Friedrich Gulda | News | Genius im Neuland

Genius im Neuland

02.10.2007
Es war eine Zeit, in der die Demarkationslinien des musikalischen Geschmacks noch wesentlich deutlicher gezogen waren als heute. Auf der einen Seite, hieß es, stünden die Jazzer, auf der anderen die klassischen Musiker und Musikkonsumenten. Natürlich funktionierte das auch während der Nachkriegsjahre schon nicht mehr wirklich als Unterscheidungssystem. Aber es machte es trotzdem den Künstlern schwer, mehr als nur hobbyhaft über den Tellerrand zu blicken. Insofern war es geradezu eine Pioniertat, als der Star der klassischen Pianisten-Szene Friedrich Gulda sich im Sommer für ein paar Gastspiele im New Yorker Jazz-Club “Birdland” mit einem prominent besetzten Septett einmietete und die Auftritte nicht nur spielte, sondern auch aufnahm und auf Langspielplatte veröffentlichte. Ein Raunen ging damals durch die Reihen der Jazzpolizei ebenso wie durch die Riege der Normenwärter der klassischen Musiktradition.
Sicher, man kannte Friedrich Gulda schon als einen ungehorsamen Künstler, als jemanden, der im Teenageralter von sich behauptete, bereits spieltechnisch hinreichend ausgereift zu sein und tatsächlich über eine Interpretationskunst verfügte, die viele Kollegen auf die hinteren Ränge verwies. Man wusste auch, dass er einer von denen war, der sich von der Vitalität der noch jungen Bebop-Clique begeistern ließ und seine künstlerische Sympathie auch öffentlich kundtat. Allerdings ging Gulda über die intellektuelle Koketterie hinaus und schritt zur Tat. Er mischte sich unter das Volk der Jazz-Aficionados, jammte mit den Musikern und beschäftigte sich ausführlich mit deren improvisatorischem System. Es entstand in der Folge eine auch von den Plattenfirmen mitgetragene doppelte Wahrnehmung des Wiener Genies durch die musikalische Öffentlichkeit, des genialen Mozart- und Beethoven-Interpreten auf der einen Seite und des musikalischen Sonderlings auf der anderen, der in einer ansatzweise verruchten Sparte fremdging. Tatsächlich war es eine Phase der Dualität, an die sich auch Paul Gulda, der als einer der Hauptverantwortlichen über die Re-Edition der musikalischen Hinterlassenschaft seines Vaters wacht, deutlich erinnert: “In den Fünfzigern und Sechzigern hatte mein Vater viel mit klassischen Plattenfirmen zu tun gehabt. Gleichzeitig hat er seine eigenen Kompositionen vorangetrieben, wobei ihm das Formale sehr wichtig war. Das Chorus-System des Jazz war ihm da viel zu wenig. Es schrieb einige interessante und sehr stimmige Sachen, die ihm aber die klassischen Firmen nicht abkauften”.
 
Der doppelte Gulda also, hier Tradition, dort Improvisation, betrachtet unter dem Blickwinkel des formerfahrenen Klavierspezialisten. Wirklich seine Freiheit bekam er erst in den Siebzigern ermöglicht, mit den Aufnahmen für das Hifi-Label MPS oder auch den von ihm mit initiierten Konzerten des Münchner Klaviersommers. Im kleineren Rahmen jedoch ließ er es sich auch zuvor schon nicht nehmen, dem Grenzgang der Kreativität zu frönen. Im Sommer 1956 stellte Friedrich Gulda sich ein mit den Saxofonisten Jimmy Cleveland, Phil Woods, Seldon Powell, dem Trompeter Idrees Sulieman, dem Bassisten Aaron Bell und dem Schlagzeuger Nick Stabulas hervorragend besetztes Septett zusammen, mit dem er im legendären New Yorker Live-Club “Birdland” gastierte. Die Mikrofone waren dabei, man nahm ein Set auf, das mit sechs Kompositionen aus der Werkstatt des Pianisten und zwei Standards ein für damalige Verhältnisse klares Statement für die Gestaltungskraft des Crossovers abgab. Guldas Arrangements orientierten sich an Klangfarbenexperimenten à la Claude Thornhill oder auch Gil Evans, es waren dicht ineinander verzahnte Melodieführungen in den ausgeschriebenen Passagen, die wie nebenbei die Kunst der Kontrapunktik für das System des Jazz sublimierten. Als Solist hielt Gulda sich zurück und wenn er doch in den Vordergrund trat, dann in der Blockchord-Tradition eines Erroll Garners gewürzt mit der melodischen Hipness des von ihm bewunderten Bud Powell. “Friedrich Gulda at Birdland” erschien bei der RCA, wurde mit einer Mischung aus Verwunderung und Überraschung aufgenommen und avancierte bald darauf zu einem Sammlerstück.
 
Die Neuausgabe erweitert nun dieses historische Dokument mit den ursprünglich acht veröffentlichten Stücken (plus der Live-Ansage) des ersten Aufnahmetages am 28. Juni 1956 um fünf weitere Tracks des ersten Dates und drei des Folge-Abends. Sorgfältig remastered und in der Tonqualität im Vergleich zu den früheren Torso-Veröffentlichungen deutlich verbessert, entsteht ein umfassendes Bild des Klassik-Pianisten in neuen Gefilden, der damals durchaus mit seinen Erfahrungen rang. Im Gespräch mit Kurt Hofmann etwa erinnerte sich Friedrich Gulda mit Respekt an diese Zeit: “…1956, das weiß ich noch genau, da bin ich gestanden am Flughafen von Buenos Aires und hab' – wie öfter, muß ich leider sagen – zwei Verpflichtungen gehabt. Die eine war ein Meisterkurs am Mozarteum in Salzburg und die andere ein Engagement im Birdland in New York. Was soll ich machen? Da waren zwei Flugzeuge und in welches steig ich ein? Einen musste ich versetzen und Gott sei Dank bin ich dann in die Maschine nach New York eingestiegen und habe die Salzburger hängenlassen – unter irgendeinem Vorwand mit Krankheit oder irgendwas. Tollkühn bin ich einfach ins Birdland gegangen, obwohl ich mich immer noch als Anfänger fühlte. ‘Es ist Wurscht, man muß sich einmal trauen.’
 
Ich hab dort Jazz gespielt, obwohl ich genau wußte, gestern spielte der Charlie Parker und morgen spielt der Dizzy Gillespie (…) und gegen solche Giganten bin ich ein Niemand. Das war wirklich eine Mutprobe. Die habe ich bestanden und darauf bin ich auch ziemlich stolz. Es war nicht so schlecht, aber es war natürlich nicht im entferntesten das, was ich auf dem anderen Sektor bereits erreicht hatte. Es war sozusagen meine Gesellenprüfung. Und dann habe ich weiter vier bis fünf Jahre, bis Ende der fünfziger Jahre, in den Jazz invertiert, bis ich mir selbst sagen konnte, und die anderen gesagt haben, ja den Gulda, den kann man auch als Jazzmusiker ernst nehmen. Das war für mich ein ungeheurer Triumph, dass ich eine zweite Karriere mit einem ehrlich erworbenen Erfolg geschafft habe.” (Friedrich Gulda, aus Gesprächen mit Kurt Hofmann, Langen Müller 1990)

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