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Rückkehr einer Pianistenlegende

Maurizio Pollini und Christian Thielemann
© Harald Hoffmann /Deutsche Grammophon
11.10.2011
Seit die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden im September 2009 Christian Thielemann in beispielloser Einmütigkeit und Schnelle zu ihrem neuen Chef kürten, wurde jeder seiner Auftritte mit seinem zukünftigen Orchester (offizieller Dienstbeginn ist der Spätsommer 2012) zu einem Höhepunkt im Dresdner Musikleben. Ganz ohne Frage ist der Masetro schon jetzt in der Stadt an der Elbe “angekommen”, wie er selbst mehrfach in der Presse betonte.

Auch die Pfingstkonzerte der Staatskapelle im Juni 2011 versprachen ein besonderes Ereignis zu werden: Nach fast 25 Jahren kehrte die Pianistenlegende Maurizio Pollini zu dem Orchester zurück und konzertierte auf Thielemanns Einladung zum ersten Mal überhaupt in der Dresdner Semperoper. Im Mai 2010 hatten die beiden in München erstmals miteinander musiziert, was – für viele überraschend – erstaunlich gut funktionierte: Auf der einen Seite der intellektuelle Klavierpoet Pollini, der die Musik mit geistiger Klarheit und gradliniger Präzision von innen heraus zum Leuchten bringt; auf der anderen Seite der Instinktmusiker Thielemann, der den Werken mit kontrollierter Ekstase intuitiv die »richtige« Form und Gestalt verleiht. Dass diese beiden Musiker im deutschromantischen Repertoire am ehesten zusammenfinden würden – diese Hoffnung erfüllte sich aufs Schönste in Dresden, wo dieses Repertoire auch von der “Wunderharfe” (wie Richard Wagner die Staatskapelle einst nannte) seit jeher besonders gepflegt wird.

So setzten Thielemann und Pollini Brahms’ Erstes Klavierkonzert aufs Programm, das der gebürtige Mailänder bereits bei seinem Debüt mit der Staatskapelle im März 1976, damals noch im Kulturpalast, musiziert hatte. Anschließend war er zehn Jahre lang regelmäßig zu Konzerten mit dem Orchester zurückgekehrt – was insofern bemerkenswert war, als viele westliche Klassikstars zu Zeiten des »Eisernen Vorhangs« nur zu Plattenaufnahmen an die Elbe kamen. Anders Pollini: Er musizierte auch für das Dresdner Publikum und konzertierte mit der Staatskapelle auch 1980 und 1981 im Pariser Théâtre des Champs-Élysées, wo er unter der Leitung der ehemaligen Kapellchefs Herbert Blomstedt und Kurt Sanderling innerhalb weniger Monate beide Brahms-Konzerte zur Aufführung brachte. Sein vorerst letztes Konzert mit der Staatskapelle fand im Dezember 1986 statt – drei Jahre vor dem damals noch ungeahnten Mauerfall.

Mit dem d-moll-Konzert wählte Pollini für sein Comeback ein Werk, das Brahms viel Mühe gekostet hat: Der junge Komponist konzipierte es 1854 zunächst als Sonate für zwei Klaviere, dann als Symphonie, bis er 1857 schließlich beide Ideen in einem Klavierkonzert zusammen-führte. Dieses Ringen hört man dem Werk bis heute an, vor allem in den gigantischen Ausmaßen des Kopfsatzes, aber auch dem beinahe religiösen Mittelsatz und dem widerspenstig-kraftvollen Finalrondo, die in der engen Verquickung von Solist und Orchester allesamt »symphonisch« angelegt sind. Dies irritierte schon Brahms’ Zeitgenossen, die das Werk nach der Uraufführung in Hannover 1859 auch im Leipziger Gewandhaus gnadenlos durchfallen ließen. Heute gilt es jedoch als eines der zentralen Klavierkonzerte des 19. Jahrhunderts, wenngleich seine technischen Anforderungen (vor allem in den massiert auftretenden Oktavtrillern und -ketten) bei Pianisten seit jeher gefürchtet sind. Maßstäbe hat mit diesem Werk nicht zuletzt Maurizio Pollini gesetzt, der das Konzert bereits 1979 mit den Wiener Philharmonikern unter Karl Böhm und 1997 mit den Berlinern unter Claudio Abbado für die Deutsche Grammophon einspielte.

Pollinis jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Werk begeisterte 2011 auch das Publikum in Dresden, das den inzwischen 69-Jährigen mit Ovationen feierte. Die Dresdner Neuesten Nachrichten schwärmten von “atemberaubenden” und “zutiefst poetischen Augenblicken” und sprachen von einem “musikalischen Ergebnis von wirklicher Größe”. Mit dem vorliegenden Live-Mitschnitt aus der Semperoper ist es glücklicherweise auf Tonträger gebannt, als erster Teil eines neuen Brahms-Zyklus, den Thieleman und die Staatskapelle für die Deutsche Grammophon einspielen. Beide, Dirigent und Orchester, sind dem Traditionslabel seit langem verbunden; die Staatskapelle spielte bereits 1923, damals unter der Leitung von Fritz Busch, ihre allerersten Aufnahmen für die Grammophon ein. Und zu Brahms haben die Dresdner Musiker ohnehin eine besondere Beziehung: Seine Musik wurde in Dresden schon früh intensiv gepflegt, und darüber hinaus war der Komponist Ehrenmitglied des von den Kapellmusikern geführten “Tonkünstler-Vereins” und musizierte auch selbst mehrfach als Pianist und Dirigent mit der “Königlichen Kapelle” in der Semperoper.

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