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Charme der Natürlichkeit

08.05.2002
Als die junge Martha Argerich Mitte der fünfziger Jahre zu Friedrich Gulda ging, um bei ihm Unterricht zu nehmen, war der Wiener Klavierstar ein wenig überfordert. Denn eigentlich gab es nichts, was er ihr noch hätte beibringen können. Trotzdem lernte sie weiter und wurde in den folgenden Jahren zur berühmtesten Pianistin ihrer Generation.
Martha Argerich stammt aus Argentinien. Im Juni 1941 in Buenos Aires geboren, zeigte sie ungewöhnlich früh Interesse für Musik und lernte Klavier, kaum dass die Finger die Tasten greifen konnten. Mit vier Jahren trat sie erstmals öffentlich auf, fand daraufhin Förderer wie Vincente Scaramuzza und entwickelte sich zum umjubelten Wunderkind in heimischen Konzertsälen. 1955 zog die Familie nach Europa, um näher an den Zentren des klassischen Musikgeschehens zu sein. Argerich studierte in Wien und Genf, gewann Wettbewerbe in Bozen und der Schweiz und verfeinerte ihre Ausdrucksfähigkeit bei Stefan Askenase, Vladimir Horowitz und Arturo Benedetti Michelangeli. Eine Aufnahme von Prokofjews 3.Klavierkonzert mit Claudio Abbado verhalf ihr schließlich zum internationalen Durchbruch. Seit den Siebzigern konzentrierte sie sich auf romantisches und gemäßigt modernes Repertoire, spielte Chopin, Liszt, Schumann, Ravel, Strawinsky. Ihre Konzerte wurden seltener, dafür entstanden unter anderem hochgelobte Duo-Aufnahmen mit Gidon Kremer. Argerich wurde zur Spezialistin für die perfekte Balance der musikalischen Mittel, für den Ausgleich von Emotion und technischer Perfektion. Die Einspielungen der Chopin-Prelüdes und seiner Klaviersonate Nr.2 op 35 sind dafür das beste Beispiel.
 
Zwischen 1975 und 1977 unter der Obhut von Heinz Wildhagen im Studio festgehalten, dokumentiert die Pianistin, was es bedeuten kann, sich mit dem schwermütigen Meister pianistischer Melancholie einzulassen. Gerade die “24 Préludes op. 28” erfordern nicht nur spielerische Brillanz, sondern eine besondere Wachsamkeit, die Kontraste der Interpretation ohne Übertreibung heraus zu arbeiten. Oft noch nicht einmal eine Minute lang, besteht jedes Stück auf seinen eigenen Charakter, den es für sich und im Ganzen der Sammlung entwickelt. Argerich spielt mit dem Charme dieser Gegensätze, lässt Läufe gleiten und Motive behutsam wachsen, stellt das Feuer überbordender Tonkaskaden der Ausgeglichenheit zärtlicher Themen gegenüber. Die Klaviersonate Nr.2 b-moll op 35 hingegen wird unter ihren Händen zur mächtigen Demonstration pianistischer Wucht und bricht wie im Scherzo mit archaischer Kraft aus ihr heraus. Die in der “Originals”-Reihe veröffentlichten Einspielungen sind daher ein perfekter Einstieg in die Welt der Martha Argerich. Und sie sind darüber hinaus – auch mit einem Vierteljahrhundert Abstand zu ihrer Entstehung – Referenzaufnahmen für alle Musiker, die sich mit Chopin bschäftigen.

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