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Keith Jarrett – The Melody At Night, With You

14.02.2001
“The Melody At Night, With You”, Keith Jarretts neues Soloalbum, bricht in mancher Hinsicht mit der Tradition seiner Vorgänger. Erstens wurde es nicht bei einem Konzert, sondern Ende letzten Jahres zu Hause im Studio des Pianisten in New Jersey aufgenommen.
Zweitens geht es hier nicht um Improvisation als kompositorischen Prozeß wie bei Jarretts Solokonzerten, sondern um sorgfältig gearbeitete Melodien: Love Songs von Duke Ellington, George und Ira Gershwin, Oscar Hammerstein, Jerome Kern und Oscar Levant, und Interpretationen von Volksliedern wie “My Wild Irish Rose” und “Shenandoah”. Es ist ein Standards-Soloalbum, doch von ganz anderem Charakter als die Aufnahmen des von Spielfreude geprägten “Standards Trios” mit Gary Peacock und Jack DeJohnette. Dies ermöglicht interessante Vergleiche, da Keith Jarrett die Stücke oft gespielt und manche mit dem Trio auch schon aufgenommen hat, zum Beispiel “Blame It On My Youth” und ‚Don’t Ever Leave Me" auf den Alben “At The Blue Note” und “The Cure”.

Auf “The Melody At Night, With You” setzt Keith Jarrett nicht – wie viele Interpreten von Standards – auf Brillanz und virtuose Fingerfertigkeit. Es geht ihm um die melodische Essenz dieser Songs, ihren emotionalen Gehalt. Einzig auf Ellingtons “I’ve Got It Bad And That Ain’t Good” findet sich eine Solokaskade von perlender Eleganz; sonst herrscht eine eher lyrische Stimmung vor – am ehesten vergleichbar vielleicht jenen Momenten am Schluß seiner Solokonzerte, wenn Jarrett nach langen Improvisationen noch eine gelöste, ungezwungene Interpretation von “Danny Boy” oder “Over The Rainbow” zugibt.

Als Jarrett Anfang der achtziger Jahre seine sorgfältige Neuerforschung des Great American Songbook begann, betonte er: "Es läuft auf dasselbe hinaus, ob man Samuel Barber oder “All The Things You Are” spielt. Das Problem ist nicht, daß das eine einfacher und das andere schwieriger wäre. Das Problem ist, wie man hineinfindet. Ist ein Standard gut geschrieben, so ist das die Tür. Doch man geht nicht einfach hinein und setzt sich hin. Man muß den Raum mit Leben füllen." Die Vielfalt der Mittel, mit denen Jarrett diesen Raum neu belebt hat, gehört zu den faszinierendsten Aspekten seiner Interpretationen dieser Songs. Seine Vorgehensweise auf “The Melody At Night, With You” erinnert an seinen mittlerweile berühmten Ausspruch anläßlich seiner ersten Bach-Einspielungen: “Diese Musik ist nicht auf meine Hilfe angewiesen.” Immer wieder macht er uns auf die Struktur dieser Kompositionen aufmerksam und zeigt auf, welche Bedeutungen Melodien (und ihre Texte) erhalten können, wenn sie überzeugend gespielt werden.

Jarretts Arbeit mit Standards hat ihn oft auf neue eigene Ideen gebracht, und hier ist es Oscar Levants “Blame It On My Youth”, aus dem sich eine “Meditation” genannte Improvisation entwickelt, deren Bass-Orgelpunkt an das Schlagen einer Kirchenglocke um Mitternacht erinnert. Andere Stücke bedürfen keiner langen Einführung. Die traditionellen Volkslieder “My Wild Irish Rose” und “Shenandoah” sind eine ungewöhnliche Wahl für einen Jazzmusiker, obschon Chick Webb das irische gespielt hat und Johnny Smith (und jüngst Bill Frisell) das amerikanische. “I Loves You Porgy” aus Gershwins “Porgy and Bess” interpretiert Jarrett zurückhaltend – im Gegensatz zu den allzu gefühligen Versionen des Songs, die so häufig zu hören sind. “Be My Love”, 1951 ein Riesenerfolg des Operntenors Mario Lanza, fand später Eingang in das Repertoire verschiedenster Jazzmusiker, darunter Phil Woods und Ahmad Jamal. “The Melody At Night, With You” ist Keith Jarretts Frau Rose Anne gewidmet.

Aufnahme 1998 in New Jersey (CD Veröffentlichung 1999) – Weitere Veröffentlichungen der Soloprojekte von Keith Jarrett finden Sie hier

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