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Götz Alsmann – Tabu!

18.04.2003
Entertainer, Bandleader, TV-Berühmtheit, Musikdoktor, selbsternannter “Fritz Lang des swingenden Schlagers” – Götz Alsmann kann auf eine beachtliche Karriere blicken. Auf seinem neuen Album “Tabu!” präsentiert er uns erneut äußerst unterhaltsam Fundstücke aus den Tiefen deutscher Musikhistorie. Aber Achtung: dieses Mal wird’s exotisch…
Alsmann ist ein Archivwühler und Entdecker vor dem Herrn. Man darf ihn jedoch nicht mit einem dieser Briefmarkensammler verwechseln, die kostbare Fundstücke im Album horten und sie mißtrauisch vor den Leuten verbergen. Nein, Götz läßt die angegrauten Lieder leben, die er gefunden hat. Er holt sie aus dem Seniorenstift der Verlagsarchive, nimmt sie bei der Hand, geht mit ihnen in den Frühlingspark, setzt sich mit ihnen auf eine sonnenbeschienene Bank. Und siehe da, ihre Augen beginnen zu leuchten, sie räuspern sich und strecken sich, und dann beginnen sie zu erzählen. Und wir, wir hören staunend zu – denn, ja doch, sie mögen vielleicht Falten haben, aber was wir von diesen betagten Liedern lernen können, ist Lebenslust und Freude am kleinen Glück.
 
Jetzt denken Sie bestimmt, das sei Nostalgie, was? Überhaupt nicht richtig. Diesen Schritt hat der Mittvierziger noch nie tun wollen. Auch ein parodistisches Anliegen hat er nicht – da ist nichts Schrilles oder Aufgesetztes, und live trägt seine Band übrigens neutrale dunkle Anzüge. Götz Alsmann ist einfach “ein Freund altmodischer Musik”, er liebt die “Jazzschlager”. Schlager ist für ihn im übrigen ein weiter Begriff, er meint damit “alle Musik, die auf deutsch gesungen wird”. Eine gewisse “Opulenz des Wortes” gehört für den Entertainer zwingend dazu, und diese bestimmte Jazzkomik, die sich aus Spielfreude, Wortwitz und der Lust an gewollten Brüchen nährt.
 
War “Zuckersüß” (1999) ein Album für Verliebte – man lacht und plaudert auf der Terrasse, später schmachtet man gemeinsam den Mond an und raspelt Süßholz -, so lockte uns “Filmreif” (2001) ins Vorstadtkino der Gefühle, ja ins Lichtspielhaus der hohen Minne. Das neue Album “Tabu!” nun ist eine Entführung. Es wird gefährlich… kriminell… düster… exotisch… geheimnisvoll! Wir riskieren mit Götz Blicke in dunkle Seitenstraßen, rekeln uns lasziv auf Leopardenfellen, stechen in See mit einem tätowierten Beau an unserer Seite. Wir rauchen Wasserpfeife und reiten durch die Wüste, und manchmal wissen wir sogar rechtzeitig, wann wir die Finger bei uns lassen sollten.
 
Es gibt Lieder über eine Stripperin namens “Nana” und das titelgebende “Tabu!”, die raunen von Schuld, Sünde und Dunkelheit. Das Titelstück vor allem – zur Erinnerung: “Tabu” war Murnaus letzter Film, der letzte große Stummfilm. Das Drama um verbotene Liebe und die Macht archaischer Rituale, 1931 auf Tahiti gedreht, bekam einen Oscar. Dann wieder wird es kuschelig beim “Kleinen Bär mit großen Ohren”. Ob “Zuckerfee”, englische Miss oder “Tatarisches Mädchen”, Götz verliert sein Herz gern und oft und natürlich jedes Mal für immer. Und dann diese Sehnsucht nach der großen Welt! Paris, Nizza, Hawaii, Portofino – Hauptsache “Weit weg von hier”.
 
Letzteres haben Bill Ramsey und Chris Howland 1960 gesungen; Götz hat es auch einmal mit Howland in einer TV-Sendung vorgetragen. Andere Lieder sind wesentlich älter, “Der Schlangenbeschwörer” von 1937, das “Frl. Mabel” hat Heinz Erhardt bereits in den 30ern geschrieben, das Titelstück “Tabu!” ist von 1935, “Nana” stammt aus den Mittfünfzigern. Oder die “Zuckerfee”, besser bekannt als “Mambo de la fée-dragée”: Musik von Tschaikowsky. Der deutsche Text von Duke Ellingtons “Caravan”: geschrieben von Vater Siegel.
 
Ist es nicht verblüffend, wie gut diese Lieder – manche haben 70 Jahre auf dem Buckel, selbst die jungen Hüpfer unter ihnen sind jenseits der Vierzig – in unsere Zeit passen? Fast fragt man sich: leider oder gottlob? Denn vergangen ist uns Heutigen doch die Lust auf die real-gefährliche Exotik einer Fernreise, geplatzt sind unsere Börsenträume vom großen Geld. Da suchen wir das Glück doch lieber beim Mokka gegenüber mit der Liebsten. Merke: Lieber tief empfunden und mit Freude sich in Ligurien verlieben als All-Inclusive auf DomRep. Und wenn Götz in einer Zeit immer neuer Scheidungsrekorde seinem Schatz im Lied ein aufrichtiges musikalisches Danke für’s Liebsein widmet, feiert das nicht still unsere Sehnsucht nach Geborgenheit und ewiger Treue?
 
Kleinbürgerlich nennen Sie diesen Rückzug ins häusliche Biedermeier, wo der Gipfel der Frivolität darin besteht, “über’s Weekend treu” zu bleiben? Das wäre es wohl, wenn Götz Alsmann bei aller Liebe zu seinem Sujet nicht eine ironische Distanz wahren würde. Sie müßten Götz mal erleben, wie er Ihnen am Telefon begeistert ein kleines Hundelied von Leila Negra vorsingt oder – “Bleiben Sie dran, Moment noch!” – eine alte Single von Vico Torriani herauskramt. Dieselbe Begeisterung, wenn er seine Musik arrangiert: Mit 20 Musikern – neben seiner bewährten Band u.a. sechs klassische Holzbläser, ein Jazzflötist, eine Harfenistin und sechs Opernsänger – hat Alsmann, bekennender Fan des Großarrangeurs Les Baxter (Star von Capitol Records, der zeitweise mehr Platten verkaufte als Sinatra), “Tabu!” eingespielt.
 
Was die Texte seiner alten Schätzchen angeht, ist sich Alsmann ihres Verfallsdatums bewußt: “Damals gab es Refrains, die lauteten ‘Wenn ich denk, dann denk ich für uns zwei’, so etwas kann man natürlich nicht mehr ernsthaft und unbefangen singen.” Wenn Götz jedoch selbst Stücke schreibt, dann tragen sie sensationelle Titel wie “Küss mich, tatarisches Mädchen!” Obacht, der Mann ist ein wilder Liebhaber und Kämpfer! Seine Tatarin nennt er “Steppentaifun” und “Jurtenprinzessin”, und küssen soll sie ihn, “bis unsere Lippen wund gescheuert sind”. Wenn er schließlich im selben Lied über seine Konkurrenten als “nicht satisfaktionsfähig” herzieht, wird deutlich, welche Rolle subtiler Jazzhumor in Alsmanns Kosmos spielt. Da ist kein Platz für Biedermeier.
 
Seit Götz Alsmann 1997 einen Wendepunkt in seinem Leben markierte – “regelmäßig ‘Zimmer frei’ gemacht, nur noch deutsch gesungen, 40 geworden, Körpergewicht dauerhaft reduziert” -, ist er aus der deutschen Unterhaltungsbundesliga nicht mehr weg zu denken. Der Schlaks aus Münster, nur echt mit Brille und Tolle, trägt übrigens seit einer Ohr-Operation einen Platin-Steigbügel im Ohr. Das Edelmetall mag seinen Anteil an Alsmanns musikalischem Gespür haben. Wichtiger jedoch ist seine Einstellung der Musik gegenüber: “Es gibt ja diese Behauptung der Puristen, Jazz sei durch Pop kaputt gemacht worden. Nein, Jazz hat sich selbst kaputt gemacht. Weil er sich zu ernst genommen hat.” Dieses Schicksal wäre dem Jazz erspart geblieben, hätte es Götz Alsmann schon früher gegeben. Uns immerhin bleibt die Freude an seinem neuen Album und die Einladung zum vergnüglichen “Tabu”-Bruch. Auf eigene Gefahr!

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