Mary Lambert | News | Mary Lambert - "Heart On My Sleeve" - 2014

Mary Lambert – “Heart On My Sleeve” – 2014

Mary Lambert 2015
12.01.2015
Mary Lambert aus Seattle machte erstmals in der internationalen Musikindustrie von sich reden, als sie 2012 den Refrain von “Same Love” schrieb und einsang – DER ultimativen Hymne zum Thema Homo-Ehe von Macklemore & Ryan Lewis, die in den USA inzwischen mit Doppel-Platin zertifiziert ist. Ein Jahr Später, 2013, unterschrieb die heute 25-Jährige einen Vertrag bei Capitol Records und veröffentliche ihre erste EP auf einem Major-Label; Titel des Werks: “Welcome To The Age Of My Body”.
Kurz darauf wurde sie für gleich zwei Grammy Awards nominiert, nämlich in den Kategorien “Song of The Year” (für “Same Love”) und “Album of The Year” für ihre Mitwirkung an “The Heist” von Macklemore & Ryan Lewis. Während der Performance von “Same Love” bei der legendären Grammy-Verleihung 2014, in deren Rahmen Queen Latifah 33 homo- und hetero-sexuelle Paare vermählte, teilte Lambert sich die Bühne gemeinsam mit Macklemore, Lewis und der “Queen Of Pop” – Madonna. Lamberts Debut-Album “Heart On My Sleeve” wurde in den USA bereits im Oktober 2014 veröffentlicht und erreichte dort die Top 30 der Charts.
”Als mir die Möglichkeit zu den Aufnahmen geboten wurde, ging ich erst mal in mich und dachte über meine Beweggründe nach, also darüber, was ich eigentlich dem Rest der Welt sagen will", berichtet Lambert, wenn man sie auf den Entstehungsprozess ihres Debüt-Albums “Heart On My Sleeve” anspricht. “Also habe ich eine Liste mit meinen Zielen aufgestellt.” Sie las sich wie folgt: 1. Spaß haben. 2. Musik machen, die eingängig ist. 3. Etwas machen, das sich positiv auf die Welt auswirkt. 4. Sich treu bleiben. 5. Geld verdienen. “Ist das okay, das so zu sagen?”, fragt sie dann. “Schließlich will ich meiner Mutter irgendwann ein Haus kaufen. Ich möchte eine Stiftung gründen, die für die Kosten von psychisch Kranken aufkommt. Ich will Kellnerinnen, die mir mein Brunch servieren, 100 Dollar Trinkgeld geben! Aber jetzt mal ehrlich: Ich wollte ein Pop-Album schreiben, das extrem viel emotionalen Tiefgang hat, mit interessanten Sprachfiguren und Texten gespickt ist, zugleich aber auch zugänglich und eingängig ist”, so Lambert. “Die Songs sollten schnörkellos, ungefiltert und ehrlich klingen, aber sie sollten trotzdem im Radio laufen können. Ich selbst bezeichne ‘Heart On My Sleeve’ deshalb gerne als ein Pop-Album, das über ein Gewissen verfügt.”
Die Album-Texte stammen aus Lamberts Feder, die Musik schrieb sie als Co-Autorin zusammen mit ihren Produzenten Eric Rosse und Benny Cassette sowie der Songwriterin MoZella. “Heart On My Sleeve” zeichnet ein aufrichtiges Bild von jenem Punkt, an dem die Sängerin aus Seattle heute steht: “Das letzte Jahr war ganz klar das beste meines bisherigen Lebens, was jedoch nicht heißen soll, dass es da keine Hürden gegeben hätte, keinen Herzschmerz und keine Lektionen, die ich hätte lernen müssen”, sagt Lambert. “Generell kann ich nur über Dinge schreiben, die ich wirklich erlebt habe. Und was habe ich erlebt? Ich habe einen Vertrag mit einem großen Label unterzeichnet. Ich habe eine Trennung durchgemacht. Ich habe gelernt, wirklich unabhängig zu sein. Ich war schrecklich ehrlich, habe echt traumatische Erlebnisse mit vielen Menschen geteilt. Ich habe die Frau meiner Träume getroffen. Ich war nonstop auf Tour, weit weg von den Menschen, die ich liebe, aber dafür hatte ich die Chance, vor hunderttausenden von Menschen aufzutreten und Lieder über die Rechte von Homosexuellen zu singen. Dieses Album dreht sich um genau diese Liebe, um diese Gefühle, und es geht auch um den Weg, den man zurücklegen muss, um dorthin zu gelangen.”
“Es ist ein Statement, das ich als Künstlerin mache, aber es ist eben auch ein Statement, das ich einfach als Mensch machen will”, sagt sie. “Einen Großteil meines bisherigen Lebens habe ich das Gefühl gehabt, ganz klein und absolut bedeutungslos zu sein, und wenn man dann ein Album aufnehmen kann, auf dem man ganz genau das sagen darf, was man schon immer sagen wollte, ist das ein Gefühl, das sich gar nicht in Worte fassen lässt. Für mich ist damit der Moment gekommen, an dem ich mich nicht mehr wie ein Fußabtreter behandeln lassen muss, an dem ich mich auch mal stark fühlen und damit hoffentlich andere Menschen inspirieren kann – und zwar auf eine lockere, unverkrampfte Art: Sie sollen dabei Spaß haben und zugleich etwas fühlen. Das ist eigentlich auch schon die Essenz des gesamten Albums, denke ich.”
Um diesen Spagat zu vollziehen, berichtet Lambert mit Songs wie “Be With Me” von ihren eigenen Erfahrungen; das Stück entstand, als sie gerade ihre neue Partnerin kennenlernte: “Diese Begegnung hat mich einfach total umgehauen”, erzählt sie. “Man kann die Liebe nicht kontrollieren, aber ich wusste einfach sofort, dass mein ganzes Leben ab diesem Moment eine neue Richtung nehmen würde. Ich leide unter einer bipolaren Störung, weshalb ich mich natürlich gleich fragte: ‘Schwingt das Pendel gerade zur anderen Seite? Passiert das hier gerade überhaupt wirklich? Oder habe ich meine Medizin nicht richtig eingenommen?’”, gesteht sie dann lachend. “So Far Away” handelt von den Problemen, die eine Fernbeziehung mit sich bringt, “aber der Song funktioniert auf mehreren Ebenen”, wie sie sagt. “Auch wenn es manchmal ganz schön wehtut, weiß ich, dass es die Sache letztlich wert ist.” Und dann gibt es auf dem Album auch noch eine Coverversion von Rick Springfields Klassiker “Jessie’s Girl”, den Lambert zu einer düsteren Klavierballade verwandelt und ihm eine überraschende Wendung verpasst, wenn plötzlich eine Frau von einer anderen Frau singt…
“Heart On My Sleeve” ist ein in schummriges Licht gehülltes Liebeslied, dessen Titel Lambert schließlich auch zum Albumtitel machte, weil sie das Gefühl hatte, dass dieses Stück ihren Ansatz als Texterin am besten auf den Punkt bringt: “Ich bin schon immer wahnsinnig offen und unvoreingenommen durchs Leben gegangen, weshalb ich immer wieder verletzt wurde, mich aber auch oft und intensiv verliebt habe. Und ich habe so viel gute Gefühle gehabt, weil ich mich immer wieder auf andere Menschen eingelassen habe. Was nicht heißen soll, dass ich keine Wunden davongetragen hätte, aber nur wer echten Schmerz kennt, der kann auch wirklich glücklich sein. Ich habe ein paar echt schwierige Phasen durchlebt, habe traumatische Dinge verarbeiten müssen, und deshalb kann ich heute auch wahnsinnig intensive Glücksgefühle haben.”
Ihre zentrale Mission definiert Lambert mit ihrer ersten Single “Secrets”, einem musikalischen Plädoyer für mehr Verwundbarkeit. Über einer massiven, von Handclaps getragenen Pop-Melodie singt sie davon, wie sie sich nach Jahren selbst akzeptiert hat und inzwischen keine Geheimnisse mehr braucht: “They tell us from the time we’re young/To hide the things we don’t like about ourselves/Inside ourselves/I’m not the only one/Who spent so long attempting to be someone else/Well I’m over it/I don’t care if the world knows what my secrets are”. Der Titel erreichte Platz 1 der US-Dance-Charts.
“Ich hatte den Eindruck, dass in letzter Zeit viele Songs geschrieben wurden, die von Selbstbestimmung handeln oder davon, sich von Schönheitsidealen zu befreien, und ich wollte auch ein Stück schreiben, das in diese Richtung geht, das Ganze aber in meinen Worten, aus meiner Perspektive beleuchtet”, sagt sie über die Single. “Das alles harmonisch klingen zu lassen und allen zu sagen, sie sollen sich doch bitte selbst akzeptieren und lieben, das wäre zu einfach gewesen, denn das Problem geht ja noch viel tiefer! Es gibt in unserer Gesellschaft so viel Scham, so viele Schuldgefühle, und ich glaube, dass viele Menschen ihr Leben aus genau diesem Grund nicht wirklich auskosten können. Jeder von uns hat seine Baustellen, seine Probleme. Jeder wurde irgendwann mal verletzt, also warum reden wir nicht einfach darüber?! Ich glaube, dass Ehrlichkeit und der Mut, seine verletzliche Seite zu zeigen, die ganze Welt verändern könnten. Also habe ich den Blick auf mich selbst gerichtet, in der Hoffnung, dass andere sich davon inspiriert fühlen, es auch zu tun. Ja, das ist meine schmutzige Wäsche, die ich in diesem Song wasche, aber das fühlt sich echt unglaublich befreiend an. Wenn mir heute auffällt, dass mir mal wieder ein Stück vom Bagel in den BH gefallen ist, stört es keinen, wenn ich den Krümel einfach aufesse.”
Der Humor, der in ihren Texten genauso wie in ihren Antworten mitschwingt, hilft natürlich auch dabei, ihre teilweise schwerwiegenden Anliegen leichter rezipierbar zu machen. Im Gespräch zeigt sie sich gut gelaunt, lustig, man hört ihr gern zu. Mary Lambert wuchs in einem streng gläubigen Haushalt auf, kam früh mit Alkohol und Drogen in Kontakt, schließlich wurde eine bipolare Störung bei ihr diagnostiziert. Dass es gar nicht so leicht war, derartige Erlebnisse mit anderen zu teilen, verhandelt sie auf dem Song “Rib Cage”, den sie gemeinsam mit Angel Haze und K.Flay aufgenommen hat.
Mary Lambert fühlte sich schon immer zur Bühne hingezogen, weil sie ihre Erfahrungen mit anderen Menschen teilen wollte, nur glaubte sie lange Zeit nicht daran, dass daraus eine Karriere werden könnte: Sie wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen in Everett, Washington auf, saß mit sechs Jahren zum ersten Mal am Klavier und komponierte eigene Songs, brachte sich das Gitarrenspielen mit zehn selbst bei und hörte als Teenager am liebsten Folk-Künstler wie Tracy Chapman, Indigo Girls und James Taylor. Nach der Schule studierte sie Klassische Kompositionslehre am Cornish College of the Arts in Seattle und wollte damit eigentlich Lehrerin in der Mittelstufe werden. “Ja, na klar träumte auch ich davon, als Künstlerin meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber nur ungefähr einem Musiker aus einer Milliarde gelingt es, diesen Traum auch zu verwirklichen”, gibt sie zu bedenken. “Anstatt mir also wie irgendein Trottel zu sagen, ‘ich bin ja wirklich ein krasses Ausnahmetalent’, fasste ich den Plan, stattdessen einen richtigen Job zu ergreifen.”
Doch mit 19 erlebte Lambert einen Schlüsselmoment, als sie Spoken Word Poetry für sich entdeckte: “Ich war drei Tage lang voll manisch drauf gewesen, hatte richtig heftig Party gemacht und die ganze Zeit keine Minute geschlafen”, setzt sie an. “Schließlich saß ich ketterauchend um sechs Uhr früh vor meinem Rechner und schaute mir irgendwelche YouTube-Videos an, bis ich irgendwann bei diesem Spoken-Word-Clip landete. Ich schaute mir danach die Performances verschiedener Dichter an, Anis Mojgani und Shira Erlichman zum Beispiel, und danach konnte ich einfach nicht genug davon kriegen. Ich wusste sofort, dass ich das auch ausprobieren musste, dass ich damit einen anderen Teil meiner Persönlichkeit erforschen und zum Ausdruck bringen konnte.”
Schon im Jahr 2008 trat sie für ihre Heimatstadt Seattle beim internationalen Poetry-Wettbewerb Brave New Voices an, der auch vom Sender HBO mitgefilmt wurde. 2011 gewann sie dann den Grand Slam von Seattle und legte schließlich mit “500 Tips for Fat Girls” (2013) ihren ersten Gedichtband vor. Auch in den Gedichten beschreibt Lambert ihre Erfahrungen, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen – und gilt seither als eine der wichtigsten jungen Stimmen, die den Homosexuellen-Diskurs in Nordamerika vorantreiben.
“Die Tatsache, dass meine Arbeit die Menschen persönlich bewegt und etwas ins Rollen gebracht hat, ist letztlich genau das, was ich mir von Anfang an als Künstlerin vorgenommen hatte”, meint sie abschließend. “Ich werde oft nach bisherigen Karriere-Highlights gefragt, und ehrlich gesagt fühle ich mich immer dann wirklich bestätigt, wenn mich irgendein Fan bei einem Meet & Greet umarmt – und dann gar nicht mehr loslassen will, weil er oder sie einen ganz ähnlichen Kampf wie ich erfolgreich durchgestanden hat. So etwas bedeutet mir unglaublich viel, die Tatsache, dass ein Fremder so viel Kraft aus meiner Musik schöpfen konnte. Ich bin zwar nicht der Grund, weshalb diese Menschen ihr Coming-out schaffen oder ihre Essstörungen überwinden, aber wenn ich ein Katalysator sein kann, der anderen dabei hilft, etwas in sich selbst zu entdecken und zu verändern, dann macht mich das überglücklich. Und damit bestreite ich meinen Lebensunterhalt – das ist einfach der Wahnsinn.” 

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