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Keith Jarrett – Mozart Klavierkonzerte

26.08.1999
Eine hervorragende Fortführung der 1994 auf dem ECM-Album 1565/66 begonnenen Arbeit: sowohl Dennis Russell Davies – der das Projekt initiierte – als auch Keith Jarrett haben seitdem in Interviews ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß diese zweite Serie mit Klavierkonzerten von Mozart zu den eindrucksvollsten Erfahrungen zählt, die sie im Laufe ihrer Aufnahmekarrieren gemacht haben.
Es ist zugleich ein Zeichen von gemeinschaftlicher Arbeit und gegenseitigem Vertrauen. Nach einer nunmehr schon zwanzig Jahre währenden Zusammenarbeit verstehen Jarrett und Davies die Methodik des jeweils anderen geradezu perfekt.

Keith Jarrett gegenüber dem Journalisten Larry Alan Kay: “Ich habe den Eindruck, dies ist eine meiner besten Arbeiten… Ich bin auf eine andere Weise vorgegangen, als es die meisten Interpreten getan hätten … Während ein traditioneller Interpret seine ‘Version’ dieses Werkes ausgearbeitet haben würde, hatte ich keine, bis das Orchester und ich sie tatsächlich spielten. Ein Grund dafür ist, daß ich nun schon seit so langer Zeit im wesentlichen ein Improvisator bin, meine Reflexe sind unglaublich schnell… Es sind ein paar Dinge passiert, die waren Magie. Das Orchester wurde überrascht. Dennis wurde überrascht. Ich wurde überrascht.”

“Keith Jarrett betrachtet die Wiedergabe der Mozartschen Klavierkonzerte zu Recht als ein Teamwork”, schreibt Hans-Klaus Jungheinrich. “Er liefert mithin keine fix und fertige Konzeption ab, der sich Orchester und Dirigent schlichtweg anzupassen und unterzuordnen hätten. Gerade die Souveränität seiner Mozart-Identifikation gibt ihm den Freiraum, eine gleichrangige Partnerschaft anzuerkennen. So geschieht die ‘Feinarbeit’ im kommunikativen Wechselspiel, analog zu der künstlerischen Tatsache, daß die Instrumentalstimmen und -farben dieser Konzerte nichts folienhaft Begleitendes, bloß Ergänzendes haben, sondern das volle Gewicht von Rede und Gegenrede.”

Jarrett: “Einer der Gründe, weshalb Dennis und ich zusammenarbeiten, ist, daß er weiß, wie schnell ich bin, und eine seiner größten Stärken ist Schnelligkeit. Er war wirklich in der Lage, mit dem ganzen Organismus des Orchesters auf diese Momente zu reagieren, ohne seine Integrität zu verlieren. Es war eher so, daß das wesentliche Element das Zuhören war und nicht das Spielen, und so bekam das Ganze eine Jazzsensibilität… Manchmal, in komplexen Werken mit dichten orchestralen Parts, einem schnellen Tempo und einer virtuosen Situation, hat jeder nicht zu hören, sondern einfach seinen Takt zu spielen.” Die Rolle des Solisten und die des Orchesters sind eng miteinander verwoben. “Es war wie eine Aufführung. Dennis uund ich bevorzugen es, alles in einem Takes einzuspielen. Von diesen Patchwork-artigen ‘Laß uns bei Takt 31 anfangen und bis Takt 33 spielen’-Dingern halten wir nichts. So etwas weckt in mir den Wunsch, meine Augen zu schließen und zu sagen: ‘Hört her, besorgt euch jemand anderen an meiner Stelle… Wo bleibt denn da die Leidenschaft?’”

Keith Jarrett hat Mozarts Musik Zeit seines Lebens geschätzt. Tatsächlich eröffnete er sein erstes Solistenkonzert – im Alter von 7 Jahren – mit Mozart. Wenn er nun als gereifter Künstler die Klavierkonzerte interpretiert, stellt dies für ihn keinen “musikalischen Umbruch” dar, sondern vielmehr eine Weiterführung, die durch seine außergewöhnlichen improvisatorischen Leistungen ausgeglichen wird. Es ist Jarretts Überzeugung, daß improvisatorische Fähigkeiten beim Spielen und Verstehen der Musik, die im 18. Jahrhundert für Tasteninstrumente verfaßt wurde, unabdingbar sind. Ansonsten “fehlt einem ein riesiges Bindeglied. Es fehlt eine fühlbare Qualität. Wenn man ein Improvisator ist, hat man eine gewisse Ahnung von der Bewegung der Dinge.”

Nach einer langen Zeitspanne, in der er nur Jazz spielte – und in diesem Idiom ist er ein immer wiederkehrender Poll-Sieger -, tauchte Jarrett 1979 wieder als interpretierender Pianist auf: mit dem St. Paul Chamber Orchestra spielte er Musik des 20. Jahrhunderts, Kompositionen von Lou Harrison, Colin McPhee und Peggy Glanville-Hicks. In den frühen 80ern trat er mit Bartók, Barber und Strawinsky auf, und ab 1984 vertiefte er sich immer mehr in die Welt der klassischen und Barockmusik. Für die “ECM New Series” nahm er sowohl Musik von Bach und Händel auf als auch von Mozart, sowie Schostakowitschs von Bach inspirierte “Präludien und Fugen op. 87”. Auch auf Arvo Pärts Geschichte machenden Album “Tabula Rasa” war er zu hören, und mit Gidon Kremer spielte er “Fratres” ein.

In seinem im Booklet dieser Doppel-CD abgedruckten Essay meint Jungheinrich: “Wollte man aus der reichen Geschichte der Mozart-Wiedergabe eine verwandtschaftliche Intention namhaft machen, so wäre am ehesten noch die Klavierkunst Clara Haskils in die Erinnerung zu rufen. Auch sie avisierte, wie Jarrett, einen schmucklosen, geradlinigen, bei allem Facettenreichtum von luzider Beherrschtheit getragenen Erzählton.” In technischer Hinsicht hat Jarrett ohnehin nichts mehr zu beweisen. Mit seiner Geschicklichkeit als Jazzmusiker hat er die Konkurrenz schon vor langer Zeit ins Feld geschlagen. Als interpretierender Pianist vermeidet er daher alle großen Gesten: “Jarretts Eigensinn manifestiert sich stärker in einer Tendenz zur Verinnerlichung, im konsequenten Verzicht auf Posen und forcierte Brillanz.” So verhält es sich auch bei diesen Mozart-Aufführungen, bei denen alle Exzesse im Zaum gehalten sind und Technik nur dem Geist der Komposition dient.

Unter den bestens bekannten Klavierkonzerten, die in der vorliegenden Sammlung zusammengetragen wurden, befinden sich zwei, die für die Erweiterung des formalen und expressiven Potentials dieses Mediums äußerst wichtig waren. Über das Es-Dur-Konzert KV 271, das von vielen als Mozarts erstes uneingeschränktes Meisterwerk bezeichnet wird, schreibt Robert Cowan: “Kein vorangegangenes Konzert stellte den Solisten so sehr auf eine Ebene mit dem Orchester, und keines beanspruchte mehr musikalische Bedeutung. Hier sehen wir Mozart – 21jährig – mit der Tradition brechen, nur um diese dadurch zu stärken.”

Das finstere d-Moll-Konzert KV 466, so Jungheinrich, stach “vom immensen Korpus der Mozartschen Klavierkonzerte […] besonders in der Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts deutlich ab als ein von ‘dämonischen’ Triebkräften erfülltes Stück ‘Romantik in der Klassik’.”

Das G-Dur-Konzert KV 453, geschrieben für seine Lieblingsschülerin Babette Ployer, ist spritzig und unendlich liebenswürdig, Musik von der Art, die Aaron Copland einst dazu veranlaßte, Mozart als “den vernünftigsten der großen Komponisten” zu beschreiben. “Die glückliche Balance von Höhenflug und Kontrolliertheit, Sensibilität und Selbstdisziplin, Einfachheit und Subtilität im Stil ist sein Spezialgebiet”, so Copland weiter. “Mozart zapfte die Quelle an, aus der alle Musik fließt, und er drückte sich mit einer Spontaneität und Feinheit und atemberaubender Richtigkeit aus, wie es nach ihm keinem mehr gelang.”

Diese Sammlung schließt mit dem auratischen Adagio mit Fuge KV 546. Jungheinrich: “Das Adagio ist reinste Trauermusik, ein von tiefen Instrumentallagen getragenes konduktartiges Lamento, dem sich, sehr sophisticated, eine streng gebaute Fuge anschließt, Reverenz vor J.S. Bach wie die fugierten Teile im Finale der ‘Jupiter-Symphonie’ und der figurierte Choral der geharnischten Männer in der ‘Zauberflöte’.” Die Komposition der Fugen-Komponente entstand bereits fünf Jahre vor der Beendung des ganzen Werkes und war ursprünglich als Stück für zwei Klaviere konzipiert worden, geschrieben für Baron van Swietens sonntägliche Zusammenkünfte in der Kaiserlichen Bibliothek zu Wien.

Dennis Russell Davies studierte Klavier bei Lonny Epstein und Sascha Gorodnitski sowie Dirigieren bei Jean Morel und Jorge Mester an der Juilliard School. 1968 gründete er gemeinsam mit Luciano Berio das Juilliard Ensemble, und von 1972 bis 1980 war er Leiter des Saint Paul Chamber Orchestra.

Davies war Gastdirigent der Symphonie-Orchester von Wien, Cleveland, Pittsburgh, San Francisco und St. Louis, des Orchestre Colonne Paris, des Orchestre de l’Opera Bastille und des Royal Philharmonic Orchestra in London. Auch die Symphonie-Orchester von Boston, Chicago und Philadelphia sowie die Berliner Philharmoniker, das Gewandhaus-Orchester Leipzig und das Orchestre de la Suisse Romande hat er regelmäßig geleitet. 1980 wurde Davies zum Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper bestellt. Von 1987 bis 1995 war er sowohl der Leiter des Orchesters der Bonner Beethovenhalle als auch der Bonner Oper. Zur gleichen Zeit war er außerdem musikalischer Leiter des “Cabrillo Festival California” (1975–1991).

Seit August 1995 ist er der Hauptdirigent des Stuttgarter Kammerorchesters, des ältesten Kammerorchesters in Europa. Dennis Russell Davies ist darüber hinaus auch der Chefdirigent des Wiener Radio-Symphonie-Orchesters und musikalischer Direktor des American Composers Orchestra. Davies' Kooperation mit ECM reicht bis ins Jahr 1977 zurück, als er Keith Jarretts “Ritual” aufnahm, eine Komposition für Klavier. Seither hat er Musik von Pärt, Kancheli, Schostakowitsch, Schnittke, Penderecki, Hindemith, Britten, Vasks und Mozart für “ECM New Series” dirigiert. Die Doppel-CD wird mit einem 32seitigen, dreisprachigen Booklet mit Essays von Hans-Klaus Jungheinrich und Rob Cowan veröffentlicht.

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