängerin Cristina Zavalloni.

Bassist Rosario Bonaccorso (1957 auf Sizilien geboren) wird besonders dafür geschätzt, daß er es versteht “in der Tradition” zu spielen. Amerikanische Jazzgrößen wie Benny Golson, James Moody, Lee Konitz, George Coleman, Clark Terry und Cedar Walton engagieren ihn gerne als Begleiter, wenn sie sich auf Konzertreise durch Italien befinden. Bonaccorso unterhält zudem ein eigenes Quintett, in dem auch Pianist Andrea Pozza spielt.

Roberto Gatto (1958 in Rom geboren) arbeitet nunmehr schon seit zwanzig Jahren immer wieder mit Enrico Rava zusammen. In einer Down Beat-Kritik wurde er einst als eine Mischung aus Tony Williams und Jack DeJohnette beschrieben. Beeinflußt haben ihn aber laut eigener Aussage auch “freie” Schlagzeuger wie Han Bennik. Gatto hat bereits mit zahllosen internationalen Jazzgrößen zusammengespielt (u.a. mit Tommy Flanagan, John Abercrombie, Johnny Griffin, Steve Lacy, Phil Woods, Joe Zawinul, Pat Metheny, Lee Konitz, Chet Baker, Art Farmer, Enrico Pieranunzi, Bob Berg und Joe Lovano) sowie eigene Alben mit Stargästen wie Michael Brecker und John Scofield aufgenommen.

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