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Julian Lage – Sounding Point

Julian Lage © Jimmy Katz
Jimmy Katz
01.04.2009
Als der Gitarrist Julian Lage vor dreizehn Jahren auf der Szene auftauchte, standen dem jungen Musiker im wahrsten Sinne des Wortes schon sämtliche Türen offen. 1988 im kalifornischen Santa Rosa geboren und in der Bay Area von San Francisco aufgewachsen, hatte Lage mit fünf Jahren Gitarre spielen gelernt und es mit acht auf dem Instrument bereits zu solcher Meisterschaft gebracht, daß er an der Seite von Stars wie Carlos Santana auftreten durfte und man den Dokumentarkurzfilm “Jules At Eight” über ihn drehte, der prompt für einen Oscar nominiert wurde. Verlockende Angebote von verschiedenen Plattenfirmen ließen nicht lange auf sich warten. Doch gut beraten von seinen Eltern, die das Talent ihres Sohns nicht vorzeitig verheizt sehen wollten, widerstand Julian Lage den Verlockungen und widmete sich in erster Linie seinen musikalischen Studien: am San Francisco Conservatory und der Sonoma State University studierte er klassische Musik, am Ali Akbar College of Music in San Rafael ließ er sich in die Geheimnisse der indischen Musik einweihen und am Berklee College of Music in Boston besucht er derzeit Kurse für klassische Komposition.

Mit zehn Jahren lernte Julian Lage den vier Jahre älteren Pianisten Taylor Eigsti kennen, mit dem er seither musiziert. Als er zwölf war, wurde der Vibraphonist Gary Burton auf ihn aufmerksam. Burton, der schon immer ein besonders feines Näschen für talentierte Gitarristen hatte und u.a. Larry Coryell, John Scofield, Mick Goodrick, Pat Metheny, Wolfgang Muthspiel und Kurt Rosenwinkel Karrierestarthilfe gab, holte den Youngster bald darauf in sein “Generations”-Quintett. Begeisterung weckte der junge Gitarrist auch schon früh bei Herbie Hancock und Béla Fleck. Hancock attestierte ihm, daß er mit “Herz, Verstand und Seele” spiele und fragte ihn erstaunt: “Wo hast du das nur so früh schon gelernt?” Und der Banjovirtuose Fleck nannte ihn eines der “wirklichen Ausnahmetalente”. Aufnahmen machte Lage bislang aber nur als Sideman anderer Musiker: zwei Alben an der Seite des Mandolinen-Gurus David Grisman, zwei unter der Federführung von Gary Burton sowie jeweils zwei mit Pianistin Marian McPartland, Sängerin Nnenna Freelon und seinem langjährigen Freund Taylor Eigsti.

Nun meint Julian Lage endlich, daß für ihn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, selber ins Scheinwerferlicht zu treten. Sein Debütalbum “Sounding Point” veröffentlicht der jetzt 21 Jahre alte und mittlerweile in Boston lebende Gitarrist bei EmArcy Records. Und es ist wohl kaum übertrieben, wenn man “Sounding Point” als eines der erstaunlichsten und anspruchsvollsten Jazzdebütalben der letzten zehn Jahre bezeichnet. Das musikalische Spektrum reicht von durchkomponierten Werken, die Lages klassische Schulung verraten, über völlig freie Duo-Improvisationen, Trio-Einspielungen und solistische Exkurse bis hin zu einer meisterhaften Interpretation des Miles-Davis-Klassikers “All Blues” sowie beeindruckenden Überarbeitungen von Elliott Smiths “Alameda” und Neal Heftis “Lil' Darlin'”.

“Ich hätte schon viel früher die Möglichkeit gehabt, ein eigenes Album zu machen. Aber ich wollte nichts übereilen, sondern meine Kompositionen lieber mit der Zeit wachsen und sich entwickeln lassen”, meint Lage. “In den letzten vier Jahren schien die Musik schließlich die Form anzunehmen, die mir immer vorgeschwebt hatte. Ich bin dankbar, daß man mich vorher nie unter Druck gesetzt hat.”

“Ich kann mich glücklich schätzen, daß ich eine musikalische Entwicklung durchlaufen habe, bei der den Verbindungen zu anderen Genres stets großer Wert beigemessen wurde”, fährt der Gitarrist fort. “Die musikalische Energie, die den Raum zwischen akustischer Musik, Jazz, Blues, indischer und klassischer Musik ausfüllt, hat mich als Musiker inspiriert. Und ich bin mir sicher, daß EmArcy das perfekte Label dafür ist, um diesen Prozess fortzuführen.”

Auf “Sounding Point” präsentiert sich Julian Lage mit seiner eigenen Band – bestehend aus Saxophonist Ben Roseth, Cellist Aristides Rivas, Bassist Jorge Roeder und Schlagzeuger/Perkussionist Tupac Mantilla – sowie den Gästen Taylor Eigsti, Béla Fleck und dem Mandolinenspieler Chris Thile, der durch die Bands Nickel Creek und Punch Brothers bekannt wurde. Produziert wurde das Album von Steven Epstein und aufgenommen von dem Toningenieur Richard King. Die beiden haben schon bei der Einspielung von etlichen Klassikalben zusammengearbeitet, aber gemeinsam auch Klassik-Crossover-Projekte von Cellist Yo-Yo Ma und Bassist Edgar Meyer (“Appalachian Journey”), Pianist Chick Corea (“Corea.Concerto”) und Popstar Billy Joel (“Fantasies & Delusions: Music For Solo Piano”) betreut. Lage wurde auf das Team Epstein-King durch das letzte Album der Punch Brothers aufmerksam. Es besaß genau den Sound und das Feeling, das er für sein erstes eigenes Album haben wollte.

Cellist Aristides Rivas stammt aus Venezuela.  Seinen Bachelor-Abschluß in Musik machte Rivas an der Baylor University in Texas, seinen Master-Studiengang absolvierte er am renommierten New England Conservatory of Music. In seiner Heimat ist er heute ein gefragter Solist und gibt selber Meisterklassen. Darüber hinaus gehört er dem Lehrkörper an, der bei den Workshops im Rahmen des Internationalen Musikfestivals Presjovem in Spanien junge Nachwuchskünstler unterrichtet.

Der Alt- und Sopransaxophonist Ben Roseth stammt aus Seattle. Er studierte Jazz am New England Conservatory und parallel Internationale Beziehungen an der Tufts University. Roseth entwickelte ein einzigartiges musikalisches Konzept, bei dem er den Jazz mit Elementen von Volksmusiken aus aller Welt verquickt.

Bassist Jorge Roeder wurde in Perus Hauptstadt Lima geboren und ist gegenwärtig Mitglied im Trio des Pianisten Kenny Werner. Darüber hinaus ist Roeder momentan Mitglied des Dan Tepfer Trio, der Sofia Koutsovitis Group, des Jarrett Cherner Trio, der in Boston ansässigen Band Sol y Canto und des Avantrio, das peruanische Musik spielt.

Der kolumbianische Schlagzeuger und Perkussionist Tupac Mantilla machte seinen Abschluß am New England Conservatory mit Auszeichnung. Er studierte außerdem an der Sangeet Indian Music School der Harvard University und unterrichtet mittlerweile selber bei Workshops in aller Welt. Auf Tourneen und/oder bei Aufnahmen begleitete Mantilla unter anderem schon Danilo Pérez, Bob Moses, Deepak Ram, Michael Cain, den Klezmermusiker Hankus Netsky und seinen Landsmann Juan Sebastián Monsalve.

“Bei dieser Platte ging es mir darum, die dieser Musik zugrundeliegende Bewegung auszudrücken,” sagt Lage, der zwar ein junger Virtuose sein mag, sich aber weder auf der akustischen noch der elektrischen Gitarre zu zirzensischen Technikdemonstrationen hinreißen läßt. “Ich habe eine Affinität zur Gitarre entwickelt und mich ganz dem Studium dieses Instruments gewidmet. Ich fühle mich seit jeher zu Techniken hingezogen, die es mir erlauben, der Musik einen visuellen Charakter sowie ein weites emotionales Spektrum zu geben.”

“Sounding Point” beginnt mit “Clarity”, einem von den drei Songs, die Julian Lage für das 2005 erschienene Gary-Burton-Album “Next Generation” geschrieben hatte. Ursprünglich von ihm als Jazzwalzer konzipiert, hat Lage “Clarity” nun für sein erstes eigenes Album noch einmal komplett überarbeitet. “Ich habe die Nummer mit Gary so oft live gespielt, daß ich nun einfach etwas neues mit ihr ausprobieren wollte”, meint der Gitarrist. “Also nahm ich sie auseinander, studierte die Bausteine der Komposition und bildete aus ihnen eine tiefergehende und zugleich geschlossenere Version. Das Stück erlebt hier eine Wiedergeburt.” Gespielt wird es von der gesamten Band, und Aristides Rivas, der im auf “Clarity” folgenden “All Purpose Beginning” gleich noch einmal ins Rampenlicht tritt, steuert ein großartiges Cello-Solo bei. Auch “All Purpose Beginning” ist eine überarbeitete Version einer Originalkomposition, die Lage diesmal allerdings erst drei Monate vor der Aufnahmesession geschrieben hatte. “Ich schnitt einige Teile heraus und fügte andere ein”, verrät der Gitarrist. “Meine Idee war, Klänge zu verwenden, die eine greifbare Qualität haben, Klänge, die man wirklich fühlen und visualisieren kann, wie etwas Handgeschriebenes auf Papier. Der Song handelt nämlich von jemandem, der einen Brief schreibt.”

“Familiar Posture” ist das erste von zwei Solostücken für Gitarre. Bei beiden Solostücken griff der Gitarrist Themen von einem anderen Song des Albums auf. “Es ist eine Soloimprovisation, die ich anhand einer melodischen Idee von ‘Long Day, Short Night' entwickelte”, erläutert Lage das Zustandekommen von “Familiar Posture”. “Und beeinflußt wurde diese Improvisation auch von Alfred Hitchcocks Sinn für Spannung.” Auch das zweite Solostück, “Constructive Rest”, reflektiert ein Thema von “Long Day, Short Night”.

Bei drei Songs präsentiert sich Lage im Trio mit Béla Fleck und Chris Thile. Der Gitarrist lernte den Banjovirtuosen durch den Mandolinen-Maestro David Grisman kennen, mit dem er schon als Zehnjähriger zusammenspielte. “Béla ist einer dieser Verrückten, die ihr Leben lang üben. Und er hat einen unglaublichen musikalischen Sachverstand”, sagt Lage, der früher jede Gelegenheit wahrnahm, um mit Fleck nach Konzerten stundenlang hinter der Bühne zu spielen, wann immer dieser in San Francisco auftrat. “Und Chris ist einfach großartig. Ich wollte unbedingt mit den beiden im Trio spielen, um unsere kollektive musikalische Stimme zu finden und einen akustischen Sound zu entwickeln, der auf unseren Improvisationen aufbaut.”

Das lebhafte Stück “The Informant” ist eine musikalische Untermalung “für jemanden, der aus dem Gefängnis ausbricht, so wie in dem John-Sturges-Film ‘Gesprengte Ketten'”, erklärt Julian Lage.  Das melancholisch eingefaßte “Long Day, Short Night” wiederum basiert auf Ad-hoc-Improvisationen von Lage und Thile. “Das Stück hatten wir flott zusammen. Bei den diversen Proben, die wir machten, bevor Béla schließlich zu uns stieß, fielen jedem von uns beiden verschiedene Abschnitte ein. Als Béla dann endlich da war, verknüpfte er mit seiner Stimme all diese losen Punkte.” Der dritte Song, den das Trio spielt, ist Elliott Smiths “Alameda”. Der Vorschlag, diese Nummer des 2001 gestorbenen Folk-Punk-Sängers und Songwriters zu interpretieren, stammte von Thile. 

Im Duo mit dem Saxophonisten Ben Roseth spielt Julian Lage das wunderbar melodische “Peterborough”. Der Titel ist eine Referenz an eine Straße in der Nähe des Bostoner Fenway Parks, wo Lage lebt. Die nächste Komposition, “Quiet, Through And Through”, wurde von dem Schlagzeuger Alex Kurland, einem Freund Julians, geschrieben. Neal Heftis “Lil' Darlin'”, mit dem Count Basie einst einen Hit hatte, wird hier von Lage wesentlich flotter gespielt und mit einem Tony-Rice-ähnlichen Groove versehen. Pianist Taylor Eigsti ist mit Lage in dem verspielten Song “Tour One” zu hören. Die gemeinsam geschriebene Nummer gehört zum Standard-Repertoire der beiden ehemaligen Wunderkinder. 

Bevor Lage das Album mit Taylor im Duett sowie mit dem Klassiker “All Blues” ausklingen läßt, spielt er mit Ben Roseth, Jorge Roeder und Tupac Mantilla das rhythmisch sehr abenteuerliche “Motor Minder”. “Taylor und ich sind mit dem Blues aufgewachsen, und dieser Song repräsentiert eine Seite unseres musikalischen Backgrounds, die uns sehr am Herzen liegt.”

“Ich wollte mein erstes Album wirklich von einem holistischen Blickwinkel aus angehen”, meint Julian Lage abschließend. “Und alles fügte sich zusammen. Es war eine großartige Gruppenleistung.”

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