Jonas Kaufmann | News | Ein liebender Held - Jonas Kaufmann im "Faust" und im "Werther"

Ein liebender Held – Jonas Kaufmann im “Faust” und im “Werther”

Jonas Kaufmann in 'Faust'
© Decca
06.03.2014
Was macht ein Mensch, der im Leben alles erreicht hat? Er könnte sich zurücklehnen. Er könnte sich aber auch fragen, was ihm all seine Erfolge gebracht haben. Faust stellt sich selbst in Frage. Der mythische Held, dem Goethe mit seinem meisterhaften Drama zu unsterblichem Ruhm verhalf, stößt an seine Grenzen. All seine Macht und sein Wissen lösen sich auf, als ihm klar wird, dass sie seine Seelennot nicht zu lindern vermögen. Faust will sich umbringen, und das ist erst der Anfang eines der aufregendsten europäischen Dramen, das dem Menschen seine prekäre Lage als Zweifelnder und Hadernder, als Verführer und Verführter, als Liebender und Verräter vor Augen führt. Ein Stoff, wie geschaffen für die Oper. Als hätte das Material auf einen Komponisten gewartet, der ihm musikalisch Gestalt verleiht.

Eine der beliebtesten Opern

Es war dem französischen Romantiker Charles Gounod vorbehalten, diese reizvolle Aufgabe zu erfüllen. Und Gounod hat ein Werk geschaffen, das seit seiner Pariser Premiere im Jahre 1859 als eine der beliebtesten Opern schlechthin gilt. Der französische Komponist hat das Publikum in allen Dimensionen überzeugt. Das Werk ist tiefsinnig, dramatisch und geistvoll. Es entbehrt aber auch nicht einer lyrischen, tänzerischen, ja zuweilen sogar ironischen Dimension.

Jonas Kaufmann in Hochform


Jonas Kaufmann, gefeierter Startenor, schätzt an den französischen Opern die Spannung zwischen dramatischen und lyrischen Passagen, und wie meisterhaft er sie stimmlich ins Werk setzt, davon kann sich jeder überzeugen, der auf das gerade erschienene DVD-Video der Met-Inszenierung des “Faust” zurückgreift. Kaufmann glänzt in der Rolle des Faust, dem er eine ebenso ehrerbietende wie zerbrechliche Gestalt verleiht. Wenn Faust etwa im dritten Akt auf Marguerite trifft, dann spürt man, wie die Stimme in einer einzigen Szene scheinbar mühelos zwischen einem entschiedenen Begehren und einem flehentlichen Bitten changiert. Faust will Marguerite unbedingt, und er verschafft seinem Begehren überzeugend Ausdruck, aber er ist andererseits auch ein geschlagener Mann, denn er ist überwältigt von Marguerites Unschuld und Schönheit.

Aktualisiertes Setting


In Kombination mit der grandiosen Marina Poplavskaya, die eine hochmoralische und bezaubernde Marguerite singt, und René Pape, der in weltmännischer Manier den verschlagenen Méphistophélès spielt, entsteht so ein Beziehungsgeflecht, das ob der präzisen Illustration menschlicher Grundprobleme den Zuschauer völlig in Bann zu schlagen vermag. Regisseur Des McAnuff verlegt das Drama in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die politischen Krisen in den Jahren der klassischen Moderne bilden die Kulisse, um den Größenwahn Fausts, der in manchen Momenten seines Lebens glaubt, die ganze Welt in der Hand zu haben, greifbar zu machen.

Geniale Kostüme und Bilder

Anschaulich wird die moderne Atmosphäre durch die genialen Kostüme der 20er und 30er Jahre, die Designer Paul Tazewell entworfen hat. Man kann sich dadurch gut einfühlen in die Lebenswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und wie nah uns diese Zeit noch ist, bringt das kühne Bühnenbild von Robert Brill zum Ausdruck. Der renommierte Broadway-Bühnenbildner erzeugt mit seinen metallenen Wendeltreppen eine Anmutung der industriellen Moderne, wie sie uns Heutigen in Form unserer Wohnkultur noch wohlvertraut ist. Bei alledem ist die große Leistung von Dirigent Yannick Nézet-Séguin nicht zu unterschlagen, der den traumhaft schönen Melodien Gounods die angemessene Wärme, Diskretion und Pointierung verleiht. So gelingt im Zusammenspiel vieler exponierter Gegenwartskünstler eine Belebung des Faust-Stoffs, die schon die Zuschauer der Live in HD-Präsentation in regelrechte Begeisterung versetzte und die als DVD-Video anzuschauen ein ästhetischer Hochgenuss ist.

Werther, der junge Liebende

“Werther”, in der Vertonung von Jules Massenet, ist ebenfalls ein lyrisches Drama. Der Akzent dieser Oper liegt dabei noch stärker, als dies in Gounods “Faust” der Fall ist, auf der lyrischen Komponente. Jonas Kaufmann präsentiert den Werther mit romantischer Verve, und wenn man ihn auf dem jetzt bei Decca erschienenen Blu-ray-Video in seiner jugendlichen Anmut sieht, dann wird man im Vergleich zu seiner Faust-Rolle verblüfft sein über die enorme Verwandlungsfähigkeit dieses Künstlers. Die “Werther”-Inszenierung in der Pariser Oper ist in der internationalen Presse mit viel Lob bedacht worden. „Jonas Kaufmann“, schreibt Opera Now aus London, „ist geboren, um den Werther zu spielen, diesen melancholischen Poeten, der für die Liebe stirbt.“ Und Emmanuel Dupuy schreibt in Diapason aus Paris, Kaufmann sei derart tief in die Rolle des Werther hineingeschlüpft, dass uns schon seine „bloße Anwesenheit erschüttert“. Mehr kann ein Opernsänger nicht erreichen.

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