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Henry James

Westphals Faustus

26.11.2004
Thomas Mann wurde nicht müde zu betonen, dass der “Doktor Faustus” das ihm selbst am wichtigsten erscheinende aller seiner Bücher sei. Tatsächlich hat er viel in den Text hineingearbeitet, zeitgenössische Beobachtungen und traditionelle Kulturdeutungen, Faschismus und Legenden, Geniekult und aufgeklärte Nüchternheit, Eitelkeit und Ironie. Die Kritik hat den im Exil entstandenen Roman dann auch als Schlüsselwerk verstanden und sich auf zahlreiche, vom Autor unterstützte parallel-biographische Deutungen gestürzt. Dabei ist der Text als solcher noch immer das, was den eigentlichen Reiz ausmacht, besonders wenn er mit der Gelassenheit und Erfahrung eines Thomas-Mann-Spezialisten wie Gert Westphal gelesen wird.
Es ist ein Satz, wie ihn auch Hermann Hesse geschrieben haben könnte. In einem Anflug kulturpessimistischer Verzweiflung wendet sich die Hauptperson des “Doktor Faustus”, der Komponist Adrian Leverkühn an den Leser und seufzt: “Warum muss es mir vorkommen, als ob fast alle, nein, alle Mittel und Konvenienzen der Kunst heute nur noch zur Parodie taugen?” Leverkühn ist ratlos, rastlos, er leidet an der Situation kreativer Stagnation und stürzt sich in seiner Not in verschiedene Bündnisse, die ihn mit den dunklen Mächten in Verbindung bringen. Da ist zunächst die Sexualität. Sie wird von ihm als schicksalshaft gedeutet und daher passt es in sein Lebenskonzept, dass er sich bei einer Hure trotz deren Warnungen die Syphilis holt. Als derartig Gezeichneter begegnet er wenige Jahre später schließlich dem Teufel persönlich, der ihm einen Pakt vorschlägt: künstlerische Schaffenskraft gegen individuelle Lebenskraft, oder schlicht Kunst gegen Liebe und natürlich die Seele nach durchlebtem Gestaltungsrausch. Leverkühn schlägt ein, zieht sich in eine Art Komponierhäuschen zurück und schreibt Werke wie die Symphonie “Das Wunder des Alls” oder das Oratorium “Apocalipsis cum figuris” oder die symphonische Kantate “Dr. Fausti Weheklag”. Nach all den Entbehrungen und intellektuellen Verrenkungen stirbt er schließlich in geistiger Umnachtung anno 1940.

Natürlich ließ ein Romanprofi wie Thomas Mann sich nicht auf einfache Deutungen seiner Figur und deren Geschichte ein. Zunächst einmal schuf er im “Doktor Faustus” selbst ein bürgerliches Korrektiv in Form von Leverkühns Biografen Serenus Zeitblom, der mit hausbackenem Humanismus die Lebensgeschichte des letztlich spätromantischen Originalgenies und Fin-de-Siècle-Märtyrers begleitet. Diese erzählerische Distanz ermöglichte es, kommentierend und ironisierend dem Geschehen relativierende Nuancen zu verleihen. Mann griff aber auch durch einen Text außerhalb des Romans in die Exegese ein. Denn zwei Jahre nach Erscheinen des “Doktor Faustus” veröffentlichte er 1949 ein selbständiges Buch mit dem Titel “Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans” und gab den Literaturwissenschaftlern eine Reihe Hinweise auf die zahlreichen Zitate und Verweise an die Hand, die er für die Erarbeitung des Leverkühn-Stoffes verwendet hatte. So wurde unter dem Hinweis der Aufklärung ein neuer Mythos geschaffen, der dem Buch bis heute etwas Auratisches verleiht.

Die eigentliche Herausforderung ist aber nicht der Stoff an sich – hier war Mann vor allem ein cleverer Kompilator – sondern die kunstvoll verschachtelte Sprache, mit der er die Faust-Legende für Leverkühn nutzbar machte. Gerade das erfordert aber auch große Erfahrung als Sprecher und Schauspieler, um weder den Faden noch den Leser, respektive Hörer zu verlieren. Gert Westphal war zum Zeitpunkt der Aufnahme Mitte der Achtziger bereits ausgewiesener Experte auf dem Gebiet Mann und Goethe. 31 Jahre im Ensemble des Schauspielhauses Zürich, sechs Jahre als Chef und Regisseur der Hörspielabteilung des SWF und zahlreiche Engagements als Spieler und Sprecher prädestinierten ihn zum passenden Erzähler des “Doktor Faustus”. Dementsprechend gelassen und souverän, stellenweise schelmisch, dann wieder nüchtern beurteilend liest er sich durch den Roman. Für den Hörer ist das nur von Vorteil. Denn im Lesefluss erst entfaltet sich die ganze Brillanz von Manns Sprache, die den scheiternden Künstler im Roman empfängt. Ungekürzt auf 22 CDs ist die Studioaufnahme nun erschienen und bereichert die Autoren-Edition um ein Stück exzellent vorgetragener Weltliteratur.
 
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