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Tiefe Leidenschaft

18.03.2005
Es war eine traurige Zeit. Die Restauration nach den Napoleonischen Kriegen hatte den alten Status restriktiver Bürgerlichkeit in Mitteleuropa nicht nur wiederhergestellt, sondern durch den Metternischen Polizeistaat noch verschärft. Man spielte wieder, ein Beispiel nur, Kotzebue statt Schiller auf Theaterbühnen und mancher Intellektuelle hatte beschlossen, sich mit der inneren Emigration abzufinden. Die Jungen allerdings fanden Wege, sich unter neuen Vorzeichen Mut zuzusprechen. Wartburgfest, Hambacher Fest, die studentischen Vereinigungen waren Motoren des schwelenden Widerstands. Robert Schumann, der ein wenig des renitenten Geistes an der Heidelberger Universität geschnuppert hatte, war zwar kein Revoluzzer.
Doch ein bisschen Opposition leistete er sich auch. Gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten gründete er 1834 die Neue Zeitschrift für Musik als Organ der fiktiven “Davidsbündler”, gab das Blatt ein Jahrzehnt lang selbst heraus und schrieb für den vermeintlichen Geheimbund gleich noch einen Zyklus mit “Davidsbündlertänzen”.
 
Der Impetus war klar. Es sollte gegen das erstarrte Bürgertum gehen und so stellte Robert Schumann der Neuen Zeitschrift für Musik ein Motto voran, das auf ihn selbst ebenso gut passte: “An die alte Zeit und ihre Wege mit allem Nachdruck erinnern, darauf aufmerksam machen, wie nur an so reinen Quellen neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können, sodann die letzte Vergangenheit, die nur auf Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging, als eine unkünstlerische zu bekämpfen, endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen”. Mitherausgeber der essayistisch konzeptionierten Zeitschrift war unter anderem Schumanns Lehrer Friedrich Wieck. Das war in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung, denn der musikalisch bewanderte Mann hatte nicht nur Ahnung von der Materie, sondern auch eine hübsche und begabte Tochter namens Clara, die nach heftigem Werben schließlich die Frau des jungen Komponisten werden sollte. Sie war darüber hinaus eine der versiertesten Konzertpianistinnen ihrer Zeit und daher die erste Adresse für Schumanns Werke, wenn es darum ging, deren Klanggestalt in natura zu beurteilen. Sie spielte nicht nur seine Stücke, sondern inspirierte ihn immer wieder mit Motiven, die er in die Kompositionen aufnahm und verarbeitete. Für die 1837 erschienenen “Davidsbündlertänze op.6” war sie sogar die zentrale Ansprechpartnerin, die zahlreiche Figuren und Ideen dazu beisteuerte.

Ebenfalls früh im künstlerischen Lebenslauf erscheinen Schumanns Klaviersonaten, wobei die dritte in f-moll von 1835/6 zu den rätselhaftesten Werken des Komponisten gehört. Ursprünglich unter dem Titel “Concert Sans Orchestre” veröffentlicht, stellt sie einen dunkel emphatischen Ausbruch der Leidenschaft dar, den man von dem Romantiker so nicht gewöhnt ist. Für Maurizio Pollini besteht genau in diesem Widerspruch der besondere Charme des Stückes: “Es mag sein, dass der düstere Charakter dieser Sonate, ihr beinahe tragischer Unterton, der in der Erstfassung noch stärker hervortritt, vielen Schumann-Liebhabern missfällt […] Die kunstvolle und einfallsreiche Variation kleinster Figuren, wie sie hier deutlich wird, prägt auch viele andere Werke Schumans, etwa den ‘Carnaval op.9’ oder den jeweils ersten Satz der ‘Fantasie op.17’ und des ‘Klavierkonzerts op.54’, und in den ‘Davidsbündlertänzen op.6’ liegt der melodische Umriss des Mottos von Clara Wieck den Melodielinien sämtlicher Tänze zugrunde, die ihm folgen”. Pollini jedenfalls nimmt sich in charakteristisch glanzvoller Interpretation der Werke an, ebenso wie dem “Allegro in h-Moll, op.8”, der “Kreisleriana, op.16”, den “Gesängen der Frühe, op 133” und füllt sie mit einem Leben, dass selbst professionelle Hörer in Erstaunen versetzt. So schrieb Joan Chissell über die 2001/2 erstmals erschienenen und nun komplett edierten Schumann-Aufnahmen im Fachmagazin Grammophone: “Maurizio Pollini bringt so viel Temperament und Intensität in die Werke, als wäre Schumanns jugendliches Herz sein eigenes”.

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