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John Scofield: Blue Notes From The Underground

14.02.2001
Das Line-up von John Scofields neuem Album “Bump” wird Kenner der zeitgenössischen East-Coast-Szene erstaunt aufhorchen lassen. Neben bereits arrivierten, aber jungen Musikern wie Chris Wood (Medeski Martin & Wood), Tony Scherr und Kenny Wolleson (beide Sex Mob) sowie Mark De Gli Antoni (Soul Coughing) setzt Sco diesmal auf eine Reihe frischer Talente, die in New York und Boston im progressiven Schnittbereich zwischen Jazz, Funk, Drum’n'Bass u.ä. experimentieren: Drummer Eric Kalb und Percussionist Johnny Durkin (beide Deep Banana Blackout) sowie Bassist Dave Livolsi (Tongue 'n Groove).
Es sind vor allem drei Gitarristen, die den Jazz über die achtziger und neunziger Jahre bis ins Jahr 2000 immer wieder mit neuen Impulsen versorgt haben. Drei Individualisten, die sich zu keiner Zeit anpaßte und gerade in Perioden inflationärer Gitarristenfluten stets aufs neue die eigenen Grenzen einrissen, um in veränderter Gestalt über sich selbst hinauszuwachsen: Pat Metheny, Bill Frisell und John Scofield. Alle drei haben in unterschiedlichen Konstellationen miteinander gespielt und sich immer wieder gegenseitig befruchtet. Lange Zeit erschienen die Projekte unter John Scofields Namen weniger spektakulär als die seiner beiden Kollegen. Seine Alben enthielten solide eingespielten Straightahead-Jazz mit Tendenzen zu Blues, Rock und Bebop. Wie kein anderer hatte er jedoch den Mut, seinen Jazz-Rock direkt auf die Wurzeln in New Orleans zurückzuführen. Seinen legendären Ruf erspielte er sich hingegen mehr als Sideman in den Bands anderer, etwa bei Miles Davis oder in Marc Johnson’s Bass Desires. Scofields grooviges High- Energy-Spiel, das mehr der Tradition von Tenorsaxophonisten entwachsen schien als jener der Gitarristen, beeinflußte Legionen nachkommender Musiker.
 
Seit knapp fünf Jahren erschließt Scofield nun nicht nur spielerisch, sondern auch konzeptionell neues Terrain. Zuerst mit seinem Album “Quiet”, auf dem er die elektrische Gitarre aus der Hand legte und sich mit der akustischen in einem orchestralen Kontext präsentierte. Für einen Gitarristen, der vor allem als Groover bekannt war, ein unglaublich gewagtes Unterfangen. Schon damals sprach Scofield von einem Aspekt, der bis dahin in seiner Musik kaum eine Rolle gespielt hatte. “Es ist anderer Sound. Ich wollte ein anderes Statement abgeben. Es geht mir neuerdings darum, jedes Album seine eigene kleine Geschichte erzählen zu lassen. Ich wollte schon immer mal eine Platte mit Balladen oder romantisch angelegten Songs machen. Erst vor kurzem habe ich angefangen, akustische Gitarre zu spielen, und ich mag den Sound der Nylon- Saiten. Außerdem wollte ich immer eine Platte mit einer großen Bläsersektion machen.” Für den Gitarristen bedeutete dieses Album eine Zäsur – ähnlich wie 1980 “Bar Talk”, 1984 “Electric Outlet”, 1989 “Flat Out” und 1994 “Hand Jive”.
 
Mit dem nächsten Album “A Go Go” schlug er dann überraschenderweise aber auch schon wieder ins andere Extrem um. Er tat sich mit einem jungen Trio der New Yorker Downtown- Szene zusammen: mit Medeski Martin & Wood, einer außergewöhnlich originellen kleinen Band, deren Popularität in verblüffendem Widerspruch zu ihren wilden Improvisationen steht. Die Platte war eigentlich kein Soloalbum Scofields, sondern eine kollektive Erfahrung, im Rahmen derer sich der arrivierte itarrist völlig neu ausprobieren konnte. MMW schärften Scofields Sinn für den freien Umgang mit seinen eigenen spielerischen und klanglichen Möglichkeiten. “Medeski Martin & Wood sind eine Band, deren Mitglieder einander sehr nahe sind. Ich mag sie ja gerade für die Art, wie sie zusammenspielen. Sie hören wirklich aufeinander. Ich dachte mir, genauso können sie auch auf mich hören, und ich auf sie. Sie reden miteinander über die Musik. Du befindest dich so oft in Situationen, in denen du nicht mit den Musikern über die Musik reden willst. Du hast ständig Angst, irgend jemandes Gefühl zu verletzen. Gerade im Jazz ist es manchmal besser, nicht über die Musik zu reden, damit sie ihren eigenen Bahnen folgen kann. Das war meine Erfahrung. Dann kam ich mit diesen Jungs zusammen, und die unterhielten sich unablässig über das, was sie spielten. Ich fand es fantastisch, wie sie sich mit meinen Songs auseinandersetzten. So fanden wir einen Weg, sehr ehrlich miteinander umzugehen. Sie haben so eine fantastische Beziehung zueinander, daß es für mich gar kein Problem war, daran teilzuhaben. Diese Aufnahmen waren eine einzige Freude.”
 
Scofields neues Album “Bump” steht nun in unmittelbarem Zusammenhang mit den beiden vorherigen Alben, auch wenn sein ästhetisches Statement wieder völlig unabhängig ist. Doch er baut auf der gestalterischen und ideologischen Freiheit auf, die er sich mit “Quiet” und “A Go Go” erspielt hatte. Das ganze Gebäude, innerhalb dessen sein Spiel stattfindet, ist anders strukturiert. “Was immer sich in meinem Spiel verändert hat, ist einzig und allein dem Fakt geschuldet, daß seit der letzten Platte anderthalb Jahre vergangen sind”, resümiert Scofield in gewohnter Bescheidenheit. “Aber ich habe keine Ahnung, was genau passiert ist. Ich bin einfach nur da. Sicher habe ich auf der Platte ein paar Overdubs mit Gitarren-Texturen. Die Idee bestand darin, auf die Orgel zu verzichten, aber auf dem Funk-Terrain zu verweilen. Die Gitarre soll wieder das Hauptinstrument sein. Freie Stellen habe ich einfach mit Gitarren-Overdubs ausgefüllt.”
 
Es ist eine Gitarren-Platte, und doch scheint es manchmal, als würde Scofield viel weniger Gitarre spielen als sonst. Er geht sparsamer mit seinen Mitteln um, ist mehr Gestalter als Hauptakteur. Die zwölf Songs des Albums sind eine Reise in die Welt des Sounds. Wer ihn mit MMW im Konzert erleben durfte, wird über die weite Palette von Klängen erstaunt gewesen sein, die Scofield aus der Gitarre zauberte. Er scratchte auf den Seiten wie ein DJ in den Rillen seines Vinyls, ließ seine Gitarre kreischen und quietschen. Nach eigenem Bekunden hat er gerade deshalb auf eine Orgel verzichtet, um diese Lust am Sound voll ausleben zu können. Der Bluesmusiker von einst tritt bei den Sound-Experimenten ein wenig in den Hintergrund. “Ich versuche mich zu verändern, zu wachsen. Das bedeutet, daß ich auch bestimmte Elemente meines Spiels vernachlässigen muß. Ich glaube, ich werde niemals wirklich aufhören, Blues zu spielen. Das Blues-Feeling, seine Seele und Rhythmus sind essentiell für mich. Aber ich versuche einfach auf meinen Erfahrungen aufzubauen. ‘A Go Go’ und ‘Bump’ sind zwei Teile eines Aspektes meiner Musik, der weniger für Straightahead-Jazz steht. Ich mag es nach wie vor, Bebop zu spielen. Aber das ist etwas ganz anderes. ‘Bump’ und die MMW-Platte sind meine Versionen von Rock’n'Roll.”
 
Doch der Unterschied zwischen beiden Platten liegt auf der Hand. War das Album mit MMW von einer undurchdringlichen Dichte bestimmt, so ist “Bump” erstaunlich offen. Unweigerlich wird man an die Philosophie von Scofields Meister Miles Davis erinnert, der sagte, die Töne, die man nicht spiele, seien ebenso wichtig wie jene, die man spiele. “Raum zu lassen, ist eine Sache, die man lernen muß. Inzwischen habe ich nicht mehr solche Angst, in meiner Musik offene Stellen zu lassen. Wenn du gute Ideen hast, werden diese durch freie Stellen abgerundet. Sind deine Ideen weniger gut, werden sie durch solcherlei Offenheit bloßgestellt. Es führt alles immer wieder zu dem Verzicht auf die Orgel zurück. Der Sound der Orgel ist so gewaltig. Einfach nur Gitarre zu spielen, kann hingegen ganz minimalistisch sein. Du kannst es natürlich auffüllen und so massiv wie Hendrix klingen lassen. Das Volumen des Instrumentes an sich ist jedoch ganz klein.”
 
Der Rock’n'Roll, auf den Scofield sich so leidenschaftlich bezieht, ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Musik, in der das Solo kaum eine Rolle spielt. Auch auf Scofields neuem Album gibt es keine nennenswerten Solo-Parts. Dahinter verbirgt sich eine Erkenntnis, die absolut mit dem Zeitgeist konform geht. “Solo ist ohnehin ein merkwürdiges Wort. Wir verbinden damit eine Spielhaltung, in der jemand aus der Band heraustritt und spielt, so schnell er kann. Manchmal ist es aber schön, einfach nur Melodien zu spielen, egal ob du sie improvisierst oder bereits kennst. Oder du willst nur ein paar Rhythmen spielen und überhaupt nicht als Solist in Erscheinung treten. Das habe ich immer an MMW gemocht. Sie spielen stets als Einheit über einen Groove. Das ist keine Popmusik, sondern immer noch Jazz, aber sie verzichten mitunter völlig aufs Solo. Diese Attitüde ist, glaube ich, neu im Jazz. Vielleicht ist Jazz auch nicht das richtige Wort. Es ist improvisierte Musik, die sich zum Tanzen genauso eignet wie zum Hören. Vielleicht wird es irgendwann mal Popmusik. Aber sie ist aus dem Geist des Jazz entstanden.”
 
Eine weitere drastische Neuerung nimmt Scofield vor, indem er auf “Bump” den kohäsiven Charakter eines festen Line-ups, an dem er bis jetzt pragmatisch festgehalten hat, aufbricht und mit unterschiedlichen Besetzungen arbeitet. An einigen Songs sind Drummer Kenny Wollesen und Bassist Tony Scherr beteiligt, zwei Youngster der New Yorker Avantgarde-Szene, die durch ihre Mitarbeit in den Gruppen Sex Mob und Slow Poke entscheidend daran beteiligt sind, dem zeitgenössischen Jazz neue Impulse zu geben. “Die beiden sind eine unglaubliche Einheit. Wenn man wachen Sinnes die New Yorker Szene verfolgt, kommt man an ihnen einfach nicht vorbei. Obwohl sie in so vielen Bands gemeinsam spielen, hatte ich sie niemals zusammen gehört. So folgte ich dem einen und dem anderen bei ihren zahlreichen Sideman-Gigs. Mit Tony jammte ich bereits 1998 einmal. Er hat sowohl auf dem akustischen als auch auf dem elektrischen Baß einen ganz speziellen Sound. Eines Tages schlug Tony vor, mit Kenny gemeinsam zu spielen. Also gingen wir in Kennys Haus in Brooklyn und jammten erneut.” Und es klickte augenblicklich. Ebenso wie zwei Jahre zuvor bei MMW, deren Chris Wood ebenfalls auf dem neuen Album zu hören ist.
 
Auch auf dem experimentellen Pop-Sektor sah sich Scofield um. So wurde er fündig in der populären Psychedelic Funk-Band Deep Banana Blackout, die bereits auf Live-Erfahrungen mit Maceo Parker, George Clinton und Taj Mahal zurückblicken kann. Deren Drummer Eric Kalb und Perkussionist Johnny Durkin legen in beinahe der Hälfte der Tracks locker leichte, filigrane Trommel-Teppiche. Nicht zu vergessen Mark De Gli Antoni, der Sampling-Spezialist von der Kultband Soul Coughing. “Von allen Gruppen, die ihre Musik auf Samplings aufbauen, halte ich sie für die beste. Ursprünglich wollte ich einen Track mit der ganzen Band aufnehmen. Leider war die Gruppe zum Zeitpunkt meiner Aufnahmen nicht verfügbar, aber Mark wollte unbedingt mit mir spielen. Er sprach mit meinem Produzenten Lee Townsend und kam zu den Aufnahmen. Obwohl er kein Jazzmusiker ist, geht er doch sehr ernsthaft mit Musik um. Ich wußte nicht, daß er ursprünglich aus der zeitgenössischen klassischen Musik kommt. Er näherte sich meinen Songs sehr sensibel an.” Mit De Gli Antoni verschmilzt Scofield in einigen Songs derart zu einem Kern, daß man kaum noch exakt sagen kann, von wem genau welcher Sound und welcher Ton kommt.
 
Man kann “Bump” auf ganz unterschiedliche Weise hören. Es ist eine Funk-Platte, ein Party- Album, das zu unbeschwertem Tanzen animiert. Auf der anderen Seite ist es eine Hörplatte, die voller Liebe zum Detail und kleiner Experimente steckt. Scofield war von Kindesbeinen an ein Beat-Addikt, den selbst an Thelonious Monks Spiel hauptsächlich die perkussiven Seiten interessiert haben. “Es ist Tanzmusik, und es ist Hörmusik. Aber es ist niemals geistlose Tanzmusik. Manchmal möchte ich meinen Geist allerdings loswerden und mich an einen anderen Ort spielen. Das sind die Stellen, an denen sich die Musik am meisten öffnet.”

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