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Stimmungen des Lebens – Kremer spielt Minimalisten

Gidon Kremer
© Kristijonas Kucinskas / DG
28.05.2015
Sein Stern ging schon früh auf. Er war noch keine 20, als die Fachwelt bereits wusste, dass sie es mit einer Jahrhundertbegabung zu tun hat. Doch nicht jede Begabung entfaltet sich.

Eigensinniger Kopf

Manch einer verspielt seine Talente, wird hochmütig oder begibt sich auf Nebengleise. Die Versuchung ist groß. Angebote gibt es viele. Gidon Kremer hat solchen Versuchungen widerstanden. Ihm gelang eine ideale Balance zwischen künstlerischem Selbstbewusstsein und menschlicher Bescheidenheit. 1947 als Sohn deutschstämmiger Eltern in Riga geboren, begriff der junge Gidon das Geigenspiel von Beginn an als Mission. Was dem Vater verwehrt blieb, sollte der Junge in die Tat umsetzen. Der Vater war vor den Nazis nach Riga geflohen. Die furchtbaren Umstände erlaubten dem begabten Geiger nicht, seine Anlagen ruhig zu entfalten und nur für die Kunst zu leben. Gidon findet bessere Bedingungen vor. Bereits in der Familie erlernt er das Geigenspiel. Schon als Jugendlicher gewinnt er hoch angesehene Preise und darf am Moskauer Konservatorium bei David Oistrach studieren.

Heroische Laufbahn

Doch die Sowjetunion macht ihren Künstlern das Leben schwer. Moderne Komponisten aus dem Westen sind verpönt und Künstler, die etwas ausprobieren wollen, stehen unter strenger Beobachtung. Gidon Kremer kennt die Risiken. Er weiß, was passiert, wenn er sich nicht an die Regeln hält. Aber er hat Rückgrat. Die Kunst ist wichtiger als Erfolg, und so setzt er sich bereits in den siebziger Jahren für Außenseiter wie Arvo Pärt oder Alfred Schnittke ein. “Schnittkes Musik war nicht verboten”, so Kremer gegenüber Charlotte Higgins, “aber es gab nur wenige Künstler, die gewillt waren, ihre Karriere aufs Spiel zu setzen, um diese Musik darzubieten.” Kremer tat es und kann heute mit Stolz auf seine künstlerische Laufbahn zurückblicken. Aber der 68-Jährige ist weit davon entfernt, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Es gibt noch viel zu tun, und das Interesse an musikalischen Außenseitern hat den Grandseigneur der Geigenkunst, der seit 1980 im Westen lebt, bis heute nicht verlassen. Dafür steht auch sein neuestes AlbumNew Seasons”.

Stimmungen des Lebens     

Das Werk versammelt Komponisten, die sich der minimalistischen Tradition zuordnen lassen. Diese Künstler beweisen, dass zeitgenössische Musik nicht verkopft und publikumsfern sein muss. Im Gegenteil, die Musik von Glass, Pärt, Kancheli und Umebayashi übt soghafte Wirkung aus. Sie spricht mit sparsamen Mitteln elementare Gefühle des Menschen an, und das begrüßt Gidon Kremer ausdrücklich. Im Zentrum von “New Seasons” steht das Violinkonzert Nr. 2 “The American Four Seasons” von Philip Glass.
Das Werk des amerikanischen Vorreiters der Minimal Music lehnt sich an Vivaldis berühmte Vier Jahreszeiten an. Es beschäftigt sich aber nicht so sehr mit den natürlichen Jahreszeiten, sondern eher mit inneren Stimmungswechseln des Menschen. Gidon Kremer und sein famoses Kammerorchester, die Kremerata Baltica, zeigen sich hier ganz in ihrem Element. Kremer arbeitet die elegischen Geigenmonologe des Werkes ebenso klar wie weichklingend heraus und sein Orchester bringt sowohl die lebhaften als auch die langsameren, meditativ anmutenden Rhythmen von Philipp Glass, die seine Melodien kongenial stützen, glänzend zur Geltung.
Kostbarkeiten aus der Schatzkiste der poetischen Miniatur bieten Shigeru Umebayashis Yumeji’s Theme (aus dem Film “In the Mood for Love”) und Arvo Pärts estnisches Wiegenlied (mit dem Mädchenchor der Chorgesangsschule “Liepaitės”/Wilna). Epischer angelegt ist wiederum das tief schürfende Ex contrario von Giya Kancheli. “All diese Komponisten”, so Gidon Kremer in seinem bewegenden Booklet-Essay, “sprechen von einer besseren Welt und erschaffen in unserer Zeit neue Jahreszeiten, die für alle Zeit Gültigkeit haben werden.” 

Die Musik ist mein Leben. Die Musik ist meine Sprache – Gidon Kremer

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