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Keith Jarrett – Paris Concert

17.10.1988
Der enorme Umfang von Keith Jarretts Solo-Produktionen, dessen vielfältige Einflüsse gerade im Zeitalter der Spezialisation sowohl von des Pianisten Ablehnung einer stilistischen Selbstbeschränkung zeugen als auch von seinem Verlangen, sämtliche bedeutenden musikalischen Idiome zu kennen und zu verstehen, hat den Musiker und seine Zuhörer an einige abgelegene musikalische Orte geführt. Es war ein langer Weg, der ihn vom einfachen Lyrizismus, der einen Großteil des “Köln Concert” ausmachte, zu den dunklen Schwingungen der Sapporo-Aufnahmen von den “Sun Bear Concerts” führte, wo einen die Repetitionen geradezu in Trance versetzen.
In jüngster Zeit jedoch hat sich die Natur seiner Solokonzerte, die er auch immer seltener gegeben hat, beträchtlich geändert. Die Anforderungen, denen er in den letzten Jahren als Interpret des klassischen Repertoires Genüge tun mußte, verlangten nach einer vollkommen anderen Art der Vorbereitung. Das intensive Studium, das notwendig ist, um zum Kern der Musik eines anderen Komponisten vorzudringen, läßt sich nicht eben leicht mit der gedankentleerenden Meditation in Einklang bringen, die für Jarrett die Grundvoraussetzung für die Improvisation ist. Denn dazu muß er in seinem Kopf vorher erst Tabula rasa machen. Dennoch überschneiden sich die verschiedenen Disziplinen zu einem gewissen Grad.

“Um meine jüngsten Solokonzerte richtig zu hören”, erzählte Jarrett dem Jazzjournalisten Art Lange, “sollte der Konzertbesucher sehr viel mehr darauf achten, wie ich das Klavier spiele. Das haben sie zur Zeit des ‘Köln Concert’ nämlich nicht getan. Damals sprudelte ich vor lauter Ideen über, präsentierte diese aber lediglich im Rahmen einer beschränkten dynamischen Bandbreite. Heute ist die dynamische Bandbreite sehr viel wichtiger und auch wie ich das Instrument spiele, und genau darauf sollte man bei den Konzerten achten.Vielleicht gelingt es mir so, ein klassisches Publikum an die Improvisation heranzuführen und einem Jazzpublikum klarzumachen, was ich da mit dem Instrument anstelle.”

Aber Modifikationen wurden nicht nur auf technischer Ebene vorgenommen. Es heißt, Improvisationen seien in vielerlei Hinsicht autobiographisch. Wenn dem so ist, dann hat der Inhalt des “Paris Concert” so etwas wie den Charakter eines Journals. Diese überaus intime Musik reflektiert in ihrer Entwicklung sowohl wie tief Jarrett in die Welt der Klassik eingetaucht ist (einen Barock-Einfluß kann man deutlich in der einleitenden “Arie” zur längsten Improvisation dieses Albums heraushören), als auch sein nicht nachlassendes Interesse an der amerikanischen Songwriter-Tradition. “The Wind” ist eine von Russ Freeman und Jerry Gladstone geschriebene Ballade, die oft von Chet Baker und Shelley Manne gespielt wurde. Keith Jarrett läßt ihr hier eine freie, klare Behandlung angedeihen. “Blues” ist – wie sollte es anders sein – ein von Jarrett selbst komponierter Blues, den er wie eine Abstraktion des Kansas-City-Stride-Stils spielt, errichtet auf einem simplen, grundsoliden Boogie-Ostinato, das schließlich einen fast schon hypnotische Vorwärtsdrang annimmt. Hier wie auch in der beinahe vierzigminütigen Improvisation – mit dem nüchternen Datumstitel “October, 17, 1988” – macht Jarrett Musik mit sparsamsten Mitteln: Sein Spiel hat er systematisch von jeglichem ornamentalen Ballast befreit und es auf die Integrität der Formen, die es enthüllt, reduziert. In diesem Sinne kann man “Paris Concert” als eine Art Komplementäralbum zu “Changeless” (ECM 1392), dem 1987 erschienenen Opus von Jarretts Standards-Trio, betrachten.

Aufnahme am 17. Oktober 1988 im Salle Pleyel in Paris (CD Veröffentlichung 1990) – Weitere Veröffentlichungen der Soloprojekte von Keith Jarrett finden Sie hier

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