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22.02.2006
Es gibt Pianisten, die spielen alles, was sie können. Dann gibt es welche, die vor allem das vortragen, was sie gerne spielen. Schließlich gibt es aber auch noch solche, die spielen vielleicht ein Zehntel dessen, was sie beherrschen auch vor Publikum, weil sie nur diesen Prozentsatz für wirklich präsentabel halten. Krystian Zimerman gehört zu letzterer Spezies der selbstkritischen Interpreten, sorgsam darauf bedacht, nur ein Optimum für die Nachwelt festzuhalten. Deshalb hat er sich auch noch einmal dem ersten Klavierkonzert von Johannes Brahms zugewandt, obwohl es bereits eine Aufnahme davon mit ihm und Leonard Bernstein am Pult aus den achtziger Jahren gibt. Denn damals standen ein unpassendes Instrument und eine ebenso ungeeignete Raumakustik einer wirklich zufrieden stellenden Interpretation im Wege. Und das wäre dem unglaublichen und gewaltigen Werk nicht gerecht geworden.
Johannes Brahms sprengte den Rahmen. Sein erstes Klavierkonzert, das er im Januar 1859 eigenhändig in Hannover uraufführte, passte kaum noch in den Rahmen der bis dato gewohnten Konvention. Es war weitaus länger als üblich, voll von dunklen Farben, scharfen Kontrasten auf der einen und sanften, intimen Motiven auf der anderen Seite. Der Komponist hatte es sich in einem zähen Kampf mit den Ansprüchen an sein Künstlertum entrungen, hatte zunächst als Sonate damit begonnen, dann als Sinfonie daran weiter gearbeitet, um schließlich nach mehr als vier Jahren eine endgültige Form gefunden zu haben. Dementsprechend vielschichtig zeigte es sich den Hörern, voll von ungewohnten Stellungnahmen zur Musik, die nur noch wenig mit der Unverbindlichkeit des großbürgerlich-aristokratischen Konzertvirtuosentums zu tun hatte. Hier offenbarte einer seine inneren Auseinandersetzungen, angefangen beim Schock über Robert Schumanns Selbstmordversuch von 1854, der den Freund des romantischen Genies und von dessen faszinierender Frau deutlich mitnahm, bis hin zu den Zweifeln an der geeigneten Ausdrucksform an sich, die einer flüssigen Komposition im Wegen standen. Schließlich musste er auch noch erleben, wie die Kritik, die mit diesen inneren Kämpfen wenig anfangen konnte, das Werk in die Tonne trat und ihm ein “Würgen und Wühlen, ein Zerren und Ziehen” bescheinigte, das vor allem langweile.

Natürlich wurde dieses Urteil mit den Jahren revidiert. Denn das erste Klavierkonzert von Brahms war schlicht seiner Zeit voraus und es erfordert noch heute mehr Auseinandersetzung als vergleichbare Werke. Krystian Zimerman hat sich lange und intensiv damit beschäftigt, immer wieder und am liebsten bei Nacht: “In der Nacht habe ich Ruhe, in der Nacht fließt die Zeit anders, in der Nacht zu arbeiten ist fantastisch. Ich spüre plötzlich dieses Fieber, ich kann nicht mehr weg vom Flügel, und das Nächste, was ich realisiere, ist, dass es bereits sechs Uhr früh ist. Es gibt so viel zu tun – und das Lernen dauert bei mir so lange. Ich brauche eine Periode von zehn Jahren, um ein Stück wirklich fertig zu haben”. Als er dann das Gefühl hatte, die einzelnen Details der Interpretation perfekt im Griff zu haben, machte er sich an die neuerliche Umsetzung vor Mikrofonen. Als Orchester standen ihm die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle zur Verfügung, aufgenommen wurde unter weitaus besseren Bedingungen als vor zwei Jahrzehnten, im Saal eins des Berliner Studios “Scoring Stage”. Vor allem konnte sich Zimerman im Vorfeld ausführlich mit dem vorhandenen Instrument auseinandersetzen und es nach seinen Vorstellungen vorbereiten. So entstand ein Brahms, dessen interpretatorische Qualität weit über das übliche Maß hinaus geht. “Es gibt viele großartige Pianisten, aber nur einen Krystian Zimerman”, bemerkte die Berliner Morgenpost sibyllinisch anlässlich eines Gastspiels des Pianisten an der Spree. Wohl wahr!

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