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Jamie T, “Trick”, 2016

Jamie T - 2014
16.09.2016
Jamie T
“Trick“ – VÖ: 02.09.2016
 
“Also, was meine ganze Entwicklung und meine heutige Position als Songwriter angeht, ist dieses Album echt seltsam – und absolut wichtig“, sagt ein nachdenklich wirkender Jamie Treays. Wir machen es uns an jenem Ort gemütlich, wo er gewöhnlich an seinen Songs arbeitet: in einem kleinen, etwas schmuddeligen Aufnahmestudio in Hackney. Er trägt ein ziemlich perfekt dazu passendes und kein bisschen gekünstelt wirkendes Mix aus Mod-Klassikern und einer Baseball-Cap, die weiter entfernt vom Mod-Kosmos nicht sein könnte. Heute, an diesem überraschend heißen Frühlingstag des Jahres 2016, wirkt es so, als ob sich Jamie T absolut wohlfühlt in seiner Haut, als sei er im Reinen mit dem Status quo und mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre. “Ein Großteil meiner Identität als Künstler hat sich herausgebildet, als ich so um die 23 Jahre alt war. Und mir hat es lange Zeit echt viel Spaß gemacht, genau diese Art von Songs zu schreiben. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das hier das letzte Album ist, auf dem ich diese Art von Musik machen werde. Ich hole mir einen letzten Kick aus dieser Vergangenheit, dem Entwurf dieses 23-Jährigen. Inzwischen bin ich 30, und das fühlt sich wie ein guter Schlusspunkt für diesen Abschnitt an. Es ist der richtige Moment für einen derartigen Einschnitt.“
Jamies viertes Album, dessen knapper Titel “Trick“ auf eine Zeile aus dem Track “Tinfoil Boy“ zurückgeht, jener ersten Single, mit der die neue LP auch beginnt, ist in der Tat eine “seltsame, absolut wichtige“ Platte: Der Anfang und der Schluss vereinen das düsterste, härteste, ja, pessimistischste Material, das er in den letzten 10 Jahren vom Stapel gelassen hat. Dazwischen jedoch, im Mittelteil, ist es ein richtiges Rock & Roll-Partyalbum: Und zwar die Art von Party, die sich durch einen Clash aus Punk und Reggae auszeichnet, auf der verlorene Mädels auf ominöse Unheilsverkünder aus dem 17. Jahrhundert treffen, verbannte Briten auf amerikanische Städte, klassische Rockgitarren auf schnelle Raps und tiefe Bässe.
Diese und andere Kombinationen, Zusammenstöße und Clashs zeichnen dieses Album aus – wobei das Wort Clash auch im wörtlichen Sinn eine Rolle spielt: “Jeder weiß doch, dass ich auf The Clash stehe“, gesteht Jamie schmunzelnd, der ganz offen zugibt, wie wichtig ihm frühe B-Seiten aus der Feder von Mick Jones sind. “Und ich bin viel zu sehr Fan, um da noch irgendwelche Hemmungen zu haben. Der Song ‘Robin Hood’ ist genau genommen eine Mischung aus ‘Hateful’ und der Idee, auf der ‘Bankrobber’ basiert, und dazu noch eine Spur von ‘Jail Guitar Doors’. Allein die erste Zeile – ‘Riding in the back seat…’ und so weiter – klingt fast wie ‘Blitzkrieg Bop’ von den Ramones, was mir ehrlich gesagt gar nicht aufgefallen ist, als ich das Stück geschrieben habe. Aber wenn ich richtig, richtig gute Laune habe und mich mit einer Gitarre hinsetze, dann entsteht nun mal genau diese Art von Song.“
Wer die Karriere des 30-jährigen Briten etwas genauer verfolgt hat, wird sich erinnern, dass zwischen dem zweiten Album “Kings & Queens“ und dem zuletzt veröffentlichten “Carry On The Grudge“ (2014), eine Art “Comeback“-Release, ganze fünf Jahre lagen; Jahre, in denen Jamie viel an sich zweifelte, es ihm an Selbstbewusstsein mangelte, weshalb er zwischenzeitlich seine Sachen packte und die ganze Welt bereiste, um sich zu verlieren und wiederzufinden, und schließlich zurückkehren sollte mit einem geschärften, kritischeren Blick, reiferen Ideen und einem ganz neuen Umgang mit den eigenen Unsicherheiten. Damals musste er sich fragen, ob die schnelllebige Popwelt überhaupt noch interessiert war an seinem Sound…
“Trick“ hingegen erscheint keine zwei Jahre nach dem gefeierten Vorgänger (denn sie war interessiert, die Popwelt!), und das Album sprudelt förmlich über vor Energie und Leidenschaft: Die neue LP hat ganz klar ein junger Mann aufgenommen, der seine Liebe zum Schreiben, zum Aufnehmen und Performen wiederentdeckt hat. Es läuft bei ihm, könnte man sagen, und das hat auch etwas mit Routine zu tun: “Wenn ich ganz viel schreibe und aufnehme, also daraus etwas Regelmäßiges mache, dann fühle ich mich am besten, weil ich mich dann davon viel weniger einschüchtern lasse. Ich kann nämlich mein größter Gegenspieler sein und mir mit meinen Ängsten selbst im Weg stehen. Schon deshalb war es so wichtig, dieses Album fertigzustellen und es zu veröffentlichen, weil die Dynamik gerade jetzt die richtige ist.“
Wie schon “Carry On The Grudge“, wurde auch “Trick“ von Jamie und seinem angestammten Mitstreiter James Dring produziert, wobei Dring sich um die Beats kümmerte, während Jamie alle anderen Instrumente selbst eingespielt hat. Die beiden haben wieder einmal im The Premises Studio in Hackney gearbeitet, wie auch im inzwischen leider geschlossenen Moloko Studio am Hoxton Square. Allerdings gab es da noch eine weitere, ganz andere Aufnahme-Location, deren Wahl sich auch ganz klar auf Jamies Sound auswirken sollte: Ein Studio namens High Bias in jener US-Metropole, die wie keine andere Stadt das Gefühl der Stadtverdrossenheit widerspiegelt, das der 30-Jährige immer wieder in seinen Tracks umkreist. “Ich fing an, mich für Detroit zu interessieren, nachdem ich eine Doku über die Stadt gesehen hatte“, so Jamie. “Die Straßenzüge da haben so etwas seltsam Post-Industrielles… und auch wenn die Zahlen jetzt bestimmt nicht stimmen, ist es tendenziell so, dass Detroit eigentlich 2,5 Millionen Menschen beherbergen könnte, dort aber momentan nur 250.000 Menschen leben. Will heißen: Die Stadt ist… absolut leer, verlassen. Wenn man von einem Wolkenkratzer herunter schaut, wirkt die ganze Stadt grün, weil alle Gärten, alle Grundstücke überwuchert sind. Vollkommen surreal ist das.“
Wer nun jedoch glaubt, ein derart beeindruckender Aufenthalt in den sich langsam wieder aufrappelnden Überbleibseln von Motor City könnte Jamie dazu inspiriert haben, Anflüge von Motown-Sounds oder frühe Techno-Elemente in seinen eklektischen, multikulturell-urbanen und doch englischen Pop-Entwurf einzubeziehen, liegt daneben: “Lustig, aber es ist so, dass ich gerade im Ausland sehr viel britischere, anglophilere Musik mache. Erst wenn man sich aus dem angestammten Umfeld herausbewegt, wird man sich seiner eigenen Identität viel mehr bewusst. Daher auch Songs wie ‘Tescoland’. Und überhaupt klingt das ganze Album ziemlich englisch, wenn du mich fragst.“
Als er die Arbeit an “Trick“ begann, hatte Jamie eine ziemlich klare Richtung vor Augen – doch kamen verschiedene Faktoren dazwischen: neue Ideen und Ansätze, Ablenkungen und ein unbedingtes Verlangen “etwas Licht in die dunklen Ecken zu werfen“. Ein richtiges “Sommer-Album“ habe ihm ursprünglich vorgeschwebt, erzählt er, “allerdings nicht das, woran man automatisch denkt, wenn man das Wort ‘Sommer’ hört. Mir ging es eher um so einen richtig heißen, schwül-erdrückenden Sommer, wie wir ihn manchmal in London haben. Der etwas Klaustrophobisches und Düsteres hat. Und tatsächlich fängt ‘Trick’ so an und endet auch so, aber im Mittelteil passieren ja doch noch ganz andere Sachen. Ein komplettes Album in der ursprünglich geplanten Stimmung wäre auch einfach zu heavy gewesen.“
Heavy“ ist auch ein treffender Ausdruck, was die erste Single und den Eröffnungstrack angeht: “Tinfoil Boy“ gibt den Ton und die Stimmung vor, ist namensgebend für das Album (“Summer times you feel like a trick/Like a hangman word that no one ever gets“), und es wirft einen finsteren Blick auf die Schattenseiten einer loyalen Freundschaft. “Ja, der Song handelt von bedingungsloser Liebe“, berichtet Jamie, “von dem Entschluss, wirklich 100% da zu sein für einen anderen Menschen, auch wenn man womöglich Probleme mit einzelnen Angewohnheiten und Verhaltensweisen hat.“
Ein Fuchs, der noch jung genug ist, kann sich selbst neue Tricks beibringen, und so taucht auf “Tinfoil Boy“ eine für Jamie ganz neue Klangquelle auf, die er – wie so vieles – bei einer Ikone aus den Siebzigern entdeckt hat: “Als ich noch ganz, ganz klein war, landete ich irgendwann bei Kate Bush, und ich fand diese filmischen Elemente unglaublich gut, die da in ihren Songs auftauchten. Deshalb habe ich für die Aufnahmen ein paar befreundete Schauspieler dazu geholt, habe sie in die Aufnahmekabine geschickt und sie gebeten, dieses oder jenes auf eine bestimmte Weise einzusprechen, und hinterher hatte ich ganz viele solcher Aufnahmen. Ich habe also im Grunde genommen meine eigenen Samples aufgenommen. Die Stimme, die man auf ‘Tinfoil Boy’ hört, ist eine Kombination von Aufnahmespuren, die ich innerhalb eines halben Tages mit meiner Freundin Florence im Studio gemacht habe. Sie sagt: ‘Wear me down/Use me up/You crack my lips/You burn in my chest/I don’t want you to see me cry/I don’t wanna give you the satisfaction. Sie spielt also eine Freundin, sie sich in der besagten Situation ausgenutzt fühlt.“
Einem ganz anderen Thema widmet er sich, wenn Jamie im Verlauf von “Trick“ gleich mehrfach auf unschöne Episoden aus der englischen Geschichte eingeht: Zunächst mit dem Song “Solomon Eagle“, aber auch mit dem biblisch wirkenden Cover der neuen LP. Mr. Eagle gab es wirklich, er hieß allerdings eigentlich Solomon Eccles, ein Musiker und Quäker, der in London lebte und während der “Großen Pest von London“ im Jahr 1665 bekannt wurde, weil er die Katastrophe mit individueller Schuld und Verdammnis gleichsetzte: “Die Leute brachten damals die Toten in die St. Paul’s Cathedral, und Eagle lief dann mit Lendenschurz und Aschenurne auf dem Kopf durch die Reihen und verkündete ihnen, dass der Grund für ihren Tod ihr eigenes verwerfliches Leben in solch einem Sündenpfuhl sei, und dass sie alle in die Hölle kommen würden, weil sie so viel Schlimmes in der Stadt angerichtet hätten. Ich fand ihn einfach spannend als Person, ja ich konnte ihn mir sogar richtig gut im Hier und Jetzt vorstellen: vielleicht als Ragga-MC, der uns wie ein Prophet anklagt für unsere Lebensweise, unsere Gier. Das Ganze sollte klingen wie eine RZA-Produktion – was schwieriger ist, als man meinen würde.“
Apropos Hip-Hop: Wer Jamies Rap-Künste auf dem “Carry On The Grudge“-Vorgänger verpasst hat – er selbst sagt übrigens “fast wordplay“, “schnelle Wortspielereien“ dazu –, kommt immerhin dieses Mal in den Genuss, denn auch auf dem Electro-Track “Drone Strike“ greift er zum Mic. “Als ich ‘Carry On The Grudge’ aufgenommen habe, hatte ich das Gefühl, dass mir ein Arm auf den Rücken gebunden war“, gesteht er rückblickend. “Dieses Mal habe ich diesen Arm hinzugenommen, und so konnte ich natürlich viel befreiter agieren. Manchmal ist es gut, die eigenen Wurzeln zu ignorieren, wenn man vorwärts kommen will, aber ich lief damals wirklich Gefahr, zu weit zu gehen und sogar zu vergessen, was mir eigentlich Spaß macht. Irgendwann sitzt man dann da mit einer Mandoline in der Hand und sagt sich nur: ‘Aber R.E.M. kann ich doch überhaupt nicht ausstehen! Was mache ich hier eigentlich?!’ Wenn man ein Album macht, sollte es darum gehen, zu dem Bestehenden etwas hinzuzufügen, auf das man stolz sein kann. Ein weiteres Abzeichen zu machen. Und nicht darum, etwas in diesem Prozess zu verlieren.“
Und so bringt besonders eine Zeile von “Tescoland“ – ein ironischer Seitenhieb auf die vielen Missverständnisse zwischen Briten und Amis, was der Multiinstrumentalist als “The-Jam-Song, der sich als The Clash verkleidet hat“ bezeichnet – die Geschehnisse der letzten gut sieben Jahre in Jamies Leben perfekt auf den Punkt: “Every plan I make is meant to take me further away/But I always end up back at home“. Ganz egal, wie weit er in die Ferne schweift, landet er doch immer wieder dort, wo er herkommt.
“Ja, was soll ich sagen?“, lacht er abschließend. “Das ist nun mal diese Hassliebe, die mich mit London verbindet. Ich glaube immer, dass ich an einem anderen Ort viel glücklicher wäre, aber wenn ich dann dort ankomme, sehne ich mich schon zurück in die Stadt. Mit meinem Songwriting verhält es sich anscheinend ganz ähnlich.“ 

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