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Unbeugsam, exzentrisch

18.02.2005
Am meisten fürchtete er sich vor der Routine. Deshalb fühlte sich Friedrich Gulda (1930–2000) schon seit den Fünfzigern von der improvisierten Musik, die sich chimärenhaft immer neu verwandeln konnte, in besonderem Maße angezogen. Für die Normenwächter unter den Klassikfans war das ein Tabubruch, den sie ihm nie ganz verziehen. Seinen Interpretationen jedoch verhalf die selbstverordnete Offenheit zu einer Frische und Unverkrampftheit, wie sie kein anderer Pianist seiner Generation zu vermitteln vermochte.
Es ist schon beinahe wieder rührend, wie Joachim ‘Klavier’-Kaiser in seinem Standardwerk ‘Große Pianisten in unserer Zeit’ versucht, Guldas Affinität zum Jazz zu verstehen: “Guldas Musikalität ist so selbstverständlich, dass er sie selbst gewissermaßen gar nicht bemerkt. Gefragt, wie er’s macht, sagt er immer: ‘Einfach laufen lassen’”. Eine so typisch wienerische Antwort, dass eigentlich auf der Hand liegt, wie wenig Bedeutung Gulda der Konventionalität des akademischen Ausdrucks beimaß. Kaiser weiß das, er weiß auch, dass er die besondere Qualität von Guldas Spiel nie vollständig nachempfinden werden kann, weil ihm diese Neigung zur Improvisation schlicht fehlt. Deshalb beeilt er sich wenige Absätze später zu präzisieren: “Gulda war immer ein motorischer Pianist. Er hat dabei die Affekte nicht gescheut, er hat zugegriffen, aber er hat sich zum Pathos immer nur zwingen lassen. Nie klang sein Spiel titanisch, klassizistisch-verschnörkelt, angeberhaft. Die Bewegtheit Guldas reicht über Virtuosität und auch über brillante Klavierspielerei hinaus. Während ein Glenn Gould zum gefährlichen Übertreiben neigt, stellt Gulda die Musik selbst dar, so dass sie vielsagend, bedeutend und bewegend wird”. Und dann leitet Kaiser über in die Besprechung der legendären Amadeo-Aufnahmen der Beethoven-Sonaten von 1968, die für ihn zum Besten gehören, was jemals auf diesem Gebiet entstanden ist.

Das Jahr 1968 war aber nicht nur in Hinblick auf Beethoven ein Lichtblick. Im Überschwang des Schaffensdrangs spielte Friedrich Gulda noch zahlreiche weitere Werke auf Band. Sie zählten seit einiger Zeit zu den kostbaren Vinyl-Raritäten ambitionierter Sammler. Ein Ausschnitt davon wurde nun erstmals auf CD zugänglich gemacht und dokumentiert, warum der Wiener Genius noch heute zu den ungewöhnlichsten Interpreten seines Fachs gehört. Sein “Italienisches Konzert F-Dur BWV 971” von Johann Sebastian Bach hat bei aller Nüchternheit an der Oberfläche einen heimlichen Swing, den er mit inwendiger Kraft vorantreibt. Die kleinen improvisierenden Figuren der Mozartschen “C-Dur Sonate KV 545” mögen den Partiturenlesern aufgestoßen sein, musikalisch jedoch verleihen sie der berühmten Komposition Witz und eine Jugendlichkeit, als sei sie eben erdacht worden. Die Schubert-Scherzi und die Chopinsche “Grande Polonaise Es-Dur op.22” wiederum erscheinen der künstlichen Emphase entledigt und erklingen mit einer Leichtigkeit, die allen bedeutungsschweren Interpretationsvorgaben widerspricht. Die Aufnahmen werden um weitere Studio-Höhepunkte einer früheren Session von 1962 ergänzt, zwei Walzer von Chopin, Debussys “Feux d’Artifice” und Ravels “Toccata”, die im Speziellen beinahe jazzmusikalische Qualitäten bekommt. Die Zusammenstellung Gulda spielt ist daher ein Muss für jeden Klavierliebhaber, denn sie zeigt mit dem Esprit der Genialität der Konvention die lange Nase.

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