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Wegmarken, Wendepunkte

25.04.2003
Beethovens Klaviersonate op. 57 zählt zu den Höhepunkten seines Schaffens. Im Jahr 1806 vollendet, fasste sie seine Erkenntnisse im Umgang mit Form und Dramatik derart treffend zusammen, dass er sich bis 1809 Zeit ließ, um unter neuen Voraussetzung die Arbeit mit weiteren Sonaten fortzusetzen. Aus diesem Grund steht die “Appassionata” auch im Zentrum von Maurizio Pollinis Neueinspielung ausgesuchter Klavierwerke Ludwig van Beethovens.
Die Klaviersonaten begleiteten Beethovens künstlerischen Lebensweg über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg. Sie waren zum einen eine Spielwiese seiner gestalterischen Fähigkeiten, wo er quasi im kleinen mit Strukturmodellen experimentieren konnten. Sie entwickelten sich aber zugleich zu einem der Höhepunkte von Beethovens Klavierwerk überhaupt, denn mit ihnen perfektionierte er sowohl den Sonatenhauptsatz als auch den Sonatenzyklus als übergeordnetes Schema. Noch von Franz Liszt stammt die Einteilung der 32 Werke in drei Phasen – “l’adolescent” (op.2 – op. 22), “l’homme” (op. 26 – op. 90) und “le dieu” (op. 101 – op. 111) -, die sich bis heute als gängige Gliederung erhalten hat. Die frühen Klassiker der fürstlichen Salons wie die “Pathétique” (op. 13, 1798/99) oder die “Mondscheinsonate” (op. 27/2, 1801) hatten Beethoven bereits berühmt gemacht und so konnte er weiter mit der Form experimentieren, ohne den Einspruch der Verleger fürchten zu müssen. Insgesamt tendierte er zur Drei- und Viersätzigkeit – es gibt 12 viersätzige, 13 dreisätzige und 7 zweisätzige Sonaten – und schuf somit die Grundlage für die meisten weiteren Sonaten nachgeborener Komponisten, die sich an diesen Modellen zu orientieren hatten.
 
Und noch immer gelten Beethovens Klaviersonaten als Bewährungsprobe großer Pianisten. Denn so klar und transparent sie auf der Seite des Komponisten wirken, so komplex stellen sie sich für den Interpreten dar. So ist es auch für den 61jährigen Maurizio Pollini eine Herausforderung, sich mit einzelnen Sonaten auseinander zu setzen. Für sein Beethoven-Programm, das er im Juni 2002 im Münchner Herkulessaal aufnahm (und das für die CD-Ausgabe noch um eine Bonus-CD mit live-Aufnahmen aus der selben Periode im Saal des Wiener Musikvereins ergänzt wurde), wählte er daher die “Appassionata” op. 57 als Mittelpunkt, um die herum er die Sonaten opp. 54, 78 und 90 gruppierte. Die Wahl hat ihren Sinn, denn aus den Werken den der mittleren Periode stellte sie mit außergewöhnlich spannungsgeladener und kontrastreicher Ausformung eine Art Endpunkt der Entwicklung dar. Sie späteren Sonaten tendierten daraufhin zu einem neuen Klang, einem nach innen gewandten, lyrischeren Ton (der zunehmend ertaubenden Komponisten) mit deutlichem Schwerpunkt auf fließender melodischer Schönheit. Pollini nützt diese besondere Stellung, um mit der energischen Sonate op. 54 auf das exzentrische Pathos der “Appassionata” hinzuleiten und mit den folgenden Werke die Wende der inhaltlichen Gestaltung zu dokumentieren. So ist sein Sonaten-Album nicht nur eine hervorragende Neuinterpretation, sondern auch ein Stück plastisch und nachvollziehbarer Musikgeschichte. Ein Pollini mit Hintersinn.

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