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Brillanter Wahnsinn

21.12.2005
Als Lucia mit blutbeflecktem Kleid auf der Bühne erschien, nachdem sie gerade ihren Ehemann ermordet hatte, und in der berühmten Wahnsinnsszene sich mit ihrem eigentlichen Geliebten vereint glaubte, war kein Halten mehr. Das Publikum der Metropolitan Opera feierte mit großem Zwischenapplaus seinen Star, die Sopranistin Joan Sutherland, in der Rolle, die sie berühmt gemacht hatte: Gaetano Donizettis “Lucia di Lammermoor”. Und die Kameras hielten die Aufführung vom Winter 1982 für die Nachwelt fest, sodass man auch mehr als zwei Jahrzehnte später noch an der euphorischen Begeisterung über eine einzigartige Sängerin und Darstellerin mit Hilfe des Mediums DVD teilhaben kann.
Es ist eine der erstaunlichen Karrieren der Operngeschichte. Joan Sutherland, geboren 1926 bei Sydney, unterrichtet und gefördert von John und Aida Dickens, debütiert mit 21 Jahren in ihrer Heimatstadt mit der Titelrolle von Purcells “Dido and Aeneas”. Kaum in London zur weiteren Ausbildung angekommen, kann man sie am Covent Garden als 1.Dame in der “Zauberflöte” hören. Ihr Sopran fasziniert das Publikum und macht sie zur ersten Wahl für eine besondere Starbesetzung. Als 1953 Bellinis “Norma” mit Maria Callas in der Titelrolle inszeniert wird, bekommt Sutherland die Partie der Clothilde. Man wird über einzelne Theater hinaus auf Sutherland aufmerksam und sie bewährt sich bald als Aida, Amelia (“Ein Maskenball”, Verdi), Eva (“Die Meistersinger von Nürnberg”, Wagner), Agathe (“Der Freischütz”, von Weber). Der internationalen Durchbruch schließlich gelingt ihr im Jahr 1959. Ihr späterer Ehemann Richard Bonynge, damals noch Korrepetitor am Covent Garden, überredet erst sie selbst, dann den Verwaltungschef des Hauses, Sutherland eine Rolle aus dem 19. Jahrhundert singen zu lassen. Im Verborgenen proben die beiden, bis sich die Sängerin ihrer Sache sicher ist, und als ihr dann tatsächlich die Titelpartie von Donizettis “Lucia di Lammermoor” angetragen wird, bricht der Knoten. Aus der lyrischen Sopranistin ist ein strahlender, beeindruckender Koloratursopran geworden, der das Publikum förmlich von den Sitzen reißt. Seit der Callas wurde nicht mehr so euphorisch applaudiert wie bei Sutherlands “Lucia”.

Von da an geht es noch steiler bergauf als bisher schon. Im selben Jahr gastiert Sutherland in Wien, bald darauf in Genua, Venedig. Anno 1961 kann sie den Erfolg der “Lucia” an der Scala in Mailand wiederholen, wenig später in New York an der Met. Nicht zuletzt Donizettis melodramatische Figur verhilft ihr dazu, über mehr als dreißig Jahre hinweg eine der bedeutendsten Sopranistinnen ihrer Generation zu bleiben. So wundert es wenig, dass auch 1982 an der Metropolitan Opera in New York gerade diese Rolle der Liebling des Publikums ist. Nach den frühen Auftritten noch in der auf Lily Pons zugeschnittenen Inszenierung war das Werk 1964 von Margherita Wallmann neu gestaltet worden und auch die Wiederaufnahmen 1966, 1970 und 1982 basierten auf dieser Grundlage. Sutherland fühlte sich sichtlich wohl in diesem Bühnenambiente, zumal ihr Ehemann Richard Bonynges am Orchesterpult dafür sorgte, dass auch die Musik ideal zu ihr passte. Als Partner hatte sie den Tenor Alfredo Kraus (Edgardo), der bereits 1959 zum ersten Mal mit ihr gesungen hatte, außerdem den Bariton Pablo Elvira (Enrico), der 1978 zum ersten Mal an der Met zu hören gewesen war, und den erfahrenen Paul Plishka (Raimondo), der seit 1967 zum Ensemble gehörte. Die Aufzeichnung selbst entstand am 13. November 1982 und dokumentiert eine betörende Joan Sutherland, die nicht nur im lupenreinen Duett mit der Soloflöte oder dem berühmten Sextett im zweite Akt, sondern auch bei weniger spektakulären Passagen durch makellose Stimmschönheit besticht. Für die Version auf DVD wurde die Musik außerdem für Dolby Digital 5.1 bzw. DTS 5.1 Surround-Sound remastert, so dass neben dem bewährend Stereo-Sound die Oper mit dem Raumgefühl der Met erlebt werden kann. Und so kann man neben den im Juli und August 1961 an der Accademia di Santa Cecilia in Rom gemachten ersten Einspielung der “Lucia” mit Joan Sutherland (erschienen in der Reihe “Decca Legends”, Decca 467 688–2) die große Sopranistin alternativ im perfekten Medienformat der Gegenwart bewundern.

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