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Gustaf Gründgens

Ein bisschen Teufel

10.09.2004
Gustaf Gründgens (1899–1963) war eine schillernde und umstrittene Gestalt der deutschen Theaterszene. Begnadeter Schauspieler und pointierter Regisseur auf der einen, Erfolgsmensch und Stratege auf der anderen Seite manövrierte er sich geschickt durch die dunkle Nazi-Epoche und schuf mit seiner spartanischen Inszenierung des “Faust” ein Meisterwerk, das noch immer seinesgleichen sucht. Jetzt sind ein Großteil seiner bislang verschollenen oder gekürzten Tondokumente im Rahmen einer Retrospektive erschienen. Die CDs sind einzeln oder als 17 CD-Box zusammengefasst erhältlich. Ein wichtiges Stück deutscher Kulturgeschichte.
Für Klaus Mann war Gustaf Gründgens von Anfang an zweifelhaft. Schon als er sich mit den Literatenkindern während der Zwanziger im Münchner Theater- und Varieté-Leben herumtrieb und allerlei gedanklichen Unfug anstellte, kam er dem aufmerksamen Beobachter nicht ganz koscher vor. Dann war er immerhin drei Jahre mit Klausens Schwester Erika verheiratet, bevor er seiner Karriere ans Berliner Schauspielhaus folgte. Während der Schreckensherrschaft der Nazi-Diktatur schaffte es Gründgens 1937 dann bis zum Generalintendanten des preußischen Staatstheaters. Im Jahr zuvor hatte ihm Klaus Mann mit dem Mephisto bereits ein Denkmal gesetzt, das ihn unter dem nur notdürftig veränderten Namen Hendrik Höfgen zum Opportunisten stempelte: “Man hätte Hendrik Höfgen für einen Mann von etwa fünfzig Jahren gehalten; er war aber erst neununddreißig – ungeheuer jung für seinen hohen Posten. Seine fahle Miene mit der Hornbrille zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich sehr nervöse und sehr eitle Menschen zwingen können, wenn sie sich von vielen Menschen beobachtet wissen. Sein kahler Schädel hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grauweißen Gesicht fiel der überanstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schläfen lief; außerdem die markante Bildung des scharfen Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt trug, so daß die vornehm schöne Linie zwischen Ohr und Kinn kühn und herrisch betont ward. Auf seinen breiten und nassen Lippen lag ein erfrorenes, vieldeutiges, zugleich höhnisches und um Mitleid werbenden Lächeln”.
 
Natürlich betonte Klaus Mann, dass er keinen speziellen Menschen darstellen wollte, sondern einen Typus des machtbesessenen Emporkömmlings. Trotzdem war sein Roman als einer der ersten, der sich im Exil bewusst mit den nationalsozialistischen System und deren Exponenten auseinandersetzte, nach seinem Erschienen derart umstritten, dass sich das Nachkriegsdeutschland genötigt sah, ihn 1968 sogar zu verbieten. Gündgens jedenfalls hatte er wenig geschadet, wenn auch manch ein Zeitgenosse den Theaterfürsten nach der Lektüre kritisch unter die Lupe nahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachte Gründgens jedenfalls neun Monate in Internierungshaft, wurde aber bereits 1947 ob seiner Talente zum Direktor der Städtischen Bühne Düsseldorf, von 1955 an dann zum Generalintendanten des Hamburger Schauspielhauses berufen. Denn eines steht bei aller Skepsis fest: Gründgens war einer der größten Charakterschauspieler seiner Zeit. Er hat viel bewegt, den Sinn der Deutschen in den Dreißigern bis Sechzigern der Kunst zugewandt und immer wieder Aufsehen erregende Projekte verwirklicht.
Insofern stand es lange schon an, dass sich die Spurensucher der Kulturgeschichte in die Schallarchive begaben und nach Materialien forschten, die mit Gründgens' Arbeit zusammen hängen. Sie fanden Erstaunliches und Bewegendes. Da ist natürlich der berühmte “Faust” mit Will Quadflieg von 1954 – übrigens die erste Literaturaufnahme, die bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht wurde -, aber noch vieles mehr. Da gibt es große Monologe und klassische Szene aus “Hamlet”, “Julius Cäsar”, dem “Fiesco zu Genua” und “Torquato Tasso”. Oder die komplette Fassung von Paul Apels “Hans Sonnenstößers Höllenfahrt”, die Gründgens 1937 für den Berliner Reichsfunk verwirklichte. Aber auch Hörspiele wie Hans Hömbergs “Kirschen für Rom”, das 1953 vom SDR festgehalten wurde, oder die Aufnahme der 1951er Aufführung von T.S.Elliots “Die Cocktailparty” vom Düsseldorfer Schauspielhaus. Die Fülle der Fundstücke stellte sich als derart beachtlich heraus, das eine Box mit immerhin 17 CDs entstand, die einzeln oder komplett erhältlich sind. Ein wichtiges, unterhaltsames und spannendes Kulturdokument.
 
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