Magdalena Kozena | News | Der sanfte Reformer

Der sanfte Reformer

06.05.2005
Zwischen Bachs Tod und den Spätwerken Mozarts liegen gerade mal 35 Jahre, ein vergleichsweise kleiner historischer Zeitraum, der aber immense Veränderungen der musikalischen Gewohnheiten erlebte. Zu den Reformern des späten Barocks gehörte neben Jean-Philippe Rameau vor allem Christoph Willibald Gluck. Ihm war das höfische L’art pour l’art ein Graus und deshalb versuchte er, mit einigen seiner Opern gegen die überkommenden Klangvorstellungen anzugehen.
Blieben Orfeo ed Euridice und Alceste über die Jahre hinweg in den Spielplänen der großen Häuser präsent, so verschwand Paride ed Elena nahezu vollständig aus dem kulturellen Leben. Zu Unrecht, wie Paul McCreesh mit der Wiederentdeckung des Werkes zu beweisen versteht.
 
Es war die Zeit der Manifeste. Die einsetzende Aufklärung hatte den Menschen nicht nur die Notwendigkeit des eigenständigen Denkens nahegelegt, sondern provozierte geradezu die Neuformulierung dieser Ideen in Traktaten, Schriften und Vorworten. So hatte auch Christoph Willibald Gluck (1714–87) seiner Oper Alceste exemplarisch ein Credo vorangestellt: “Es war mein Streben, die Musik ausschließlich ihrer wahren Bestimmung zuzuführen, nämlich dem Ausdruck der Dichtung zu dienen und die wichtigsten Handlungsmomente zu unterstützen, ohne die Handlung durch überflüssiges Zierrat zu unterbrechen oder zu behindern”. Das war eine Stellungnahme gegen die Vordergründigkeit, mit der die dem höfischen Barock entwachsene Opera Seria zur damaligen Zeit vor allem als Forum für die Selbstdarstellung virtuoser Künstler genutzt wurde. Der Fokus auf der Handlung war neu und vor allem forderte er andere Gestaltungsformen als die einfache Reihung von Arie und Rezitativ, die die Regel der Darstellung war.
 
So durchbrach Gluck mit Paride ed Elena diese Konvention und ließ die musikalischen und handlungstragenen Elemente sich in vielfältiger Form abwechseln, auch um eine Steigerung der Spannung zu erreichen. Doch das war nur ein Moment, der die Oper zu einem wichtigen Werk der Zwischenepoche auf dem Weg zur Klassik machte. Paul McCreesh findet noch reichlich weitere Argumente: “Es ist ein bedeutendes Werk. Es sind herrliche Stücke darin, einige hochdramatische Szenen und als Ganzes ist es absolut stimmig. Natürlich muss man es behutsam inszenieren, und es ist vielleicht kein Stück für ein drittklassiges Haus mit viertklassigem Ensemble. Aber mit einer starken Besetzung kann man richtig etwas daraus machen, davon bin ich überzeugt”.
 
Deshalb wandte McCreesh sich auch selbst mit seinen Gabrieli Consort & Players dem Stoff zu und interpretierte die Geschichte von der brisanten Liebe zwischen Paris und Helena, die zum Auslöser des Trojanischen Krieges wurde, mit aller gebotenen Sorgfalt, aber ohne Darstellungsdogma: “Man darf nicht aufhören zu versuchen, den Leuten das musikalische Schubladendenken abzugewöhnen. Selbst manche Spezialisten im Bereich der Alten Musik können sich kaum vorstellen, dass das klassische Orchester nicht präzise am Mittwoch vor Weihnachten 1775 entstanden ist. […] Wie lange hat es wohl gedauert, bis ein Orchester ausschließlich aus Instrumenten bestand, die heute als klassisch gelten? Vermutlich bis in die Zeit der Romantik, und bis dahin hatte sich auch schon wieder manches verändert”.
 
Die Maxime der im Oktober 2003 in den Londoner All Saints' Church entstanden Aufnahme heißt daher: So nah wie nötig, so klar wie möglich. Und deshalb hat McCreesh auch darauf verzichtet, für die männliche Hauptrolle einen Falsettisten einzusetzen, weil er “die erforderliche Klangfarbenpalette und die dramatischen Kontraste” niemals hinbekommen würde. Stattdessen singen Magdalena Kozená (Paride) und Susan Gritton (Elena) die Hauptrollen, solistisch unterstützt von Carolyn Sampson (Amore) und Gillian Webster (Pallade), so dass eine durchgehend weiblich besetzte Oper entstanden ist, die voller Wärme und Brillanz ihre musikalische Schönheit entfalten kann.

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