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Pathos pur

11.03.2005
Rachmaninovs zweitem Klavierkonzert widmete sich Lang Lang erst im Alter von 14 Jahren. Zuvor hatte er das dritte erlernen wollen, weil es als eines der schwersten seiner Gattung gilt. Inzwischen ist der chinesische Meisterpianist allerdings über die Phasen des virtuosen Muskelspiels hinaus gewachsen. Sein internationaler Erfolg ist überwältigend, von New York bis Tokio fliegen ihm die Sympathien zu. Kein Wunder, denn er spielt nicht nur brillant, sondern beseelt. Und so scheint Rachmaninovs Klavierwerk wie für ihn geschaffen zu sein.
Was für ein Anfang! Leise, schüchtern fast nähern sich die ersten Klaviertöne, suchen nach ihrem Platz im Klangraum, verbinden sich schrittweise zu schillernden Akkorden, bis schließlich das Orchester gemeinsam mit dem Solisten sich zu pathetischen Höhen aufschwingt. Es ist ein Befreiungsschlag, ein künstlerisches Statement einer mit neuem Selbstbewusstsein in die musikalische Welt tretenden Persönlichkeit, die die dunklen Momente der Vergangenheit hinter sich lässt. Sergei Rachmaninov schrieb sein zweites Klavierkonzert 1901 nach einer Phase der tiefen Depression, in die er gefallen war, nachdem seine erste Symphonie 1897 bei der Kritik durchgefallen war. Und er schuf damit einen neuen Meilenstein der Konzertsaalkultur, der nicht nur ihn selbst als Komponisten und Virtuosen wieder im Bewusstsein der Musiköffentlichkeit rehabilitierte, sondern außerdem sich als eines der beliebtesten Stücke des Genres im Repertoire etablierte. Damit wurde es aber auch zur Herausforderung für jeden Pianisten von Format, der sich mit den Schwierigkeiten des Werkes wie den Gepflogenheiten der Interpretationen auseinander setzen muss. Lang Lang jedenfalls sieht es als Glücksfall, das Konzert zusammen mit einem russischen Team angehen zu können und als Vorbereitung ein wenig von dem Geist mitzubekommen, der auch den Komponisten geprägt haben mag. Als er auf den Spuren Rachmaninovs in Moskau unterwegs war, eröffneten sich ihm Perspektiven, die er zuvor nicht gekannt hatte: “Als erstes entdeckte ich den Wind. Das hatte ich schon in der Musik erahnt – manche Passagen klingen wie Wind. Zweitens ist alles prächtig und edel, doch zugleich komplex, wie die Tschaikovsky-Statue. Glocken gehören sicher zu den wichtigsten musikalischen Bildern des Konzerts. Als ich an den Kirchen vorüberging, hörte ich den überwältigenden Klang der Glocken, einen wunderbar harmonischen Klang. Rachmaninov hörte diese Glocken, und ihr Klang inspirierte ihn zu seinen Melodien” (Interview mit Lang Lang in voller Länge am Ende der Seite!)

Lang Langs Begeisterung für Rachmaninov ist die eine wichtige Facette dieser Aufnahme. Die andere liegt in der Kombination mit Valery Gergiev und dem Orchester des Petersburger Marientheaters. Denn für den berühmten Dirigenten ist es ein zentraler Punkt, wie sehr die Vorstellungswelten von Solist und Ensemble harmonieren. Und er ist von dem 22jährigen chinesischen Pianisten beeindruckt: “Wie jeder junge Virtuose beherrscht er sein Instrument brillant. Interessant ist, dass er nichts überstürzt. Er weiß, der Komponist will, dass er Interpret sich Zeit nimmt, das Stück zu genießen”. Im April 2004 war es dann soweit. Lang Lang trat gemeinsam mit Gergiev und dem Orchestra Of The Mariinsky Theatre in Moskau vor das Publikum und wurde enthusiastisch gefeiert. Wenige Monate später wiederholten sie das Ereignis im finnischen Mikkeli und bei dieser Gelegenheit entstand die Aufnahme. Sie wurde durch Rachmaninovs letztes Werk für Klavier und Orchester ergänzt, die 1934 im Schweizer Exil entstandene “Rhapsodie über ein Thema von Paganini”, und stellt Lang Lang als Interpreten vor, dem die russische Seele näher geht, als man zunächst meinen möchte. Und dem gerade deshalb eine Deutung gelingt, die eines Tages zu den Meilensteinen der Interpretation gehören wird.
 

Lang Lang und Anna Netrebko spalten die Musikwelt mit ihrer Art der Präsentation: Während die einen die neue Ästhetik begrüßen, gilt sie anderen als Verrat an der klassischen Sache. KlassikAkzente hat einen der “Provokateure”befragt…

KlassikAkzente: Ein wichtiges Segment in den Veröffentlichungsstrategien Ihrer Alben war und ist das besondere Marketing. Wie wichtig ist Ihnen dieser Punkt innerhalb des Gesamtkonzepts einer neuen Veröffentlichung?

Lang Lang: Das Marketing meiner Alben ist mir natürlich nicht gleichgültig und ich verfolge die verschiedenen Strategien in den diversen Märkten auch sehr genau. Was mir aber viel mehr am Herzen liegt ist die Tatsache, dass mehr junge Leute in die Konzerte im allgemeinen, und natürlich auch in meine Konzert im besonderen kommen. Weil das aber, wie wir alle wissen, heute nicht immer leicht ist und man dabei sehr viel Einfallsreichtum an den Tag legen muß, um genau diese Zielgruppe zu erreichen (und darüber hinaus zu motivieren, die Konzerte auch wirklich zu besuchen!), halte ich ein besonderes Marketing für unabdingbar im modernen Music Business.

KlassikAkzente: Das bringt einem allerdings – zumindest in manchen Medienkreisen Deutschlands – recht schnell den Vorwurf der Unseriosität bzw. der Oberflächlichkeit ein. Auch Sie haben derartige Vorurteile bereits betroffen…

Lang Lang: Man muß natürlich auch hinsichtlich der Absicht dieser Art Marketings differenzieren. Ich möchte klein Pop-Star sein und auch nicht wie einer vermarktet werden. Das liegt mir fern. Alles, was sich explizit gegen die klassische Musik ausspricht oder wendet, ist für mich nicht akzeptabel. Egal, wie gut gemeint es ist.

KlassikAkzente: … um aber die von Ihnen gewünschte Publikumsschicht auch wirklich zu erreichen, braucht es manchmal schon etwas Chuzpe im Umgang mit den eher traditionell orientierten Medien.

Lang Lang: Ja, das ist natürlich der schmale Grat, auf dem man sich bewegt, bewegen muß! Da sich manche Vertreter der eher traditionellen Feuilletons den neuen Tendenzen radikal verschließen, wendet sich ein Großteil der jüngeren Leserschicht anderen Medien zu. Und um sie dort zu erreichen, muß man sich – behutsam zwar, aber dennoch – ihrer Sprache und ihren Codices bedienen. Dazu gehören Auftritte außerhalb der konventionellen Konzertsäle ebenso wie das Styling der Album-und Künstlerphotos…

KlassikAkzente: … mit denen Sie zum Teil ja richtig für Furore gesorgt haben…

Lang Lang: … ja, denn machen wir uns nichts vor, die Vorbilder sucht und findet sich die jüngere Generation nicht in den klassischen Musentempeln, sondern das ist primär die Ästhetik von MTV und anderen Musik- und Lifestyle-Kanälen.

KlassikAkzente: Aber die Zögerlichkeit hinsichtlich einer solchen allgemeinen Trendwende kann manchmal schon etwas frustrieren, oder?

Lang Lang: Nein, eigentlich nicht, denn keiner von uns weiß, ob diese Strategien in 20 Jahren aufgehen oder nicht. Das interessiert mich auch offen gestanden nicht allzu sehr. Ich versuche hier und jetzt dazu beizutragen, solange ich mit meiner Kunst auch meine Altersgenossen erreichen kann. Aber eins muß immer klar sein: Die künstlerische Qualität darf niemals dem äußeren Schein geopfert werden. Man muß künstlerisch immer auf höchstem Niveau spielen, dann kann man auch die verrücktesten Ideen glaubhaft vermitteln.

KlassikAkzente: Das ist natürlich jetzt alles sehr theoretisch. Nennen Sie mir doch einfach mal je ein Beispiel für ein Ihrer Meinung nach gelungenes sowie ein misslungenes Marketingkonzept…

Lang Lang: Immer wieder ein gutes Beispiel für gelungenes Marketing ist meiner Meinung nach die Plazierung von wirklich klassischen Musikthemen in einem absolut nicht-klassisch ausgerichteten medialen Umfeld, z.B. in Teen Magazines oder Zeitschriften für Sport bzw. Design. Schlechtes Marketing ist für mich alles, was künstlich daherkommt und wo die Marketingidee eher ihrer selbst dient als dem Produkt bzw. dem Künstler. Für mich wäre das beispielsweise die Aufforderung, in meinen Konzerten doch auch mal Popmusik zu spielen! Warum sollte ich das? Ich bin gern klassischer Musiker und absolut überzeugt davon, auch mit meinen künstlerischen Mitteln meine Visionen zu verwirklichen.

KlassikAkzente: Und das kann jeder, der Ihre Konzerte besucht, ohne zu Zögern bestätigen. Und deshalb wünschen wir Ihnen auch für diesen Weg weiterhin allen erdenklichen Erfolg! Zunächst einmal für das neue Album, das ja bereits “talk of town” ist.

Lang Lang: Ach ja? Ist ja auch ein tolles Konzert. Und ich liebe es! Es weckt immer den kleinen Teufel in mir…

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