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Friedrich Gulda – So What?!

10.10.2007
Die DVD “So What?!” bietet ein umfassendes Porträt des einzigartigen Künstlers Friedrich Gulda. Als klassischer Pianist wurde er weltweit für seine Darbietungen der Werke Bachs, Mozarts und Beethovens gefeiert wurde, als Jazzpianist trat er unter anderem gemeinsam mit Koryphäen wie Chick Corea, Cecil Taylor, Herbie Hancock und Joe Zawinul auf. Wie das amerikanische Nachrichtenmagazin Time meinte, war Gulda einer der ganz wenigen Künstler, die eine solide Reputation sowohl im klassischen Fach als auch in der Jazzszene genossen.
Diese Video-DVD bietet außer dem rund einstündigen Filmporträt “So What?!” und einem 1986 aufgezeichneten Gulda-Interview von Joachim Kaiser natürlich auch jede Menge reine Musik. Gulda interpretiert hier auf Piano und Clavichord neben klassischen Werken von Bach, Schubert, Debussy und Mozart auch eigene Kompositionen sowie “Die Reblaus”.
 
Den nachfolgenden Text verfaßte Guldas Sohn Paul für die Veröffentlichung von “So What?!”:
 
Friedrich Gulda (1930–2000) gehört, ganz ohne Zweifel, zu den wichtigsten Erscheinungen im Musikleben seiner Zeit und wohl auch darüber hinaus. Unter den Pianisten haben vielleicht nur noch Persönlichkeiten wie Glenn Gould, Vladimir Horowitz, Swjatoslaw Richter und Martha Argerich solche Strahlkraft entwickelt. Dazu ließen sich natürlich viele Namen aus Jazz, Pop, Rock aufzählen und einige weltweit agierende Dirigenten, quasi die Kapitäne der klassischen Musikindustrie. Dagegen haben Friedrich Gulda eine gewisse Strenge und Treue zu sich selbst, sowie seine stete Lust auf das Unbekannte und Unerforschte, mit gesunder Skepsis auf den Musikbetrieb blicken lassen. Er hätte mit seinen Fähigkeiten und seinem Charisma jahrelang um die ganze Welt ziehen können – und hat sich stattdessen immer wieder an einen See in Österreich zurückgezogen, stets auf “Neuen Bahnen” schreitend.
Mit 16 den ersten Preis in Genf, mit 20 in der Carnegie Hall ein umjubeltes Debüt – jeder Konzertsaal der alten und neuen Welt stand ihm danach offen; ab Mitte 20 dazu Engagements in führenden Jazzclubs, zum Beispiel dem New Yorker Birdland; außerdem eine Anzahl origineller, erfolgreicher Kompositionen: Es hätte für mehrere Laufbahnen gereicht. Um aber als Musiker und Mensch zu reifen, genügte es nicht, in erprobten Gebieten einer der Besten zu sein: Mit dem Schritt in die ohne jede Vorgabe und Absprache improvisierte “Freie” Musik (mit der Gruppe Anima und anderen) stellte er das Bisherige ab 1971 radikal in Frage und entzog sich den Kategorien des Marktes, seinen Ritualen, Zwängen und stillen Einverständnissen. Er spielte nicht mit, sozusagen. In diesem Mut zur Freiheit, auch zum Rückzug, und dann zur rundum erneuerten Rückkehr, liegt das Einzigartige und Exemplarische  seines Lebens. Dadurch waren sein Spiel, seine Biographie und sein Auftreten – auch im Wortsinn! – außergewöhnlich, bedeutend und aufregend.
 
Es ist dem Team von LOFT Music München und den Produzenten Manfred Frei und Karl-Heinz Hein zu danken, daß eine große Zahl perfekter Videodokumente von Friedrich Gulda existiert. Durchaus lustvoll und versiert im Umgang mit den Medien, dürfte er nur darauf gewartet haben, seine Musik, Ideen und Visionen ab etwa 1980, dem neuen Wissensstand angemessen, darzustellen. Zum einen beim Münchner Klaviersommer mit seinem Konzept der offenen Begegnung von Jazz und Klassik, zum zweiten mit der Möglichkeit, sowohl live als auch im Studio von einem erstklassigen Team aufgenommen und gefilmt zu werden. Daß die Deutsche Grammophon diese Dokumente, und hoffentlich noch viele weitere aus dem LOFT-Archiv, veröffentlicht, ist für unsere Familie nicht nur einfach erfreulich, sondern kann als Signal verstanden werden: Es wäre wünschenswert, daß die Botschaft dieses Künstlerlebens in noch breiterem Maß aufgenommen und nachvollzogen werde.
 
Die Gleichzeitigkeit von Vielfalt und Tiefe, mit welcher der reife Friedrich Gulda hier agiert, darauf kommt es an. Crossover mag manchmal gelingen, auch amüsant und leicht geraten; und mancher Künstler mag öffentlich mit Hingabe, ja sogar Qual um die letzten Einsichten ringen. Friedrich Gulda hat beides durch- und überschritten. Er ist bis auf den Grund hinabgestiegen in den vielen Gebieten, die er auswählte, ja bestimmt manchmal bis in die Unterwelt – auf der Suche nach welcher Eurydike? Er selbst meint im Film “So What?!”, die Musik selbst sei die Frau seines Lebens gewesen.
 
Die Summe dieser Erfahrungen ist auf der vorliegenden DVD, gleichsam als erster Überblick, nachzuhören und zu sehen: vom kompromisslosen Ernst seiner Bach-Interpretation bis zum trunkenen Übermut der “Reblaus” – nur wer einmal “full circle” gegangen ist, und dazu noch alles, wirklich alles, angezweifelt hat, kann diese Spannweite mit so unerhörter, spielerischer Leichtigkeit glaubhaft machen. Und der Mensch Friedrich Gulda in seinem Widerspruch – oder doch Einklang? -  wird in dem bereits erwähnten Film, im Interview, und bei der leutseligen Conference in “Solo Flight” sichtbar und durch seine Worte vielleicht verstehbar. Und doch: Letztlich ist es die Musik, die uns im Tieferen verstehen läßt. Mein ganz persönlicher Beweis ist die Version von “Für Paul”, welche auf dieser DVD festgehalten ist.

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