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Mozart am Fenster

10.10.2007
Man möchte meinen, ein Pianist vom Schlage Friedrich Guldas hätte sich ans Klavier setzen und einfach alles, was ihm beliebte, aus dem Ärmel schütteln können. Mit machen Stücken mag das sogar so gewesen sein, den meisten Komponisten gegenüber aber hatte der Wiener Klangkünstler einen großen Respekt. Vor allem Wolfgang Amadeus Mozart blieb ihm ein Mysterium, dem er sich erst in seinen späten Jahren annäherte. Die Beschäftigung mit dessen Sonaten begann Mitte der Siebziger, zunächst privat, dann von 1981 an auch mit öffentlichen Konzerten. Zur persönlichen Kontrolle hatte Gulda während der Übungszeiten in seinem Haus am Attersee stets ein Tonband mitlaufen lassen. Aufnahmen entstanden, die lange verschollen waren und erst jetzt, mit Abstrichen an die Tonqualität, aber nicht an den Genius, rekonstruiert werden konnten. Die erste Folge dieser “Mozart Tapes” sorgte bereits während des vergangenen Jubeljahres für Aufsehen, der zweite Teil nun komplettiert die Einspielung der Sonaten, unter anderem mit berühmten Werken wie der “A-Dur-Sonate KV 331”.
Es war eine der privaten Phasen im Leben Friedrich Guldas, als er sich zunehmend von den freien und improvisierenden Experimenten der späten sechziger und frühen siebziger Jahre abwandte. Damals widmete er sich mehr und mehr seinem verehrten Genius Mozart und sein sonst von ihm getrennt lebender Sohn Paul erlebte einige dieser Übungsperioden in dem Anwesen am Attersee intensiv mit – eine Erinnerung, die ihn noch Jahrzehnte später mit einer Mischung aus Liebe und Ehrfurcht erfüllt: “Ein typischer Vormittag in seinem sommerlichen Arbeitsstudio am Attersee begann etwa um neun, halb zehn. Bis zum Mittag hatte FG dann vier, fünf Sonaten gespielt, wie im Konzert, Satz für Satz, nach meinem Verständnis fehlerfrei und plattenreif. Zur Auflockerung dazwischen vielleicht noch etwas Bach, in dazu passenden Tonarten und Stimmungen – ebenso konzentriert und plattenreif; zur Selbstkontrolle lief immer das Tonband mit, äußerst selten wurde einmal eine Stelle heraus gegriffen und genauer seziert. Auch noch 25 Jahre danach sehe ich den einladenden Blick, mit dem er vom Klavier aufsah, zum Hereinkommen und Zuhören auffordernd, sehe ich das Studio mit offenem Fenster zum See, die Zigarette, die immer nur angeraucht wurde, um dann während des nächsten Stücks zu verglühen …
 
Und ich kann sagen, dass ich den Klang seines Klaviers dort, seinen charakteristischen Rhythmus, sein ‘Timing’ bei all diesen Stücken wie lebendig im Ohr habe. Wie ich erschüttert war, als ich von ihm zum ersten Mal die tragische Durchführung im zweiten Satz der a-moll-Sonate hörte, wie er die Bass-Noten mit dem gestreckten Daumen herausmeißelte! Wie er andererseits das einfache Menuett aus der Es-Dur-Sonate KV 282 fast kindlich und doch herzhaft tänzerisch nahm, um dann gleich eine Parallele zwischen dem Allegro aus KV 332 und ‘Se vuol ballare’ aus dem Figaro – wieder ein Menuett – zu ziehen …” Man kann von Glück sagen, dass diese Momenten überhaupt erhalten blieben, jedenfalls stellen sie die einzige vollständige Interpretation der Mozart-Sonaten aus Friedrich Guldas Sicht dar und wurden mit Hilfe seines Sohnes in den Emil Berliner Studios rekonstruiert und auf CD übertragen. Zwei Werke fehlen,  KV 309, an deren Echtheit Gulda zweifelte, und KV 533/594, die er für Stückwerk hielt – und im Fall der Sonate KV 457 fügte Paul Gulda noch eine halbe, fehlende Minute eigenhändig ergänzend hinzu. So konnten Tondokumenten wieder erstehen, die einen Genius im Zwiegespräch mit seinem Idol belauschen, Momenten von betörender Schönheit, die Menschen verzaubern können. “Durch Zufall”, erinnert sich Paul Gulda an einen solchen Augenblick. “traf ich vor kurzem eine Dame, die diese Sommer vor 25 Jahren auch am Attersee verbrachte. Sie beschrieb mir, wie sie damals den Zeitpunkt und Weg zum täglichen Einkauf so wählte, dass sie unbemerkt vor dem Studio am geöffneten Fenster zuhören konnte – und darüber die Zeit vergaß …”

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