Juan Diego Flórez | News | Feuerwerk für Rossini

Feuerwerk für Rossini

11.04.2002
Mit 14 war Juan Diego Flórez der jüngste Pianist in den Bars von Lima. Dann entdeckte er seine Liebe zum Gesang. Seitdem hört man ihn auch außerhalb Limas.
Wir erwarten ihn im vornehmen Wiener Hotel “Bristol” am Opernring, nur wenige Schritte von einer der wichtigsten Bühnen des internationalen Opernbetriebes entfernt – der traditionsreichen Wiener Staatsoper. Wem es gelingt, das Publikum in diesem Haus zu Beifallsstürmen hinzureißen, der hat es geschafft. Der hat die schwere Aufnahmeprüfung für den Opernolymp bestanden.
 
Juan Diego Flórez, der gerade einmal 29-jährige peruanische Tenor, erscheint in der Lobby und bietet sein charmantestes Lachen zum Gruß. Grund zur Freude hat er mehr als genug: Nachdem ihm das verwöhnte Wiener Publikum bereits vor einigen Wochen für seinen Elvino in Vincenzo Bellinis “La sonnambula” den roten Ehrenteppich ausgebreitet hatte, wollten die Ovationen auch nach der Vorstellung von Rossinis “L’italiana in Algeri” am Vortag kein Ende nehmen. Die Zuschauer waren außer Rand und Band. Brachten den jungen Mann in seiner schmucken Opernuniform fast ein wenig in Verlegenheit ob der wieder und wieder geforderten Vorhänge. Erinnerungen werden wach an das Jahr 1996.
 
Für die Festspielaufführung von “Ricciardo e Zoraide” beim alljährlichen Rossini-Festival im italienischen Pesaro war der Absolvent des Curtis Institute of Music in Philadelphia für eine kleine Nebenrolle vorgesehen – die übliche Chance für Neulinge. 14 Tage vor der Saisonpremiere von “Matilde di Shabran” jedoch geriet die Festival-Leitung in helle Aufregung – der Tenor für die enorm schwierige Hauptpartie hatte krankheitshalber abgesagt. Der künstlerische Leiter kam zu Juan Diego und fragte ihn: “Trauen Sie sich das zu?” – “Kann ich mir mal die Partitur ansehen?”, gab Juan Diego eher gelassen zurück. “Und dann habe ich einfach zugesagt, bevor ich überhaupt noch einen Blick in die Noten geworfen hatte. Ich wollte die Rolle einfach singen.” Das Publikum dankte ihm die Rettung der Produktion, indem es den frischgebackenen Rossini-Star nach jeder Aufführung mit Beifall und Ovationen überschüttete.
 
Seither sind ihm die Standing Ovations, die ohrenbetäubenden Bravo-Orkane nach seinen aberwitzigen Koloraturen und atemberaubenden Kantilenen treu geblieben – ob Wien, Mailand, London oder New York. Er nahm alle Opernbastionen im Sturm, zuletzt die New Yorker MET, wo er im Januar als Conte Almaviva debütierte und den Starkritiker der “New York Times”, Matthew Gurewitsch, zu dem gewagten Vergleich provozierte: “In seinem 29. Lebensjahr singt der peruanische Koloraturtenor Juan Diego Flórez im unbekümmert draufgängerischen Stil eines Errol Flynn in dem Film ?Der Herr der sieben Meere'.”
 
Im richtigen Leben, fern der Opernbühnen dieser Welt hingegen, wirkt Juan Diego Flórez eher schüchtern. Er hat einen anstrengenden Promotiontag vor sich – die Top-Medien reißen sich mittlerweile um den jungen Mann, den die Natur nur allzu verschwenderisch beschenkt hat: mit einem spektakulären Timbre, einem hinreißenden Aussehen und dem bezwingenden Charme, mit dem Südländer ihr Gegenüber im Handumdrehn um den kleinen Finger wickeln. Nicht dass Juan Diego so was nötig hätte, aber ein schneller Blick aus den dunklen Augen dürfte schon manches Mal Wunder bewirkt haben.
 
Doch obwohl unzweifelhaft ein Liebling der Götter, hat Juan Diego Flórez keineswegs die “Bodenhaftung” verloren, ist erfrischend bodenständig geblieben. Größten Anteil an dieser liebenswerten “Normalität” gebührt seinem Landsmann, Lehrer, Mentor und Manager Ernesto Palacio. In den Siebziger- und Achtzigerjahren selbst einer der führenden Rossini-Tenöre der Welt, verfügt Palacio über genau jene Erfahrungen, die seinen jungen Thronerben vor frühen Fehlentscheidungen und allzu verwegenem musikalischem Abenteurertum bewahren. Dank dem profunden und immer um das Wohl seines Schützlings bedachten Rat verweigert sich Juan Diego jenen Herausforderungen, die auf den ersten Blick zwar lukrativ für Image und Konto scheinen, sich in Wahrheit jedoch als gefährlich für Stimme und dauerhafte Karriere entpuppen. Also “Barbiere” ja, “Puritani” nein, den Tonio in Donizettis “La fille du régiment” unbedingt, Rossinis Arnoldo oder Verdis Duca und Alfredo eher nicht. Dafür jedoch den Fenton im “Falstaff”: “Natürlich könnte ich auch andere Verdi-Partien singen, solche, die eine stärkere Stimme erfordern. Ich muss es aber nicht. Denn da gibt es viele, die das können. Ich bevorzuge Rossini, weil es mir gefällt und ich dabei zufrieden mit mir bin.” Und im Gespräch mit den Journalisten wird er deshalb nicht müde, mit dem überzeugendsten Lächeln der Welt sein berufliches Credo als Belcanto-Spezialist zu postulieren. “Ich liebe die Schlichtheit in der Musik und ich glaube, mein Repertoire steht exemplarisch gerade für diesen Anspruch. Vieles bleibt dem Sänger überlassen. Im Belcanto wird man häufig vom Orchester allein gelassen. Das bedeutet, man muss ein musikalisches Umfeld, ein Gefühl, eine Überraschung kreieren. Und genau das ist es, was mir Spaß macht.”
 
Und natürlich seinem Publikum. Die Zeiten, in denen das spektakuläre Element der Verzierungen und Variationen, dem die wahren Belcanto-Fans mit jeder Faser ihres Herzens entgegenfiebern, nur den Primadonnen und Koloraturköniginnen wie Gruberova, Bartoli und Podlés vorbehalten blieb, gehören der Vergangenheit an. Und jenseits aller Realität gibt man sich genüsslich der Vorstellung eines Koloraturduells hin. Frei nach dem Motto “Alles was du kannst, kann ich viel besser!”, mit dem zu Rossinis Zeiten die Stars der italienischen Oper ihr Publikum zur Raserei brachten. Eine Ahnung davon, wie das damals in Neapel, Mailand, Venedig oder Florenz geklungen haben muss, bekommt man auf Flórez' Decca-Debütalbum mit Rossini-Tenorarien vom Allerfeinsten. Da wird geschmachtet und gejubelt, was die Kehle hergibt. Und wenn man meint, dies sei nun aber das höchste der Gefühle, belehrt uns Juan Diego eines Besseren und setzt mit müheloser Nonchalance noch einen drauf.
 
Es mag ja manchen deutschen Musikfan überraschen, aber: Es gibt ernst zu nehmende Musik, die trotzdem Spaß macht. Viel Spaß. Und dies um so überzeugender, je besser der Interpret. Im vorliegenden Fall sollte es besser kein “besser” geben, es wäre nicht mehr auszuhalten. Vorerst aber darf man sich getrost einem Album hingeben, das es in dieser Zusammenstellung und künstlerischen Qualität noch nie gegeben hat. Denn: “Rossini ist gewissermaßen meine Heimat. Er ist der Komponist, den ich am liebsten mag und den ich meiner Meinung nach am besten singe.” Und wer dann noch die Gelegenheit nutzt, diesen in jeder Hinsicht tenore di grazia irgendwo in Europa, Amerika oder Japan in einer seiner Paraderollen live zu erleben, der darf sich – zumindest in opernmusikalischer Hinsicht – vollkommen glücklich schätzen.
 
Weitere Informationen finden Sie unter http://www.deccaclassics.com/juandiegoflorez

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