KT Tunstall | News | Biografie: September 2010

Biografie: September 2010

KT Tunstall 2013
20.09.2010
KT Tunstall
Biographie 2010

Seit ihrer Kindheit hat KT Tunstall einen immer wiederkehrenden Traum: Sie sieht im Garten einen Tiger und geht nach draußen, um ihn zu streicheln. Als sie wieder ins Haus geht, überkommt sie die Angst, dass sie hätte getötet werden können. Mit den Jahren erschien es ihr immer plausibler, dass der Tiger nur deswegen so passiv auf sie reagiert, weil sie selbst als Tiger verkleidet ist, also ein Tigerkostüm trägt.

Mit ähnlich kindlicher Unerschrockenheit hat die mit einem Brit-Award ausgezeichnete Sängerin nun ihr drittes Album in Angriff genommen. “Tiger Suit” markiert für KT den Beginn eines neuen musikalischen Abenteuers, bei dem akustische Instrumentierung und eher dance-orientierte, elektronische Elemente nahtlos ineinander fließen. KT bezeichnet diese Mischung recht treffend als Nature Techno.

All die unterschiedlichen musikalischen Elemente, die in den Aufnahmeprozess von “Tiger Suit” eingeflossen sind, findet man auch auf der herausragenden ersten Single “(Still A) Weirdo”, einer der letzten Songs, die für das Album geschrieben wurden. Symptomatisch für diese Aufnahme ist die wunderschöne Akustikgitarre, die in ein rhythmisches Gemisch aus organischen und elektronischen Rhythmen eingebettet ist. Zudem gehören die Lyrics des Songs zu den persönlichsten des Albums. Über das Stück, das nicht wenige ihrer Fans besonders berühren wird, sagt KT: “Der Song beschreibt einen der seltenen Momente, in dem man in der Lage ist, sich selbst objektiv zu betrachten. Man blickt auf dieses ganze emotionale Gefüge und versteht plötzlich, wer man ist.”

Im Rückblick auf die gesamten Aufnahmen des Albums fügt sie hinzu: “Ich habe mich bewusst auf unsicheres Terrain begeben und bin dabei unerwartet weit gekommen. Mir ist klar geworden, dass ich eigentlich alles machen kann. Es gibt keine Regeln und keine Grenzen. Alles hängt davon ab, wie viel Mut man hat.”

Dieser Erkenntnis war jedoch eine Zeit vorausgegangen, in der sie an sich selbst zu zweifeln begann. Seitdem sie mit ihrem Debütalbum “Eye To The Telescope” einen weltweiten Bestseller landen konnte und auch das Nachfolgewerk “Drastic Fantastic” zum Platinerfolg avanciert war, hatte KT Tunstall stets unter Strom gestanden. Eine Reise nach Grönland führte schließlich zu einer folgenreichen Katharsis. Tunstall hatte diese Reise im Rahmen des Cape-Farewell-Projekts angetreten, zu dem Musiker, Schriftsteller und andere Künstler eingeladen worden waren, gemeinsam auf einem Boot zu leben und auf kreative Art und Weise auf die unwirtliche Landschaft und die sichtbaren Folgen der Klimaveränderung zu reagieren.

“Nach sechs Jahren, in denen ich ständig auf Tour war und umsorgt wurde, machte es mich wirklich ganz demütig, an einen Ort zu kommen, wo das Leben so hart ist”, sagt KT. “Wir fuhren zu einer Stadt namens Uummannaq, wo ich einen der schlechtesten Gigs meines Lebens gab. Mein Selbstbewusstsein war wie weggeblasen und ich fühlte mich wie ein Jingleschreiber. Ich wollte nicht mehr auf der Bühne sein – das hatte ich so noch nie empfunden. Ich sehnte mich nach dem einfachen Leben ohne dieses verrückte unaufhörliche Hamsterrad. Ich wollte lieber das Boot verlassen und dort leben.”

KT Tunstall zog zwar nicht nach Grönland, aber sie machte das einzig Richtige: Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schlagzeuger Luke Bullen, nahm sie sich eine Auszeit und ging erst einmal auf Reisen. In den folgenden, prägenden drei Monaten unternahm sie eine Reitertour mit Gauchos in Chile, begab sich in Peru auf die Pfade der Inkas und besuchte die berühmte Ruinenstadt Machu Picchu, sie ging auf den Galapagos Inseln auf Entdeckungstour durch die Wildnis und sie besuchte schließlich das Barefoot College im indischen Tilonia, das einzige solarbetriebene College des Landes, wo Menschen aus den entlegensten Gegenden, ja selbst aus afrikanischen Dörfern, lernen, mit wenigen Mitteln Solaranlagen zu bauen. Sie jammte in der Wüste von Rajasthan mit dort ansässigen Musikern “Suddenly I See” und reiste nach Neuseeland, das sie in einem alten VW-Campingbus erkundete. Schließlich landete sie in Auckland, rechtzeitig, um bei Neil Finns 7 Worlds Collide Jamboree einzusteigen und gemeinsam mit Johnny Marr, Wilco sowie Ed und Phil von Radiohead zusammenzuarbeiten.

“Der ganze Trip lief auf etwas sehr Ursprüngliches hinaus. Ich stellte fest, dass ich noch immer wild und ungezähmt bin. So war ich eigentlich schon immer. Als Kind wollte ich schon immer nach draußen, schlug mich in die Büsche oder wollte ein Zeltlager aufschlagen. Ich brauchte immer Bewegung und das Gefühl von Abenteuer.”

Doch bevor KT sich auf irgendwelche neuen Abenteuer einließ, zog sie sich ein Jahr lang zurück, um das Erlebte zu reflektieren und neue Songs zu schreiben. “Es war wirklich wichtig, meine Reaktion auf diese massive Veränderung im Leben erst einmal zu verdauen. Alle sagen mir immer, wie gut ich doch mit all dem Erfolg umgehe. Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht einmal begonnen, diesen zu verarbeiten. Keine Ahnung, ob ich darüber erst alt werden muss und als alte Frau darauf zurückblicken werde.” Mit aufgeladenen Batterien machte sie sich jedenfalls an die Arbeit, machte in ihrem neuen, natürlich solarbetriebenen Studio erste Demoaufnahmen und flog dann in die Staaten, um sich dort mit einigen der illustresten Songschreiber zu treffen, namentlich Linda Perry und Greg Kurstin. Im Schnitt entstand pro Tag ein Song.

Als KT wieder zuhause war, hatten sich sage und schreibe 75 Songs angesammelt, mit denen sie dann den Arctic-Monkeys-Produzenten Jim Abbiss aufsuchte, der auch die jüngsten Alben von Adele, den Editors und Kasabian betreut hatte und nun KT Tunstall auf einen neuen Sound einschwören sollte. Gemeinsame Vorlieben für die Cocteau Twins, Bow Wow Wow, Ali Farka Touré sowie für Clubklassiker wie “French Kiss” und “Higher State Of Consciousness” vermitteln eine Ahnung von der Richtung, in die sie sich bewegten. “Ich liebe die Ungeschliffenheit von Dance-Music”, erklärt KT. “Du bekommst den Sound förmlich mitten ins Gesicht, als sei man selbst ein Instrument. Ich wollte dieses aufgeputschte Klangerlebnis auch auf meine Songs übertragen, dieses Gefühl, sich in der Musik verlieren zu können. Ich wusste, dass ich neue Energie in die Musik injizieren musste, und es war Linda Perry, die mich noch auf etwas anderes aufmerksam machte. Sie sagte mir ganz frank und frei: ‚KT, dein einziges Problem ist, dass du dich nicht darum scherst was alle anderen denken.' Sie hatte vollkommen Recht und es war die richtige Ansage zur rechten Zeit.”

“Tiger Suit” wurde in den legendären Hansa Studios von Berlin aufgenommen und folgte damit berühmten Vorgängern wie David Bowie, U2 und Iggy Pop. KT und ihre Crew reisten in einem denkbar frostigen Winter an, in dem der Himmel dunkelgrau und die Gehwege völlig vereist waren. Ihre Liebe zu der Stadt wurde durch einen unendlich scheinenden Streifzug durch die Clubs von Berlin endgültig besiegelt. “Es herrscht unter den Menschen dort eine nette Form der Autarkie, bei der jeder nach seiner Fasson zu leben scheint. Das hat unseren kreativen Prozess mitgeprägt. Dadurch bekamen die ganzen Einspielungen die nötigen Ecken und Kanten und eine Bissigkeit, die ich für das, was ich geschrieben hatte, auch ganz passend fand.”

Die Reise nach Berlin wurde schließlich auch zum Erweckungserlebnis, bei dem Tunstall die wunderbare Welt der Synthesizer für sich entdeckte. “Ich hatte geradezu Angst vor ihnen, weil ich das Gefühl hatte, sie würden wie ein Albatros über der Musik schweben.” Doch dann versorgte sie Chris Corner, der vor seinem Electro-Dance-Projekt IAMX bei den Sneaker Pimps war, mit einer ganzen Reihe seiner Synthesizer. “Damit betrat ich eine Welt, von der ich jetzt ganz gefangen bin.” Ihre schönste Entdeckung unter dieser Armada von Instrumenten war ein Yamaha CD−80, den schon Vangelis für seinen Soundtrack zu “Bladerunner” benutzt hatte und den KT als “riesiges Biest” beschreibt, auf dem man spiele “wie auf einem Sofa”.

“Nature Techno”, der Begriff, mit dem KT den Clash zwischen erdigem Bandsound und sphärischen Electroklängen bezeichnet, darf man sich so vorstellen, als träfe “Eddie Cochran auf Leftfield”, so die Künstlerin. “Die Songs existieren für mich allerdings in ihren ganz eigenen Welten. Ich habe versucht, diese fiktiven Orte durch den jeweiligen Klang der Songs zu charakterisieren.” Ohne ihr besonderes Talent zum Geschichtenerzählen zu vernachlässigen, formt KT Klanglandschaften, die von den urwüchsigen, von ihrer Reise nach Grönland inspirierten Tribal-Sounds des “Uummannaq Song” bis zu den analogen orientalisch klirrenden und flirrenden Klängen von “Lost” reichen. Als einen der Schlüsselsongs des Albums bezeichnet sie “Push That Knot Away”: “Ich stelle mir dabei einen Wald bei Nacht vor, in dem man sich seinen Ängsten stellt, anstatt davonzulaufen.” Weiter geht die Reise mit dem wie nicht von dieser Welt wirkenden Blues “Golden Frames” (mit dem unverkennbaren Seasick Steve als Gastsänger), mit dem anekdotenhaften Glam-Rock-Shuffle “Madame Trudeaux”, das Linda Perry mitschrieb, sowie mit dem temporeich-forschen “Glamour Puss”.

“Dieses Album hat in seiner Entstehung etwas von einem archäologischen Trip, bei dem ich immer tiefer gegraben habe, um herauszufinden, was mich wirklich bewegt. Ich kann es am besten so beschreiben, dass ich eine mir angeborene Seite entdeckt habe, indem ich sowohl zu den Tänzen ums Lagerfeuer zurückgekehrt bin als auch zur Clubmusik. Wenn ich erst einmal richtig loslege, fühle ich mich mit den Clubnächten in Berlin verbunden. Ob man sich irgendwo an einem Lagerfeuer zur Musik verliert oder dabei von Hunderten von Menschen auf dem Dancefloor umringt ist, macht letztlich keinen Unterschied.”

August 2010

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